Israel ist das erste Land der Welt, das Auffrischspritzen gegen das Coronavirus verabreicht. Zunächst wurden sie den über 60-Jährigen gegeben, jetzt erhalten auch Menschen ab 50 Einladungen, in die Impfzentren zu kommen. Insgesamt haben innerhalb weniger Tage bei der sogenannten »Impf-Blitzaktion« mehr als eine Million Israelis die dritte Dosis des Impfstoffs von BioNTech-Pfizer erhalten.
Die Kampagne, die vor zwei Wochen begonnen hatte, dauere mittlerweile lang genug, um wertvolle Daten zu liefern, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. »Und die Ergebnisse sind sehr erfolgversprechend.« Personen, die ihre dritte Spritze erhalten haben, seien einer ersten Untersuchung zufolge zweieinhalb Mal besser vor einer Infektion geschützt als jene mit nur zwei. Der Zusatzschutz entfalte seine volle Wirkung etwa eine Woche nach der Impfung.
Zugleich steigen die Fälle durch die Delta-Variante des Coronavirus und die Zahl der Schwerkranken in den Krankenhäusern Israels noch immer an. Doch die Experten sind vorsichtig zuversichtlich und meinen, dass sie schon bald zurückgehen könnten. Am Dienstag befanden sich 559 Patienten in ernstem Zustand, 89 wurden künstlich beatmet. Am Montag wurden 8646 Fälle vom Gesundheitsministerium gemeldet. Die Positivrate bei den Tests liegt mittlerweile bei 6,2 Prozent.
Dabei liegt die Zahl der ungeimpften schwerkranken über 60-Jährigen mit 151,5 Menschen pro 100.000 wesentlich höher als die der geimpften mit 19,3. Bei jenen, die eine erste Impfung erhalten haben, liegt diese Zahl bei 40,9.
NOTSITUATION »Das Vakzin ist die effektivste Methode, um Delta zu bekämpfen und unsere Gesundheit, Wirtschaft und tägliche Routine zu schützen«, fasste Gesundheitsminister Nitzan Horowitz (Meretz) zusammen. Es sei genug für alle da. »Eine Million Geimpfte in zwei Wochen ist gut – aber nicht genug. Das einzige Mittel, um einen Lockdown zu vermeiden, ist es, sich impfen zu lassen.«
Außerdem hatte das Kabinett am Freitag beschlossen, dass Kinder mit dem neuen Schuljahr in den Schulen geimpft werden. Die Entscheidung ist nicht unumstritten. »Wir befinden uns in einer Notsituation und werden alle Anstrengungen unternehmen, jeden zu impfen, der geimpft werden kann.« Bildungsministerin Yifat Shasha-Biton (Neue Hoffnung) hatte es als »Verbrechen« bezeichnet, dass Schulen zu Impfzentren werden sollen. Später stellte sie klar, dass sie sich lediglich gegen Impfungen während des Schulbetriebs ausspricht.
Die Forscher fanden Muster von Traurigkeit, Angst und Ekel und einen Rückgang von Freude.
Zugleich erließ das Kabinett neue Beschränkungen, vor allem bei Reisen und Versammlungen. Israelis ab zwölf Jahren müssen jetzt Impfzertifikate vorzeigen, um Kultur- oder Sportveranstaltungen, Schwimmbäder oder Restaurants zu besuchen. Alle, die nicht geimpft werden können, darunter auch Kinder ab drei Jahren, müssen ein negatives Testergebnis für den Eintritt vorlegen.
Ende der vergangenen Woche berichtete das Shamir-Krankenhaus in Beer Yaakov, dass es keine Corona-Patienten mehr aufnehmen könne, da die Station ausgelastet sei. Auch andere Hospitäler im Zentrum des Landes schickten Patienten nach Jerusalem, wo es derzeit eine geringere Belegung gibt.
NETZWERKE Währenddessen leidet auch das Gesundheitspersonal an den Folgen der Corona-Krise. In einer neuen Studie, die von der Ben-Gurion-Universität (BGU) durchgeführt wurde, berichten Mitglieder über ihre Sorgen. In der größten israelischen Untersuchung innerhalb von sozialen Netzwerken wurden mehr als 53.000 Posts des Nachrichtendienstes Twitter ausgewertet. Diese Tweets hatten Ärzte, Krankenschwestern und Sanitäter auf Hunderten von Accounts geschrieben.
Dabei habe man herausgefunden, so die BGU, dass die mentale Gesundheit der Angestellten im Gesundheitswesen erheblich von Covid-19 beeinflusst wird. Die Forscher fanden Muster von Traurigkeit, Angst und Ekel in den Tweets sowie einen merklichen Rückgang bei der Wahrnehmung von Freude. Rund 44 Prozent der entsprechenden Tweets im Jahr 2020 drehten sich auf diesen Accounts um das Thema Covid-19, Informationen dazu und medizinische Erkenntnisse.
»Die Tweets der Beschäftigten im medizinischen Bereich waren im vergangenen Jahr von großer Angst kurz vor Pandemie-Wellen geprägt«, erläutern die Leiter der Studie, Rami Puzis von der Fakultät für Ingenieurwesen für Informationssysteme und Odeya Cohen vom Bereich Krankenpflege an der BGU. »Das zeigt uns, dass viele der Betroffenen – nicht nur aus dem epidemiologischen Bereich – die pandemische Entwicklung bereits frühzeitig erkannten.« Sie seien sogar ausreichend qualifiziert, um sie vorauszusehen, meinen die Forscher.
warnung »Unsere Erkenntnisse sollten eine Warnung für alle Organisationen im Gesundheitswesen sein. Die Betroffenen brauchen mehr Unterstützung für ihre mentale Gesundheit und Hilfe im Umgang mit den emotionalen Konsequenzen durch die Pandemie«, hebt Puzis hervor. »Entscheidungsträger könnten davon profitieren, mehr in das Gesundheitswesen zu investieren, damit dessen Angestellten besser zugehört werden kann. Auf diese Weise könnten Gesundheitskrisen von unten erkannt werden.«
Die bahnbrechende Forschung zeige, meinen die Forscher der BGU, dass eine Analyse von Daten aus sozialen Netzwerken als Methode hilfreich sei, um Erkenntnisse aus dem Bereich der Gesundheit während des Routinebetriebs und auch in Notsituationen zu ziehen. Die Studie wird im »Journal of Medical Internet Research« veröffentlicht. Die Untersuchung wurde von der Taskforce der BGU und vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie gefördert.
Im Mai hatten die Bediensteten im Gesundheitswesen gegen die Entscheidung der damaligen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu gestreikt, die Gelder für den Kampf gegen die Covid-Pandemie zu kürzen. Die neue Koalition in Jerusalem mit Ministerpräsident Naftali Bennett an der Spitze dagegen beschloss mit dem neuen Haushalt eine Aufstockung des Gesundheitsbudgets in Höhe von 650 Millionen Euro.