Jom Hasikaron

Pause von der Trauer

Nicht alleine gelassen: Angehörige am Grab eines getöteten Soldaten Foto: Flash 90

Amir Zohar starb im Kugelhagel bei einer Auseinandersetzung zwischen der israelischen Armee und Palästinensern in Jericho. Der Reserveoffizier hinterließ eine Frau, einen siebenjährigen Sohn und vierjährige Zwillinge. Der Tod des 34-Jährigen ist schon lange her – 14 Jahre. Aber die Zeit hat den Schmerz seiner Familie nicht gelindert. Im Gegenteil: Seine Kinder spüren die Lücke jedes Jahr mehr.

Sein Sohn Amir hielt bei seiner Barmizwa eine ergreifende Rede: »Ich verstehe heute mehr, als ein vier Jahre alter Junge es kann. Ich begreife, dass nichts den Verlust des Vaters ersetzen kann. Immer, wenn ich jemanden ›Vater‹ rufen höre, wird mir bewusst, dass ich mich nicht erinnern kann, wann ich dieses Wort zum letzten Mal gesagt habe. Oder dass mein Vater mich nach Hause bringt, so wie der Vater meines Freundes es tut. Onkel, Tanten, Großvater und Großmutter, Vaters Freunde – alle versuchen, den leeren Platz zu füllen. Sie umgeben mich mit Liebe und handeln, wie ein Vater es tun würde – aber man kann es eben nicht damit vergleichen, wie es mit meinem Vater wäre. Überhaupt nicht.«

Amir ist nur einer von zahlreichen Waisen in Israel. Insgesamt gibt es nach Angaben des Büros für Statistik derzeit rund 8000 Witwen und Waisen sowie etwa 17.000 Familien, die um einen Angehörigen trauern, der bei einem Einsatz als Soldat getötet oder Opfer eines Anschlags wurde. Damit sie ihren Verlust nicht alleine bewältigen müssen, gibt es Organisationen, die ihnen zur Seite stehen. Eine davon ist die »IDF Widows and Orphans Organization« (IDFWO), die einzige vom Staat Israel anerkannte Vereinigung. Das Ziel ist soziale, emotionale und finanzielle Hilfe.

pessachcamp So organisiert die IDFWO jedes Jahr seit 2011 zu Chanukka, Pessach und Sukkot Feriencamps für die Kinder. So wie erst vor Kurzem in den Pessachferien, als 150 Waisen aus dem ganzen Land fünf Tage zusammen in Eilat verbracht haben. Für viele dieser Kinder und Jugendlichen ist es eine Erleichterung, mit Menschen zusammen zu sein, die das gleiche Trauma haben.

»Ich kann meine Geschichte und meine Ängste teilen, und jeder versteht mich«, berichtete etwa die 13-jährige Emily Nastarenko, deren Vater 2002 in Gaza getötet wurde. Auf dem Programm stand Wandern, ein Besuch bei Delfinen und einfach »rumhängen und reden«, beschrieb es ein Student aus den USA, der zusammen mit anderen als Betreuer fungierte. Auf den ersten Blick seien die Kinder und Jugendlichen wie alle, sagte er. »Aber dann merkt man, dass im Hintergrund eine andere Geschichte versteckt ist.«

Es war das erste Mal, dass sich amerikanische Freiwillige mit um die Waisen kümmerten. Das war eine gute Erfahrung, betonte Nava Shoham-Solan, Vorsitzende der IDFWO, gegenüber israelischen Medien. »Ich denke, es ist auch für die jungen Amerikaner wichtig, wenn sie Kinder kennenlernen, die ihren Vater aufgrund eines Armee-Einsatzes verloren haben, und zu sehen, wie sie diesen Verlust verarbeiten.«

Verantwortung Während die Kinder für ihre Trauer Zeit haben, drängt sich der Alltag erbarmungslos in den Schmerz der Ehefrauen und Mütter. Auf ihnen lastet von einem Tag auf den anderen die ganze Verantwortung: Erziehung und Zukunft der Kinder, der Unterhalt der Familie.

Die Witwe eines 2006 im Libanon gefallenen Soldaten erzählt von ihren Gefühlen und wie ihr die Unterstützung einer anderen Frau geholfen hat: »Rivka kam zu mir in einem meiner schwersten Momente. Die Schiwa war vorbei, die Besucher waren gegangen, und ich blieb allein mit meinen beiden Kindern zurück. Meine Gedanken kreisten: Was muss ich denn jetzt tun? Wo soll ich die Kraft hernehmen? Ich fühlte mich entsetzlich allein in dieser grausamen Welt. Dann kam Rivka wie ein Engel. Viele Leute hörten mir damals zu, aber nur sie hat mich auch verstanden, weil sie die gleichen Erfahrungen hat wie ich.«

Seitdem ist Rivka, die ihren Mann im ersten Libanonkrieg verloren hat, nie wieder von der Seite der Witwe gewichen. Unter dem Motto »Eine Witwe adoptiert eine Witwe« sorgen bei der IDFWO Frauen dauerhaft füreinander. Besonders in emotionaler Hinsicht. »Viele haben Probleme mit den Kindern. Alle trauern und brauchen Hilfe«, so die Erfahrung bei der IDFWO. Die Frauen helfen dabei, Perspektiven zu finden, und sie sind da, wenn jemand krank ist.

Zuschüsse Die IDFWO sorgt auch dafür, dass die Frauen sich erholen können. »Meist fällt ein Urlaub einfach weg in so einer Situation, dabei wäre Entspannung dringend nötig«, meint die Vorsitzende. Aber viele Frauen wollen nicht wegfahren, weil es sie an die gemeinsamen Urlaube mit dem Mann erinnert, weil das Geld fehlt und die Zeit. Jedes Jahr unterstützt die IDFWO deshalb Hunderte von Ferienaufenthalten für die Witwen, die sie – wie ihre Kinder in den Camps – mit Menschen verbringen, die ihr Schicksal teilen.

Die finanzielle Unterstützung reicht von Darlehen, Stipendien bis zu einmaligen Zahlungen sowie Zuschüssen für Familienfeiern wie Barmizwa und Hochzeiten. Bei Letzteren etwa bekommen die Frischvermählten Geld für die ersten Anschaffungen wie Möbel für eine Wohnung, damit sie eine Sorge weniger haben, wie Nava Shoham-Solan es ausdrückt. Das Gleiche gelte für Witwen, die nach dem Tod ihres Ehemannes allein für die Familie sorgen müssten. Sie bekommen kurzfristige Darlehen und werden von Fachleuten beraten.

Die Organisation wurde 1991 gegründet und hat 50 Mitglieder, die alle für vier Jahre gewählt werden. Aus deren Mitte werden die sieben Mitglieder des Vorstandes berufen. Derzeit sind es sechs Frauen und ein Mann, die verantwortlich sind. IDFWO betreut derzeit 5000 Witwen und 3000 Waisen und bringt einmal im Jahr ein Magazin heraus. Und sie mischt aktiv in der Politik mit.

So hat IDFWO erreicht, dass Witwen auch nach einer Hochzeit mit einem anderen Mann weiterhin eine Rente vom Staat erhalten. Und die Vorsitzende Nava Shoham-Solan setzt sich dafür ein, dass auch Ultraorthodoxe zum Armeedienst herangezogen werden, um die Lasten gerechter zu verteilen. Als sie die Petition dafür vor zwei Jahren unterzeichnete, schrieb sie Folgendes hinzu: »Vor 30 Jahren im Alter von 29 wurde ich Witwe. Seitdem gibt es die ›alte‹ Nava nicht mehr.«

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