Busbahnhof Tel Aviv

Schönes Monstrum

Viele Städter setzen nur dann einen Fuß in das Riesengebäude, wenn es absolut nicht zu vermeiden ist. »Zum Beispiel, wenn mein Auto kaputt ist und ich einen Bus nehmen muss, so wie jetzt«, sagt ein Mann und hastet weiter. Der Zentrale Busbahnhof im Süden von Tel Aviv ist als Labyrinth verschrien, aus dem es kein Entkommen gibt. Ausgänge gibt es zwar, doch die sind wahrhaftig schwer zu finden. Für Yonatan Mishal gehört das Verirren zur Besonderheit der Station. Er führt regelmäßig Besuchergruppen durch die Etagen und zeigt ihnen das Schöne im Hässlichen.

Während die meisten Tel Aviver ihn als Schandfleck sehen, ist er für andere Refugium, ja Zuhause geworden. Das gilt besonders für die Gastarbeiter aus den Philippinen, die sich in den Gängen ihre eigene Infrastruktur angelegt haben. »Für sie ist der Busbahnhof eine Stadt in der Stadt«, so der Tourguide. Es gibt Lebensmittelläden, Kleidergeschäfte mit speziellem Sortiment, Geldwechselstuben, Dienste von Anwälten und Übersetzern, eine Kirche, eine eigene Bank und jeden Samstag die obligaten Karaoke-Veranstaltungen mit Hunderten von Besuchern.

Auch Mishal fühlt sich wohl in der Unübersichtlichkeit. »Ich bin fast täglich hier und liebe dieses Bizarre und Außergewöhnliche.« Tatsächlich ist die Busstation das reinste Sammelsurium der Kuriositäten. Die Etage null, in der die Busse parken, steht heute unter Naturschutz. Nicht wegen der Vehikel, sondern wegen der Fledermäuse, die sich hier angesiedelt haben.

Shops Der Bau des Busbahnhofs begann 1967, fertiggestellt wurde er erst 26 Jahre später, 1993. Entworfen hat ihn der preisgekrönte israelische Architekt Ram Karmi, der auch das Oberste Gericht und das EL-AL-Gebäude designte. In »seine« Station ging er lediglich einmal, am Eröffnungstag, und dann nie wieder. Mishal erklärt, wie aus dem ursprünglich weitläufigen und übersichtlichen Bauplan ein völliges Durcheinander wurde: »Der Geldgeber sah offenbar eine wundervolle Einkommensquelle in dem Verkauf von Ladenflächen. Deshalb forderte er vom Architekten immer mehr Shops. Am Ende war es eine Busstation innerhalb eines Einkaufszentrums – allerdings keines sehr erfolgreichen.«

Denn nur knapp 40 Prozent der Geschäftsflächen werden genutzt. Der Großteil steht leer und trägt damit zur trüben Stimmung bei. Auch ist an allen Ecken Verfall zu sehen. Kaum etwas ist repariert, die Schilder sind oft abgeklebt und führen ins Nichts. Ebene zwei, die als grandiose Wartehalle für eine Million Menschen angelegt war, liegt abgesperrt und verlassen. »Eines der großen Probleme ist die Tatsache, dass die Station nicht nur einem Eigentümer gehört, sondern 3000 verschiedenen. Mindestens 80 Prozent von ihnen werden für eine Mehrheitsentscheidung benötigt. Doch die kommt nie zustande, denn viele von ihnen kann man nicht einmal erreichen«, erläutert Mishal.

Ein Desaster für den Zustand der Station – die immerhin mit einer Fläche von 240.000 Quadratmetern als größte der Welt gilt. »Und ganz sicher als unübersichtlichste«, wie Mishal hinzufügt. Läuft man alle Wege ab, hat man sieben Kilometer hinter sich gebracht. Einmal führte Mishal einen Regisseur von Horrorfilmen durch den Busbahnhof. »Der war ganz begeistert und sah schon die Meuchelmörder durch die Gänge schlurfen, Zombies in den sechs verlassenen Kinosälen ihr Unwesen treiben.«

Grusel Tatsächlich verströmen einige Bereiche der Station etwas arg Düsteres. Vor allem das verlassene Terminal der Buslinie Dan auf der ersten Ebene lädt niemanden zum Verweilen ein. »Zu jedem Bus führte ein schmaler Gang, genau wie in einem Flughafen der sogenannte Finger vom Gebäude direkt in die Maschine leitet«, weiß Mishal und muntert seine Teilnehmer auf, hinaufzugehen. »Gruselig«, murmelt eine Frau, die ihrem Mann die Tour zum Geburtstag geschenkt hat. »Offenbar hatte Karmi bei dem Bau an etwas Größeres gedacht als an einen läppischen Busbahnhof«, wirft der Guide ein und schmunzelt.

Doch die Fahrgäste wollten durch keine dunklen Gänge gehen und mieden die Etage. Daraufhin wurde die Ebene mit der Nummer sieben für die Busse von Dan gebaut. »Aber von dort fahren doch die Überlandbusse von Egged«, gibt ein Mann zu bedenken. »Stimmt«, bestätigt Mishal, »denn es gibt zwei Ebenen mit derselben Nummer. Allerdings existiert zwischen ihnen keinerlei Verbindung.« Die Teilnehmer schütteln ungläubig die Köpfe. »Warum?« Das wisse niemand so genau.

Happening Doch die Station ist nicht nur hässlich. Seit einiger Zeit liegt ein Gefühl von Wiederbelebung in der Luft: Etage fünf hat sich in den letzten Jahren zur Künstlerenklave gemausert. Maler und Graffitisprayer nutzen die niedrigen Mietpreise und veranstalten zweimal im Jahr ein internationales Happening mit Tausenden von Besuchern. Auch gibt es vier Theater, darunter ein jiddisches.

Die Ebene sieben der Überlandbusse ist lichtdurchflutet. An den Wänden haben sich 150 Streetart-Künstler verewigt. Junge Pärchen halten Händchen und bestaunen die Werke. Yonatan Mishal steht mittendrin und lächelt. Die Tel Aviver würden sich viel über den Busbahnhof den Kopf zerbrechen. Es gebe Initiativen, die für einen Abriss plädieren, und andere, die eine Umwandlung in ein Kulturzentrum fordern.

»Doch immer mehr sind überzeugt«, weiß Mishal aus persönlichen Gesprächen mit Verantwortlichen, »dass es so funktioniert, wie es ist. Es läuft zwar nicht alles perfekt, aber es läuft. Die zentrale Busstation ist wirklich ein Monstrum – aber eigentlich ein ganz schönes.«

Touren: www.ctlv.org.il

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