Zwei Jahre lang spielten sich auf dem »Kikar Ha’Chatufim«, dem Platz im Herzen von Tel Aviv, herzzerreißende Szenen ab, flossen endlose Tränen der Verzweiflung. Auch an diesem Samstagabend tragen viele Menschen T-Shirts mit Slogans zur Befreiung der Geiseln, schwenken gelbe Flaggen, der Farbe der Solidarität mit ihnen. Und doch ist der Platz dieses Mal erfüllt mit Lachen, Händeklatschen und Jubelrufen in unbändiger Vorfreude. Es soll die letzte Kundgebung zur Befreiung der Geiseln in Gaza gewesen sein – für immer. Alle entführten Menschen, lebende und tote, sollen im Rahmen des am Donnerstag unterzeichneten, von den USA vermittelten Abkommens bis Montag freigelassen werden.
Als erster wendet sich der US-Nahostgesandte Steve Witkoff an die Menge und wird mit tosendem Applaus empfangen. Hinter ihm stehen Jared Kushner, Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, und seine Frau Ivanka. Er habe lange von einer Nacht wie dieser geträumt, sagt Witkoff. Es sei ein überwältigender Anblick. »Herzen, die wie ein einziges schlagen, versammelt hier in Tel Aviv für Frieden, Einheit und Hoffnung an diesem heiligen Ort, den wir Platz der Geiseln nennen.«
Die Menge skandiert immer wieder Trumps Namen
Zwischen die gelben und blau-weißen Flaggen Israels haben sich an diesem Abend amerikanische gemischt. »God bless America«, steht auf einem Schild, »Thank you, President Trump” auf einem anderen. Jedes Mal, wenn der Name »Trump« auf der Bühne fällt, bricht die Menge in Begeisterung aus und skandiert den Namen. Die Stimmung an diesem Abend ist geprägt von tiefer Dankbarkeit und unbändiger Vorfreude.
Am 29. September hatte Trump während des Besuchs des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Washington seinen 20-Punkte-Plan zur Beendigung des Gaza-Krieges und der Befreiung der Geiseln bekanntgegeben. In einer gemeinsamen Pressekonferenz dazu erklärte Netanjahu, dass Israel das Vorhaben annehme und sicherte zu, es umzusetzen. Später verkündete die Hamas, dass auch sie akzeptieren, allerdings unter Vorbehalt. Trump erklärte kurz darauf, die »Hamas hat ›Ja‹ gesagt«.
Es war der entscheidende Schritt zur Beendigung des grausamen Krieges, der durch ein unvergleichliches Massaker der Terrororganisation Hamas auf südliche israelische Gemeinden am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, bei dem mehr als 1200 Menschen ermordet und 251 entführt wurden. In Gaza wurden seitdem Zehntausende von Menschen getötet. Das Gesundheitsministerium der Hamas gibt die Zahl mit mehr als 67.000 Toten an. Dies kann jedoch nicht unabhängig verifiziert werden.
Steve Witkoff: »Eure Stärke, Widerstandsfähigkeit, euer unerschütterlicher Geist in unvorstellbarem Schmerz und Verlust sind die höchste Form der Stärke. Ihr habt der Welt gezeigt, dass Frieden keine Schwäche ist.«
Mit Beginn des Waffenstillstands am Freitagmittag sollten die verbleibenden 48 Geiseln, von denen 20 vermutlich noch am Leben sind, innerhalb von 72 Stunden nach Hause kommen – bevor Trump am Montagmittag vor der Knesset in Jerusalem sprechen wird. Israel wird im Gegenzug rund 2000 palästinensische Sicherheitsgefangene freilassen, darunter 250 Terroristen, die lebenslange Haftstrafen verbüßen.
Ofra Sela, die vor einer großen Leinwand steht, auf der das Geschehen live übertragen wird, hat sich in eine amerikanische Flagge eingehüllt, »weil wir den USA nicht genug für ihre Hilfe danken können. Sie haben unseren Krieg beendet«, sagt sie und ruft dann: »Thank you, Mr. President!« Auf der Bühne spricht Witkoff einen Moment später ins Mikrofon, er wünschte, Trump wäre hier und könnte all das sehen. »Yes«, ruft die Israelin mit der Flagge und klatscht euphorisch.
