Analyse

Syrien: Rebellen gegen den Diktator von Damaskus

Islamistische Rebellen von Hayat Tahrir al-Sham patrouillieren am eroberten Flughafen von Aleppo. Foto: picture alliance / Middle East Images

Mit dieser Entwicklung hätten wohl die wenigsten gerechnet: Nach Vormärschen von islamistischen Rebellengruppen verlor das syrische Regime unter Präsident Baschar al-Assad am Wochenende die Kontrolle über Aleppo, Syriens zweitgrößte Stadt und wirtschaftliches sowie kulturelles Zentrum des Landes.

Derzeit scheint die Dynamik auf der Seite der Aufständischen zu liegen. Sie brachten die Provinz Idlib vollständig unter ihre Kontrolle und mittlerweile auch die zentralen Teile der Millionenstadt Aleppo sowie Orte in der Umgebung. Es sind die größten Gebietsgewinne der Rebellen seit acht Jahren. Zuvor war es weitgehend ruhig in dem Nahostland gewesen. Es herrschte weder Krieg noch Frieden. Das lag vor allem daran, dass Assad die Opposition immer wieder niederschlug. Nicht durch die Stärke seines eigenen Militärs, sondern hauptsächlich durch verschiedene mächtige Unterstützer: Russland, Iran und Hisbollah.

Rebellen nutzten Machtvakuum aus

Es schien die Ruhe vor dem Sturm gewesen zu sein. Offenbar nutzten die Rebellen ein Machtvakuum in Nahost für ihre Angriffe. Der Iran ist abgelenkt durch die Verluste im Kampf mit Israel, die Hisbollah ohnehin nach einem Jahr des Konfliktes mit Israel stark geschwächt und Russland mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt. Gleichwohl machte Moskau bereits klar, dass es Assad unterstützen werde, und feuerte verstärkt aus der Luft gegen die Rebellen.

Doch wer sind die syrischen Aufständischen? Professor Eyal Zisser, Vizerektor und Experte für den Libanon und Syrien an der Tel Aviv Universität, erklärt: »Es sind dieselben Gruppen, die bereits im Bürgerkrieg auftauchten. Führend dabei ist die Nusra-Front, die sich heute Hayat Tahrir al-Sham nennt (HTS). Ursprünglich bekannte sie sich zum Islamischen Staat und Al Qaida, doch sie teilte sich auf und fokussiert sich heute auf Syrien. In gewisser Weise sind sie viel moderater und pragmatischer geworden.«  

Der Anführer der HTS, Mohammad al-Jolani, sagte sich seit 2017 angeblich los vom globalen Terror. »Einige der Rebellen sind unsere direkten Nachbarn, sie kontrollieren seit Jahren die Golanhöhen auf syrischer Seite und sorgen in der Grenzregion für Ruhe.«

Das Assad-Regime reagiert mit Luftschlägen auf die Vorstöße der Rebellen, wie hier in der Stadt Idlib.Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Während es keine offiziellen Kontakte gibt, befindet sich Israel bereits seit Jahren im Dialog mit Gruppen entlang der Grenze der beiden Länder, weiß der Experte. »Der Bürgerkrieg begann mit Aufständen in ländlichen Gegenden, und oft entstanden Milizen in den Dörfern. Israel hatte Kontakt zu einigen lokalen Gruppen und leistete beispielsweise medizinische Hilfe.«

Am Samstagabend sprach ein Offizier der Rebellengruppen im israelischen Kanal 12 und erklärte, man wolle verhindern, dass sich die Hisbollah in Syrien einnistet und dort stärker wird. »Das ist logisch«, sagt Zisser, denn die Schiitenmiliz sei ein Verbündeter des Diktators in Damaskus und somit der Feind der Rebellen. Zwar sei es überraschend gewesen, dass das Regime in Aleppo fiel, meint er, »doch im Allgemeinen ist es sehr schwach. Zwar hat es noch die Unterstützung seiner alawitischen Minderheit im Land, aber die stellt nur etwa 13 Prozent der Bevölkerung«.

Lesen Sie auch

»Teheran wird versuchen, Assad zu retten«

Könnte es sein, dass der Iran diese Lage ausnutzt? »Definitiv. Er könnte seine Präsenz in Syrien ausweiten, und das ist etwas, das Israel Sorge bereitet.« Syrien sei wichtiges Verbindungsglied zwischen dem Iran und der Hisbollah. Würde das Land aus der Achse fallen, gäbe es keinen direkten Kontakt mehr. »Und so wird Teheran versuchen, Assad zu retten.«

Ob das, was in Aleppo geschieht, bedeutende Auswirkungen für Israel haben wird, müsse man abwarten, resümiert Zisser. »Derzeit konzentrieren sich die Player auf Syrien und haben allesamt große Probleme. Wir müssen sehen, ob Assad tatsächlich fallen wird oder ob der Status quo so weitergeht. Doch es ist zu früh, das zu sagen – die Rebellen haben uns wirklich überrascht.«

Meinung

Eurovision: Mobbing statt Musik

Eigentlich versteht jeder, dass Musiker nicht mit ihren Regierungen identisch sind. Wenn es um den jüdischen Staat geht, scheint diese Logik jedoch nicht zu gelten

von Sabine Brandes  07.12.2025

Israel

Ein zarter Neuanfang

Bei seinem Antrittsbesuch in Jerusalem wollte Bundeskanzler Friedrich Merz das zuletzt stark belastete Verhältnis zum jüdischen Staat kitten. Ist es ihm gelungen? Eine Analyse

von Philipp Peyman Engel  07.12.2025

Gesellschaft

»Hamas hält letzte Geisel als Faustpfand«

Anti-Regierungsproteste lösen die wöchentlichen Kundgebungen zur Befreiung der Geiseln ab

von Sabine Brandes  07.12.2025

Jerusalem

Netanjahu: »Stellen Sie sich vor, jemand würde Deutschland vernichten wollen«

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz lobte der Premierminister Bundeskanzler Merz als verständigen Gesprächspartner und rechtfertigte Israels hartes Vorgehen gegen die Hamas

 07.12.2025 Aktualisiert

Gaza

Clanchef und Hamas-Gegner Abu Shabab ist tot

Der Milizanführer Yasser Abu Shabab sei am Wochenende bei einem »internen Streit« erschossen worden, heißt es

von Sabine Brandes  07.12.2025

Geschichte

Heimat für die Jeckes

Das »Museum des deutschsprachigen jüdischen Erbes« bekommt an der Universität Haifa ein neues Zuhause

von Sabine Brandes  07.12.2025

Yad Vashem

Merz: »Wir werden die Erinnerung lebendig halten«

Es ist einer der wichtigsten Antrittsbesuche für Kanzler Merz. Der zweite Tag in Israel beginnt für ihn mit dem Besuch eines besonderen Ortes

 07.12.2025

Israel

Herzog: Israel entscheidet selbst über Netanjahu-Begnadigung

US-Präsident Trump hat wiederholt eine Begnadigung des wegen Korruption angeklagten israelischen Regierungschefs Netanjahu gefordert. Israels Staatspräsident Herzog hat eine klare Meinung dazu

 07.12.2025

Jerusalem

Merz: Deutschland wird immer an der Seite Israels stehen

Der Bundeskanzler bekräftigt bei seiner Israel-Reise die enge Partnerschaft. Am Sonntag besucht er die Yad Vashem und trifft Premierminister Netanjahu

von Sara Lemel  07.12.2025 Aktualisiert