Israels Grenzen sind gefährdet. Doch es sind nicht immer nur die politischen und diplomatischen Probleme – weltweit in den Schlagzeilen –, die den Behörden Kopfschmerzen bereiten. Auch die weniger bekannten können eine ernsthafte Bedrohung darstellen – wie die derzeitige Gefahr durch einen unerwarteten Tollwut-Ausbruch im Norden des Landes. Denn Seuchen machen an Grenzen nur selten halt. Schakale aus dem benachbarten Jordanien schleppen die Krankheit ein. »Wir sind besorgt«, machte der Generaldirektor im Gesundheitsministerium, Mosche Bar Siman Tow, deutlich.
Bislang ist die Tollwut in der Gegend der Yisrael-, Beit-Schean- und Hamaajanot-Täler sowie rund um den Berg Gilboa aufgetreten. Doch auch in Obergaliläa sind Fälle bekannt geworden. Allerdings ist noch nicht bekannt, ob es sich um denselben Stamm des Virus handelt. Man hat Angst vor einer Epidemie. »Denn es braucht nicht viel, damit sie andere Orte erreicht«, weiß Bar Siman Tow. »Das Risiko, dass wir die Kontrolle verlieren, ist real. In dem Moment, wo die Tollwut die Haustiere erreicht, tritt dieser Fall ein. Denn es handelt sich um eine Krankheit, von der man stirbt. Ist man infiziert, gibt es keine Chance zu überleben.«
Wanderer Der Generaldirektor sorgt sich nicht nur um die Tiere in der Gegend, sondern auch um die Menschen, denn viele Israelis, die in den Norden zu Ausflügen fahren und durch die Landschaft spazieren oder wandern, seien sich der Gefahr in keiner Weise bewusst. »Dann kommen unbedachte Leute mit Wildtieren zusammen – und das kann schnell zu einer Katastrophe führen.«
Das Landwirtschaftsministerium gibt der diplomatischen Krise zwischen Israel und Jordanien die Hauptschuld. Denn während die Behörden gewöhnlich Impfstoff gegen die Seuche, in Tierfutter versteckt, auf beiden Seiten des Zaunes verteilen, geschah dies während des vergangenen Jahres nicht, da es Israelis zu dieser Zeit untersagt war, die Grenze zu überschreiten. Erst vor wenigen Tagen wurde die diplomatische Auseinandersetzung zwischen Jerusalem und Amman beigelegt. Nach Angaben des Ministeriums ergreife die Regierung im Haschemitischen Königreich keine Maßnahmen, um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Weder gebe es vorbeugende Impfaktionen für Haustiere noch eine systematische Tötung von kranken Wildtieren.
Bereits im Dezember des vergangenen Jahres hatte sich die Zahl der Meldungen von Tollwut vervierfacht. Während es in den Jahren 2014 bis 2016 insgesamt lediglich zwischen 14 und 29 Vorkommnisse gab, erhielten die Tierärzte im Dezember 2017 fast täglich Nachricht über das Auftauchen eines tollwütigen Tieres. Am Ende des Jahres waren es 74, und in den ersten drei Januarwochen wurden bereits 17 Fälle gemeldet.
Viren Die Erkrankung wird meist durch die Viren im Speichel des befallenen Tieres übertragen. Tollwut ist eine Infektion des Nervensystems durch das Rabiesvirus, die sich bis ins Gehirn ausbreitet. Das Verhalten der befallenen Tiere verändert sich dramatisch. Die normalerweise menschenscheuen Schakale begeben sich dann in die Nähe von Häusern und deren Bewohnern und bedrohen diese mit extrem aggressivem Verhalten. Oft beißen sie. Nach etwa zehn Tagen verenden die Tiere. Jährlich sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation immer noch 55.000 Menschen an Tollwut, die meisten in Entwicklungsländern. Bei Menschen hilft allerdings noch eine Impfung unmittelbar nach einem Biss oder einer Verletzung, doch wenn sich die ersten Symptome zeigen, gibt es meist keine Rettung mehr. In Israel liegt es bereits 16 Jahre zurück, dass jemand an Tollwut gestorben ist.
Die angespannte Lage ist mittlerweile sogar in der Knesset angekommen. Während einer Sitzung des Wirtschaftskomitees beschuldigte der Vorsitzende Eitan Cabel (Zionistische Union) das Landwirtschaftsministerium, für den Ausbruch ver-
antwortlich zu sein, weil es nicht umgehend ein Notfallteam eingesetzt habe. Er drohte sogar mit einer offiziellen Nachforschung, sofern nicht sofort Schritte eingeleitet würden. »Wenn es nicht zu einem besseren Umgang mit der Lage kommt, wird diese Geschichte eine Untersuchung nach sich ziehen«, wetterte Cabel.
Köder Das Ministerium ordnete daraufhin an, in den betroffenen Gegenden vermehrt Köder mit Impfstoff auszulegen sowie den Haltern von Hunden die Verabreichung des Mittels kostenlos anzubieten und streunende Katzen zu impfen. Tausende standen bei den Tierärzten Schlange. Auch wurden Informationsblätter auf Hebräisch und Arabisch an alle Haushalte in dem Gebiet verteilt.
Die Natur- und Parkbehörde jedoch hebt ein anderes Problem hervor, das ihrer Meinung nach für die Ausbreitung der Tollwut verantwortlich sein könnte. Mehr als 3000 Schakale leben heute in dem betroffenen Gebiet, bis vor einigen Jahren jedoch war es ein Bruchteil dessen. Je größer die Zahl, desto anfälliger sind die Tiere für Krankheiten, da auch die Schwächeren überleben. Die Behörden dünnen diese Zahl aus, denn sie sei viel zu hoch, meint deren Direktor Schaul Goldstein. In den vergangenen Wochen wurden ungefähr 1400 Tiere erschossen.
Gründe für den Tollwut-Befall seien auch mangelndes Bewusstsein und Hygiene, erklärt Goldstein. Denn in der Natur würden gar nicht so viele Tiere überleben. »In offenen Abfallstellen und Mülleimern der Menschen aber finden die Schakale ungehindert Fressen, und dadurch wächst die Population über jedes Maß hinaus.«