Ramallah

Was kommt nach Abbas?

Vorläufig wieder auf den Beinen: Mahmud Abbas Foto: imago

Neun Tage lang war er im Krankenhaus, und neun Tage lang wurde spekuliert. Inzwischen ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas entlassen, und noch immer wird gerätselt: Wer nimmt nach ihm auf dem Regierungssessel in Ramallah Platz? Dass der 82-Jährige schon eine Weile gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe ist, ist ein offenes Geheimnis. Die Frage eines Nachfolgers indes wird von den Palästinensern selbst wie ein Tabu behandelt.

Dass Abbas nur wenige Tage nach einem kleinen Eingriff am Ohr wieder ins Krankenhaus eingeliefert wurde, gab Grund zu Mutmaßungen. Anschließend überschlugen sich die Berichte und Beschwichtigungen. An einem Tag hieß es, Abbas habe eine Lungenentzündung, dann soll er wohlauf gewesen sein, an einem anderen herrschte verdächtige Stille bei Fragen zu seinem Zustand. »Gott sei Dank verlasse ich das Krankenhaus und kehre morgen zur Arbeit zurück«, sagte er vergangene Woche. Seitdem hat man allerdings wenig von ihm gehört. Zu den gewalttätigen Protesten im Gazastreifen etwa äußerte er sich nicht.

Israelische Sicherheitskreise diskutieren schon lange über den Tag danach. Allerdings scheinen auch sie keine Antwort auf die Frage zu haben, wer in die Fußstapfen des Palästinenserpräsidenten treten könnte. Manche Experten gehen davon aus, dass nach Abbas’ Abschied zunächst eine Gruppe von Fatah-Politikern mit diplomatischer Erfahrung übernehmen könnte, die seine Aufgaben unter sich aufteilen. »Israelische Offizielle sehen das Ende der Abbas-Regierung nahen. Aber es ist nicht klar, wie lange dieser Prozess dauern könnte«, meint der Journalist Amos Harel in »Haaretz«.

Korruption Abbas ist Präsident und Vorsitzender der Autonomiebehörde seit 2005, Chef der Fatah-Partei sowie der Palästinensischen Befreiungsorganisation in einem. Bekannt dafür, dass er seine Macht teilt, ist er nicht; einen Nachfolger hat er nie aufgebaut, die Fatah scheint über diese Frage zerstritten. Einst von der internationalen Gemeinschaft als »Gemäßigter« gepriesen, hat er in den vergangenen Jahren viel von seinen Lorbeeren eingebüßt. Besonders der Umstand, dass er es nicht schaffte oder nicht schaffen wollte, die Hetze gegen Israel und Juden einzudämmen oder die finanzielle Unterstützung der Familien von Terroristen auszusetzen, wurde ihm besonders von Israel angekreidet.

Auch die Korruption in seiner Behörde kratzt an seinem Image, besonders in westlichen Ländern. Viele fordern schon lange seine Ablösung und ein Ende der Kleptokratie. Innerhalb der arabischen Welt wird ihm oft vorgeworfen, die Feindschaft zwischen Fatah und Hamas nicht zu schlichten, sondern zu schüren.

Hinter vorgehaltener Hand bezeichnen viele Palästinenser Abbas als »kapriziös und wütend«. Seine antisemitische Äußerung, die Juden trügen eine Mitschuld am Holocaust, sorgte für Entsetzen nicht nur in Israel. Zwar entschuldigte er sich anschließend beim »jüdischen Volk« für diese Aussage, das Misstrauen gegen Abbas indes blieb bestehen.

Eines allerdings müssen selbst Kritiker zugeben: Er scheint das Gebiet, das er regiert, zumindest oberflächlich im Griff zu haben. Auch seine Behörde funktioniert weiter. Während seines Krankenhausauf­enthalts ging alles seinen gewohnten Gang im Westjordanland, es gab weder Demonstrationen noch Unruhen. Die Palästinenser dort schienen ungestört ihren Alltagsgeschäften nachzugehen, obwohl im Gazastreifen die Luft brannte. Die letzten Wahlen sind zwölf Jahre her, aber es sieht danach aus, als wollten die Menschen in Ramallah, Nablus, Hebron und den anderen Ortschaften an der relativen Ruhe, die seit einigen Jahren herrscht, nicht rühren.

