Vor dem Eingang des Supermarktes »Schufersal« an der Sokolow-Straße in Ramat Hascharon steht ein Aufsteller in knalligem Rotgelb. Nicht die üblichen Feiertagswünsche, sondern ein Satz in fetten Lettern: »Wir haben die Preise wirklich reduziert«, steht darauf. Nachdem Israelis in Berlin ihre Einkaufsbons auf Facebook posteten, beherrscht kaum ein anderes Thema die Medien so sehr wie die hohen Preise für Lebensmittel.
»Na bitte, geht doch«, sagt Boaz Allon, der im Schufersal vor dem Regal für Milchprodukte steht. »Offenbar ist es möglich, die Preise ganz gehörig zu senken. Und das sogar von heute auf morgen.« Allon hebt eine Viererpackung Schokopudding hoch und zeigt auf das Schild. Heute kostet sie statt der regulären 18 Schekel (fast vier Euro) nur noch zwölf. »Es ist nur schade, dass die Hersteller und Einzelhändler das nicht selbst einsehen, sondern immer nur auf Druck von außen reagieren.«
Die Frau neben ihm nickt. In ihrem Korb liegen neben Milchtüten und Käsepackungen zwei Gläser Erdnussbutter. Stückpreis 28 Schekel – fast sechs Euro. »Ich weiß schon lange, dass das meiste bei uns im Land völlig überteuert ist«, schimpft sie und schüttelt den Kopf. »Und vor den Feiertagen wird bei vielen Produkten sogar nochmal etwas draufgeschlagen, obwohl behauptet wird, alles seien Sonderangebote. Um herauszufinden, dass das Nepp ist, muss ich nicht erst nach Deutschland fahren.« Als Konsumentin fühle sie sich schon lange »belogen und betrogen«.
Scharlatane Auch in den Laubhütten des Landes ist es an diesem Sukkot das Thema Nummer eins: Die Israelis kramen die Bons aus ihren Einkaufstüten und vergleichen im Internet die Preise. Viele sind wütend, wenige haben Verständnis für zu teure Lebensmittel. Auch die Medien finden drastische Worte. »Schuld an dem Wegzug junger Leute ist kein Pudding, sondern die Regierung«, schreibt die Tageszeitung Haaretz. In einem anderen Artikel bezeichnet Yossi Sarid Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Wirtschaftsminister Yair Lapid als »Scharlatane der übelsten Sorte«.
Der Letztere hat – wie üblich in sozialen Medien – die Unkenrufe aus Berlin in Richtung Jerusalem kommentiert und erklärte sich schnell solidarisch. Er verstehe seine Landsleute, erklärte Lapid. Er wolle sofort Maßnahmen ergreifen und für viele Produkte Preiskontrollen einführen. Doch Wirtschaftsexperten raten ab. Denn das Problem liegt ganz woanders.
Mit einer Lebensmittelindustrie, die sich in den Händen nur weniger Hersteller befindet, die unter Verdacht stehen, Preise abzusprechen, sowie extremen Einfuhrzöllen von oft mehr als 200 Prozent für Lebensmittel kann kein Wettbewerb gedeihen, der vernünftige Preise nach sich ziehen würde. Außerdem wird auf sämtliche Produkte – egal, ob Luxuswaren oder einfaches Brot – dieselbe Mehrwertsteuer erhoben: 18 Prozent. Und es war Lapid höchstpersönlich, der die Steuer erst vor Kurzem um einen Prozentpunkt erhöhte.
Kaufkraft »Und das ist das Problem«, meint der Geschäftsführer eines großen Supermarktes in Tel Aviv, der ungenannt bleiben möchte. »Es sind nicht wir Einzelhändler, die die Preise explodieren lassen. Es sind die Produzenten. Sie bieten ihre Waren von vornherein viel zu teuer an. Wir haben meist keine Wahl.« Wo jedoch Spielraum sei, da habe man reagiert, versichert der Mann und zeigt auf ein großes Plakat. Darauf sind nach dem Motto »Vorher–nachher« zwei Bons zu sehen. Auf dem einen stehen unterm Strich 224 Schekel, auf dem anderen 187. »Sehen Sie, wir haben reduziert, wir wollen unseren Kunden entgegenkommen. Für ein und dieselben Dinge zahlt man jetzt 36 Schekel weniger als noch vor einigen Tagen.«
In der Tat haben die Hersteller in Israel höhere Gewinnmargen als in den meisten anderen Ländern der Welt. Dorin Palas, Expertin für Preise bei IBI (Israel Brokerage and Investments), weiß, dass Lebensmittelfirmen in Übersee rund zehn Prozent Gewinn einfahren, während es beim größten inländischen Produzenten Osem durchschnittlich 12,6 Prozent sind. Bei einigen Waren, wie etwa Frühstücksmüsli oder Babynahrung, lägen die Margen sogar bei rund 25 Prozent. Doch das Problem seien nicht die hohen Preise allein, so die Expertin, sondern auch die relativ geringe Kaufkraft der Israelis wegen ihrer vergleichsweise niedrigen Einkommen.
Billig Einer, der vormacht, dass es auch anders geht, ist Avi Katz, Gründer von Cofix. Nur wenige Meter vom Schufersal in Ramat Hascharon entfernt, wird gehämmert und gesägt. Eine neue Filiale der Kaffeehauskette, die alles für fünf Schekel anbietet, wird in einigen Wochen in dem schicken Vorort von Tel Aviv eröffnet. Die Filialen sprießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. 40 gibt es bislang von Haifa bis Aschdod, und sogar in Ramallah wollen die Leute den Fünf-Schekel-Kaffee. Fast wöchentlich kommt irgendwo ein neues Lokal dazu.
Im Cofix auf der Lillenblumstraße in Tel Aviv steht kaum jemand an, der so aussieht, als müsse er jeden Schekel zweimal umdrehen. Es sind Junge und Hippe sowie Gutverdienende aus dem Bankenviertel an der Herzl-Straße. »Überhaupt nicht. Ich finde es cool, für meinen Kaffee einen realistischen Preis zu zahlen«, meint die Bankangestellte Revital Shayn auf die Frage, ob sie sich nicht unwohl dabei fühlt, ihren Mittagskaffee vor einem Billigcafé zu trinken.
»Billig ist nicht mehr igitt, sondern ›in‹«, beharrt Dor, der vor der riesigen Maschine steht, die ohne Unterlass fauchend Kaffee Hafouch in Pappbecher füllt. »Wir sind die Antwort auf die Revolution vor ein paar Jahren. Die Israelis haben keine Zeit, ständig zu demonstrieren. Aber sie haben die Nase voll davon, dass sie in ihrem eigenen Land über den Tisch gezogen werden. Und deshalb kommen sie zu uns.«