Der US-Gesandte dankt auch Kushner, arabischen und muslimischen Anführern, Netanjahu sowie den Angehörigen der Entführten und den Geiseln selbst. »Heute Abend stehen wir als lebender Beweis dafür, dass Wunder geschehen können, wenn Mut auf Überzeugung trifft.« Er wolle auch das Volk Israel ehren: »Eure Stärke, Widerstandsfähigkeit, Euer unerschütterlicher Geist in unvorstellbarem Schmerz und Verlust sind die höchste Form der Stärke. Ihr habt der Welt gezeigt, dass Frieden keine Schwäche ist.«
Er würdigt auch die Familien der Geiseln, die seinen Worten zufolge »die moralische Last dieser Nation« getragen hätten. »Euer Mut mich auf eine Weise berührt, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben erfahren habe.« Dann richtet er sich an die Geiseln selbst: »Meine Brüder und Schwester – Ihr kommt nach Hause.«
Familien der toten Geiseln bitten um Unterstützung
»Eure Ausdauer, Euer Glaube und Lebenswille sind Symbole des menschlichen Geistes, der niemals gebrochen werden kann. Wenn Ihr in die Arme Eurer Familien und Eures Landes zurückkehrt, wisst, dass ganz Israel und die ganze Welt bereit ist, Euch mit offenen Armen und unendlicher Liebe zu Hause willkommen zu heißen.«
Im Anschluss veröffentlichte das Familienforum eine Nachricht: »Nach zwei schrecklichen Jahren werden die Geiseln endlich nach Hause kommen. Der Krieg wird vorbei sein. Die israelische Nation wird zu einem neuen Kapitel aufwachen. Nach 733 langen Tagen ist der Moment, für den wir alle gebetet und gekämpft haben, endlich da.«
Ruby Chen, Vater des jungen Soldaten Itay Chen, bittet die Menschen, ihm zu versichern, dass sie auch weiterhin an der Seite der Familien von Geiseln stehen, die nicht mehr am Leben seien – »bis auch der letzte nach Hause kommt«. Die Menge antwortet unisono: »Ken – ja«. Dann salutiert er seinem Sohn, der nach Angaben Sicherheitskräfte am 7. Oktober von Terroristen ermordet wurde, »Itay, meinem lieben Sohn, meinem israelischen Helden«.
Naama Levy: »Matan, du kommst nun nach Hause. Und dann wird endlich wirklich alles gut.«
Am Ende der Kundgebung kommen ehemalige Geiseln auf die Bühne. Keith Siegel, der im Februar aus der Gewalt der Hamas in Gaza entlassen wurde, erzählt, dass er zusammen mit Matan Angrest, einem jungen IDF-Soldaten, den Terroristen verletzt aus seinem Panzer zerrten, in Gaza festgehalten worden sei. »Seitdem wir getrennt wurden, denke ich ständig an dich, Matan. Es tut mir so leid, dass du noch so lange in Gaza bleiben musstest. Ich liebe dich so sehr.«
Auch Naama Levy, eine der fünf jungen Späherinnen der israelischen Armee, die aus ihrer Basis gekidnappt und im Januar dieses Jahres nach 477 Tagen freikam, ist hier. Sie erzählt, wie sie den damals 19-Jährigen in Gaza kennenlernte. »Wir trafen uns in Gaza, und du sagtest zu mir: ›Jihieh beseder…‹ Alles wird gut.« Sichtlich bewegt wandte sie sich an ihre einstige Mitgeisel: »Matan, du kommst nun nach Hause. Und dann wird endlich wirklich alles gut.«
Hinter ihr stehen die Angehörigen von Matan Angrest, seine Eltern, der kleine Bruder, und Adi, die »endlich wieder Matans kleine Schwester« sein will und ihren Bruder als ihr »schönstes Geburtstagsgeschenk« bezeichnet. Während sie es sagt, wehen die Plakate mit dem jugendlichen Gesicht des 22-Jährigen im Wind. Das letzte Familienfoto, auf dem er in die Kamera lächelt, ist mehr als zwei Jahre alt.