Entlassung Gallant

»Wahnsinnigstes Ereignis in der Geschichte des Landes«

Demonstration auf der Stadtautobahn Ayalon Foto: Flash90

Tausende von Menschen protestierten spontan am Dienstagabend nach der Entlassung von Verteidigungsminister Yoav Gallant durch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Sie zündeten Paletten und Feuerwerkskörper auf, riefen zu Neuwahlen und skandierten »Prime minister, crime minister« (Premierminister, krimineller Minister) in Bezug auf Netanjahu. Viele trugen Schilder mit dem Wort »aschem« - »schuldig«.

Die Ayalon-Stadtautobahn in Tel Aviv war über vier Stunden lang blockiert, bevor die Polizei die Demonstranten gewaltsam entfernte und 40 von ihnen festnahm. Auch in Jerusalem und Haifa kam es zu Protesten gegen die Entscheidung des Premiers. Zum ersten Mal bei Protesten in Tel Aviv setzt die Polizei sogenannte »Skunk Wasserwerfer« ein, um Demonstranten von der Hauptautobahn Tel Avivs zu vertreiben.

Der scheidende Verteidigungsminister Gallant sagte in einer Ansprache, er sei aus drei Gründen entlassen worden: »Meine feste Haltung zur allgemeinen Wehrpflicht, meine Verpflichtung, die Geiseln freizugeben und meine Forderung nach einer staatlichen Untersuchungskommission zum Scheitern des 7. Oktober.«

Gallant wollte 7000 junge Charedim in die IDF einziehen lassen

Am Tag seiner Entlassung hatte Gallant den Aufruf unterzeichnet, 7000 ultraorthodoxe junge Männer in die Armee einzuziehen. Nach mehr als einem Jahr des Krieges benötigt die IDF dringend neue Soldaten. Doch die ultraorthodoxen Parteien drohten damit, aus der Regierung auszuscheiden und erpressten so einen Gesetzesentwurf, um ihre jungen Männer im Wehrdienstalter von der Armee zu befreien. Währenddessen wird der Druck auf die Reservisten, die zum Teil seit Kriegsbeginn Dienst leisten, immer stärker.

Lesen Sie auch

Netanjahu jedoch begründete seine Entscheidung mit einem »Zusammenbruch des Vertrauens und erheblichen Meinungsverschiedenheiten im Umgang mit den Kriegen im Gazastreifen und im Libanon«. Es hatte seit Wochen Spekulationen gegeben, dass der Regierungschef seinen Verteidigungsminister entlassen wolle. Nun munkelt man, dass Netanjahu auch die gesamte Führungsriege der Sicherheitsdienste Armee, Inlandsgeheimdienst Schin Bet und des Mossad entlassen wolle. Er dementierte dies jedoch.

Israel Katz, ein Likud-Loyalist ohne umfassende militärische Erfahrung, den Netanjahu an Gallants Stelle einsetzt, ist ganz auf Linie des Premierministers. Das Außenministerium übernimmt Gideon Saar von Katz. Saar, ein ehemaliger Netanjahu-Kritiker, war der Koalition erst vor wenigen Wochen aus der Opposition beigetreten.

»Gallants Entlassung zeugt von einem Verlust des Verstandes«.

Im März 2023 entließ Netanjahu Gallant einen Tag lang, nachdem dieser dazu aufgerufen hatte, den Gesetzgebungsprozess der umstrittenen »Justizreform« der Regierung auszusetzen, die seiner Meinung nach zu Spaltungen in der israelischen Gesellschaft führten, die eine Bedrohung für die Sicherheit Israels darstellten.

Er wurde jedoch weniger als einen Monat später wieder eingestellt, nachdem es in Israel einen Generalstreik und Massenproteste gegeben hatte. Gallant stand an der Spitze des Verteidigungsministeriums, als die Hamas am 7. Oktober letzten Jahres ihr blutiges Massaker in Südisrael mit mehr als 1200 Toten und 251 Geiseln verübte. Gallant blieb während des darauffolgenden Krieges im Gazastreifen, der Kämpfe an der Nordgrenze und der Bodenoperation im Südlibanon in seinem Amt.

Der Oppositionsabgeordnete von der Nationalen Einheit und ehemaliger Stabschef der IDF, Gadi Eizenkot, kommentierte: »Gallants Entlassung zeugt von einem Verlust des Verstandes«.

Oppositionsführer Lapid sorgt sich um Familien der Geiseln

Oppositionsführer Yair Lapid sagte am selben Abend im Nachrichtenkanal 12: »Wir befinden uns inmitten des wahnsinnigsten Ereignisses in der Geschichte dieses Landes«, und fügte hinzu: »Was sollen die Familien der Geiseln jetzt denken? Dass es das war? Ihre Angehörigen werden dem Tod überlassen, weil sich ihr Premierminister nur um seine eigene Politik kümmert?«

»Niemand, nicht einmal Netanyahus Anhänger, glaubt, dass Gallant aus beruflichen Gründen entlassen wurde. Er wurde entlassen, weil Netanyahu die Wehrdienstverweigerer gegenüber denen bevorzugte, die ihren Dienst leisten. Er wurde entlassen, weil Netanyahu in Kriegszeiten politisch überleben will.«

Oppositionsführer Yair Lapid, der Vorsitzende der Nationalen Einheitspartei Benny Gantz, der Vorsitzende von Israel Beitenu, Avigdor Lieberman, und der Vorsitzende der Demokraten, Yair Golan, werden am Mittwoch in der Knesset eine Pressekonferenz abhalten.

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Diplomatie

Kasachstan will sich den Abraham-Abkommen anschließen

US-Präsident Donald Trump kündigte den Schritt wenige Tage vor dem Besuch des saudischen Kronprinzen im Weißen Haus. Auch Saudi-Arabien solle seine Beziehungen zu Israel normalisieren, so die Hoffnung des US-Präsidenten

 07.11.2025

Israel

Spion auf vier Rädern

Israels Armee mustert ihre Dienstfahrzeuge »Made in China« aus. Der Grund: Sie könnten ein Risiko für die nationale Sicherheit sein

von Ralf Balke  07.11.2025

Ko Pha Ngan

Thailand: Israelisches Paar hat in der Öffentlichkeit Sex - und wird verhaftet

Die Hintergründe

von Sabine Brandes  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Geiselhaft

»Sie benutzten mich wie einen Boxsack«

Die befreite Wissenschaftlerin Elisabeth Tsurkov berichtet über »systematische Folter und sexuelle Gewalt« durch die Entführer im Irak

von Sabine Brandes  06.11.2025

Gaza

Ex-Geisel Rom Braslavski: »Ich wurde sexuell missbraucht«

Es ist das erste Mal, dass ein aus der Gewalt der Terroristen freigekommener Mann über sexuelle Gewalt berichtet

von Sabine Brandes  06.11.2025

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

von Karoline Preisler  08.11.2025 Aktualisiert