Am Abend des 6. Oktobers 2023 waren Guy Gilboa-Dalal und Alon Ohel zwei junge Israelis mit Plänen und Träumen, voller Leben. Doch dann überfielen die mordenden Horden der Hamas das Nova-Musikfestival, auf dem die beiden tanzten. Sie wurden von Terroristen verwundet und nach Gaza verschleppt. Am vergangenen Freitag, genau 700 Tage nach ihrer brutalen Entführung, veröffentlichte die Hamas nun ein Propagandavideo, das die beiden zeigt. Sie wirken darin ausgemergelt und extrem schwach.
Vom 24-jährigen Alon Ohel ist es die erste Aufnahme seit der Verschleppung vor fast zwei Jahren. Zwar konnten freigelassene Geiseln seiner Familie Lebenszeichen von ihm geben, doch zu sehen war er nie. Vor allem durch die Berichte der ehemaligen Geiseln Eli Sharabi und Eliya Cohen war bekannt geworden, dass er an den Augen verletzt sei und nach ihrer Freilassung allein und angekettet in einem Tunnel unterhalb des Gazastreifens gefangen gehalten werde.
Die Familien der beiden Geiseln haben sich entschieden, nur kurze Ausschnitte des Videos zu veröffentlichen, um das Schicksal ihrer Angehörigen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Der Rest, so erklärten sie, sei zu schmerzhaft zum Anschauen.
Gilboa-Dalals Familie genehmigte einen 28-sekündigen Ausschnitt, Ohels Eltern baten darum, Aufnahmen von ihrem Sohn gar nicht zu verbreiten. Sie wollten erst Experten zu seinem Gesundheitszustand konsultieren und dann entscheiden. Danach gaben sie ein Bild frei.
Erschütternde Erinnerung und Hoffnungsschimmer
Für die Familien ist der Clip sowohl eine erschütternde Erinnerung als auch ein Hoffnungsschimmer, ein neues Zeichen, dass ihre Liebsten noch am Leben sind. Das Video, vermutlich am 28. August aufgenommen, zeigt Guy Gilboa-Dalal, wie er in einem Auto durch Gaza-Stadt gefahren wird, hinter ihm sind Trümmer von Gebäuden zu sehen. Der 22-jährige aus Kfar Saba im Zentrum des Landes spricht sichtlich verzweifelt eine eindringliche Bitte aus: »Es ist alles, was wir wollen: Wir wollen zu unseren Familien zurückkehren. Bitte holt uns zurück!«
Er sagte, er werde in Gaza-Stadt festgehalten und äußerte die große Angst, die ihm Albträume bereite, angesichts der Ausweitung der israelischen Offensive getötet zu werden. Außer ihm seien noch acht weitere Geiseln in Gaza-Stadt, ihr aller Leben sei in Gefahr, so die Geisel weiter.
Gilboa-Dalal werde Berichten zufolge im Herzen von Gaza-Stadt festgehalten, wo israelische Truppen mittlerweile fast die Hälfte des Zentrums besetzt haben und - nach entsprechenden Warnungen und Ankündigungen - Gebäude sprengen. Die palästinensische Zivilbevölkerung ist aufgefordert worden, die eng besiedelte Stadt zu verlassen.
CNN berichtete später, dass man die Aufnahmen untersucht habe und zu dem Schluss gekommen sei, der Israeli habe sich zumindest während der Aufnahmen tatsächlich in Gaza-Stadt aufgehalten.
»Guy, Alon und andere Geiseln wurden nach Gaza gebracht, und wir sind in großer Sorge um ihr Leben. Sie müssen nach Hause geholt werden«, erklärte Familie Gilboa-Dalal anschließend. Ein Freund sagte in einem Interview: »Guy hat nicht nur Angst, durch die Hände seiner Entführer zu sterben, sondern auch durch die Bomben, die ihn eigentlich retten sollen.«
Idit und Kobi Ohel: »Wir waren schockiert über seinen Zustand. Nach Rücksprache mit Augenärzten in Israel und im Ausland ist klar, dass Alon auf seinem rechten Auge blind ist.«
Alons Eltern Kobi und Idit Ohel teilten nach der Veröffentlichung des Videos, dass Alon auf einem Auge wohl nicht mehr sehen könne. »Wir waren schockiert über seinen Zustand. Nach Rücksprache mit Augenärzten in Israel und im Ausland ist klar, dass er auf dem rechten Auge blind ist. Sein häufiges Blinzeln deutet darauf hin, dass er Schwierigkeiten hat, über längere Zeiträume zu fokussieren und zu sehen.«
»Früher war er voller Licht«, so seine Mutter mit gebrochener Stimme. »Jetzt weiß ich nicht, ob er das Licht überhaupt noch sehen kann.« Alon ist ein talentierter Klavierspieler, der vorhat, Musik zu studieren. Die Eltern betonen, dass das Völkerrecht die Hamas verpflichte, die in ihrer Obhut befindlichen Zivilisten medizinisch zu versorgen.
Doch die Hamas erlaubt weder medizinische Versorgung noch Besuche von Hilfsorganisationen. Aussagen von freigelassenen Geiseln zeichneten immer wieder ein erschütterndes Bild der inhumanen Haftbedingungen der beiden Männer: angekettet in engen feuchten Tunneln, ohne Sonnenlicht und frische Luft, in katastrophalen hygienischen Zuständen, fast verhungert sowie physisch wie psychisch gefoltert.
Emotionale Reaktionen nach Video
Die Aufnahmen lösten in Israel emotionale Reaktionen aus: Das Forum für die Familien von Geiseln reagierte mit der Forderung, jeder, der wirklich alle 48 Geiseln zurückbringen wolle, müsse sofort an den Verhandlungstisch zurückkehren. »Der Vorschlag, der auf die Antwort der israelischen Regierung wartet, muss vorangetrieben und für eine umfassende Vereinbarung zur Freilassung aller Geiseln genutzt werden.«
Am Freitag, dem 700. Tag seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023, veranstaltete das Forum eine Kundgebung auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv, um die Regierung zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zu drängen. Noch immer sind 48 Menschen in der Gewalt der Hamas. 20 von ihnen sollen noch am Leben sein.
Premierminister Netanjahu verurteilte das Video als »grausame Propaganda«. Er habe ausführlich mit den Eltern der beiden Geiseln gesprochen, teilte sein Büro mit. Der Krieg könne unter den von Israel gestellten Bedingungen sofort beendet werden, hob er hervor: der Freilassung aller lebenden und toten Geiseln, der Entwaffnung der Hamas, der Entmilitarisierung Gazas und der Einrichtung einer israelischen Sicherheitskontrolle. Er fügte hinzu: »Kein teuflisches Propagandavideo wird uns entmutigen oder von unserer Entschlossenheit abbringen, diese Ziele zu erreichen.«
US-Präsident Donald Trump hatte am Freitag verkündet, man befinde sich »in sehr intensiven Verhandlungen mit der Hamas über eine Vereinbarung zur Freilassung der Geiseln«. Um dann hinzuzufügen, dass er gehört habe, dass einige der als lebend geltenden Geiseln »kürzlich gestorben« seien. Er hoffe, das stimme nicht. Oppositionsführer Yair Lapid plädierte für neue Verhandlungen und erklärte: »Wir müssen alles tun, um sie nach Hause zu holen.«
Die Cousine von Alon Ohel sagte nach der Videoveröffentlichung: »Die Aufnahme sollte uns zeigen, dass sie noch leben. Aber alles, was ich sehen kann, ist, dass der Tod näherkommt.«