Kooperation Auch die Sicherheitsko­operation zwischen Israel und der Autonomiebehörde wird von israelischen Sicherheitskräften als »außergewöhnlich bedeutsam« bezeichnet. Die Armee betont immer wieder, dass sie im Grunde genommen gut funktioniere und auf jeden Fall beibehalten werden müsse – besonders unter einem Nachfolger, um mögliche politische Unsicherheiten besser überwachen und kontrollieren zu können.

Und eine Nachfolge wird in naher oder etwas fernerer Zukunft keine Frage, sondern Notwendigkeit sein. Anwärter gibt es viele: allen voran Dschibril Radschub, der international als Chef des palästinensischen Fußballverbandes bekannt wurde. Er ist jetzt Generalsekretär des Zentralkomitees der Fatah und genießt hohes Ansehen in Partei und Bevölkerung durch seinen Einsatz für den Fußball. Auch in Verhandlungen mit Israel hat er Erfahrung. Saeb Erekat, der international bekannte Verhandler, der von vielen als Gemäßigter innerhalb der PA angesehen wird, ist krank und scheidet deshalb wahrscheinlich aus.

Ein anderer Kandidat ist der stellvertretende Fatah-Chef Mahmud Alul. Er war Gouverneur von Nablus, Einfluss in anderen Gegenden des Westjordanlandes hat er wenig. International ist er ein unbeschriebenes Blatt, selbst innerhalb der Palästinenserkreise gehört er zu den weniger bekannten Politikern, was seine Nachfolge relativ unwahrscheinlich macht, meinen Geheimdienstexperten in Jerusalem.

kandidatur Premierminister Rami Hamdallah machte jüngst Schlagzeilen, als auf ihn im Gazastreifen ein Anschlag verübt wurde. Er blieb unverletzt, doch die Aussöhnung zwischen den Palästinensern in Gaza und dem Westjordanland wurde damit auf Eis gelegt. Zugleich wird das einer potenziellen Kandidatur den Garaus gemacht haben. Außerdem ist Hamdallah kein Fatah-Mitglied, was es für ihn ohnehin so gut wie unmöglich macht. Denn niemand geht davon aus, dass Wahlen in Ramallah offen und demokratisch vonstattengehen. Eher ist wahrscheinlich, dass die Elite der Fatah einen neuen Mann bestimmt.

Und obwohl hinter Gittern, wird auch der Name des charismatischen Marwan Barghouti immer wieder ins Spiel gebracht. Der einstige Anführer des militärischen Flügels der Fatah ist in der Bevölkerung beliebt, sitzt aber wegen der Planung von tödlichen Terroranschlägen im israelischen Gefängnis, und daran wird Israel nichts ändern. Selbst ein Name aus Gaza wird gehandelt: Mohammed Dahlan, der einstige Sicherheitschef der Enklave. Allerdings wird nicht erwartet, dass Israel seine Rückkehr aus dem Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten erlaubt.

Hamas Eine Folge der Unklarheiten könnte der Versuch der Hamas sein, wieder stärker im Westjordanland Fuß zu fassen. Ein gefährliches Szenario, das Israel mit aller Macht zu verhindern versucht. Von einer baldigen Versöhnung der beiden palästinensischen Seiten gehen selbst optimistische Experten nicht aus. Stattdessen wird angenommen, dass im Falle eines Machtvakuums »jede Partei versuchen wird, ihren Vorteil mit Gewalt zu sichern«.

Verschiedene Kommentatoren haben die Situation im Westjordanland mit der in Ägypten vor rund sieben Jahren verglichen. Während man über einen Nachfolger von Präsident Mubarak sinnierte, brodelte es in der Gesellschaft, und eine Revolution brach aus. »Allerdings ist die Situation im Palästinensergebiet von Abbas anders als die in Ägypten seinerzeit«, schreibt Avi Issacharoff in »Times of Israel«.

Die wirtschaftliche Lage im Westjordanland ist viel besser als die in Ägypten 2011, und sicher wollen die wenigsten Palästinenser zum Anfang des Jahrtausends zurückkehren, als verheerende Terroranschläge gegen Israelis die israelische Armee in die Bevölkerungszentren des Westjordanlandes einmarschieren ließen und die Wirtschaft zusammenbrach. Der relative Wohlstand tut offenbar gut.

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