Kiew

Selenskyj übt scharfe Kritik an Israel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Foto: picture alliance / SvenSimon-ThePresidentialOfficeU

Wolodymyr Selenskyj erschien am Montagabend in der Sendung »Uwda« des israelischen Senders Kanal 12. In einem ausführlichen Interview beschwerte er sich über die Weigerung Israels, der Ukraine Luftabwehrsysteme zu liefern.

Diese Vorstellung erinnerte zum Teil an Kiews Kritik an Deutschland vor einigen Monaten, als ukrainische Regierungsvertreter ihre Kritik ebenfalls lautstark und öffentlich äußerten.

Bitte um Iron Dome

Der 44-jährige jüdische Präsident der Ukraine zeigte sich frustriert. In dem Interview, das auf Englisch geführt wurde, gab er an, bereits mit drei israelischen Ministerpräsidenten über das Thema Iron Dome gesprochen zu haben, ein System, das Raketen im Anflug zerstören kann. Diese Diskussion habe er bereits vor Beginn des russischen Krieges gegen sein Land begonnen, so Selenskyj in dem Interview. Aber keiner dieser Regierungschefs sei bereit gewesen, darüber zu sprechen.

Selenskyj zufolge hat sich Israel nun bereiterklärt, der Ukraine Kommunikationssysteme zu liefern. Auch dieses Thema sei jedoch bereits lange diskutiert worden. Bereits im Februar habe er Israel darum gebeten. Weder die Verzögerung könne er verstehen noch Israels Weigerung, Luftabwehrsysteme zur Verfügung zu stellen, erklärte der Präsident.

Verheerende Folgen

Das neueste Anliegen von Wolodymyr Selenskyj sind israelische Drohnen. Die Bitte, auch diese zu liefern, äußerte der ukrainische Regierungschef, seit Russland unter anderem Kiews und Sewastopol erstmals mit im Iran hergestellten Kamikazedrohnen angriff. Auch diese Bitte wurde bisher nicht erhört.

Von 400 Drohnenangriffen mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur sprach der ukrainische Präsident in dem Fernsehinterview. Er fügte hinzu, sein Geheimdienst gehe davon aus, dass Moskau etwa 1500 iranische Angriffsdrohnen besitze. Russland und der Iran bedrohten so nicht nur die Ukraine, so Selenskyj.

USA als Vermittler

»Wir können gemeinsam gegen das Böse vorgehen«, sagte der ukrainische Regierungschef. »Wir kämpfen gegen eine neue, große Verbindung, nämlich Russland und Iran«, meinte er. Dies erinnerte an die »Achse des Bösen«. Als solche bezeichnete der einstige amerikanische Präsident George W. Bush vor 20 Jahren Iran, Irak und Nordkorea.

Offensichtlich war Russland zu dieser Zeit, nach den Terrorangriffen auf das World Trade Center in New York City und das Pentagon in Arlington (Virginia), nicht auf der Liste. Dies war zwölf Jahre vor dem ersten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Wie sich im Laufe des Interviews herausstellte, hat Präsident Selenskyj versucht, die Vereinigten Staaten von Amerika in seine Bemühungen einzubeziehen, an israelische Waffen- und Kommunikationssysteme heranzukommen. Er bat Washington, entsprechenden Druck auf Jerusalem auszuüben, wie er offen einräumte.

Ob die Ankündigung Israels, Kommunikationssysteme zur Verfügung stellen zu wollen, damit zusammenhängt, ist nicht überliefert. Die Einzelheiten dieser Hilfe für die Ukraine sind laut Selenskyj unklar.

Die richtige Seite

Mit seiner öffentlichen Kritik an Israel hielt er sich in der Sendung nicht zurück. Hier gehe es nicht nur um Geld oder Militärhilfe, um die er Israel gebeten habe, sondern auch darum, auf der richtigen Seite zu stehen, erklärte Selenskyj.

Dieser Punkt ist eher kompliziert, wegen des ebenfalls höchstkomplizierten Konfliktes in Syrien, der bereits seit 2011 andauert. Israel will unter allen Umständen verhindern, dass sich der Iran vor seiner Haustür verschanzt. An dieser Stelle kooperiert Jerusalem mit Moskau. Mehr Hilfe für die Ukraine, vor allem in Form von Waffensystemen, würde das Verhältnis nicht verbessern.

Verminderung des Drucks

Hinzu kommt: Die Ukraine wird bereits von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, inklusive der Bundesrepublik Deutschland, massiv unterstützt, auf mehreren Ebenen. Auch daher kann sich das kleine Israel seine Position vielleicht leisten. Mit der humanitären Hilfe, die der jüdische Staat bereits leistet, und den angekündigten Kommunikationssystemen hofft Israel vermutlich auf eine Verminderung des Drucks aus Kiew, den es bisher allerdings weiterhin erfährt.

Abgesehen vom Draht zu Moskau, der in Syrien wichtig erscheint, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, gibt es einen weiteren Aspekt, der Israel davon abhalten könnte, etwa Drohnen oder andere Waffen zu liefern. Neue israelische Technologien sollen nicht in die Hände der Iraner fallen, und eventuell auch nicht in die der Russen. Dieses Risiko würde Jerusalem vermutlich nur eingehen, wenn es sich selbst verteidigen müsste, etwa gegen den Iran.

Austausch von Geheimdienstinformationen

Die Weigerung Israels, selbst defensive Waffen in die Ukraine zu schicken, hat also mehrere Gründe. Gleichgültigkeit gehört aber keineswegs dazu. Ministerpräsident Yair Lapid ist auch in Hinblick auf die Kooperation zwischen Moskau und Teheran besorgt. Unlängst erklärte er, diese gefährde die ganze Welt.

Für Wolodymyr Selenskyj ist die Enttäuschung dennoch bitter. In der israelischen Fernsehsendung antwortete er auf die Frage, ob Israel ein Partner der Ukraine sei, dies sei schwer zu beantworten. Dies verwundert etwas, auch da Kiew und Jerusalem unlängst Geheimdienstinformationen über iranische Drohnen austauschten.

Keine Vermittler benötigt

Selenskyj geht davon aus, dass Israel über seine öffentlich geäußerte Kritik nicht gerade begeistert ist. Das Interview, in dem er dies einräumte, wird die raue See bestimmt nicht glätten. Der ukrainische Präsident machte klar, Resultate seien für ihn ausschlaggebend. Daher habe er immer wieder, auf offiziellen und inoffiziellen Kanälen, um israelische Waffen gebeten.

Er reagierte auch auf Israels nach Beginn des russischen Angriffs angebotene Vermittlung im Krieg mit Moskau. »Wir brauchen keine Vermittler, sondern Partner und Freunde«, erklärte er. Zu Beginn des Angriffskrieges gab es offizielle Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau. Es war kaum überraschend, dass diese ergebnislos endeten und später nicht mehr aufgenommen wurden, denn den einzigen richtigen Weg, nämlich ein Ende des Angriffs, lehnt der Aggressor Russland ab. Einzig und allein zwei Vereinbarungen über Gefangenenaustausche gab es.

Keine Kompromisse mit Terroristen

Im Verlauf des Interviews übte Selenskyj immer wieder zum Teil harsche Kritik. Israel dürfe nicht zu den Ländern gehören, die wegblieben und dem in diesem Jahr geborenen Nazismus nichts entgegensetzten. Er räumte jedoch ein, dass die Politik Jerusalems mit »Angst« vor Putin zusammenhängen könnte.

Eine Absage erteilte er einer Einigung mit Moskau. »Mit Terroristen handle ich keine Kompromisse aus«, stellte Selenskyj klar.

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