Premierminister Benjamin Netanjahu hat sich am Donnerstagabend mit einer Ansprache an das Volk gewandt und der Öffentlichkeit versprochen: »Israel bleibt eine Demokratie, und die Menschenrechte werden gesichert«.
Er wolle jedoch trotz der massiven Proteste der Opposition mit der höchst umstrittenen Reform des Justizsystems wie geplant voranschreiten und jetzt sogar »persönlich involviert« sein. Die Opposition lehnt derweil jegliche Gespräche ab, so lange die Gesetzgebung nicht gestoppt wird.
BEDROHUNGEN »Bürger Israels«, begann Netanjahu, »vor einigen Monaten, als die Ergebnisse der Wahlen bekannt wurden, sagte ich: ›Ich beabsichtige, der Premierminister aller Bürger Israels zu sein‹. Ich meinte es damals und meine es heute noch. Wir haben ein Land, und wir müssen alles tun, um es vor äußeren Bedrohungen und vor irreparablen inneren Gräben zu schützen«.
Die Gegner der Reform seien keine Verräter, die Befürworter keine Faschisten, führte er aus. »Die überwältigende Mehrheit der Bürger Israels aus dem gesamten politischen Spektrum liebt unser Land und möchte unsere Demokratie bewahren.«
»Die Gegner der Reform sind keine Verräter, die Befürworter keine Faschisten.«
premierminister benjamin netanjahu
Seine Regierung werde den legislativen Durchmarsch zur Schwächung der Justiz aber nicht stoppen. Stattdessen kündigte er an, dass er trotz der Entscheidung der Generalstaatsanwältin über Interessenkonflikte von nun an direkt in den Prozess eingebunden sein werde. »Bis heute waren mir die Hände gebunden. Doch genug ist genug. Ich werde beteiligt sein.«
Das ist ihm möglich, da die Knesset in der Nacht zuvor ein Gesetz festschrieb, dass es schwerer macht, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Es war die erste Gesetzesänderung im Rahmen der Reform, die vom Parlament abschließend gebilligt wurde. Die Opposition verurteilte das neue Gesetz als »unanständig und korrupt«.
Der Premier ging in seiner Rede auch auf die Sicherheitslage ein, die dem Establishment wegen der Ankündigung von Reservisten, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, große Sorgen bereitet. Er habe sich mit mehreren Ministern getroffen, darunter dem Verteidigungsminister. Dabei betonte er, dass es keinen Platz für die Dienstverweigerung gebe. »Dies gefährdet unsere nationale Sicherheit und die persönliche Sicherheit eines jeden von uns.«
BRÜDER Netanjahu schloss mit den Worten, dass er alles tun werde, »um die Situation zu beruhigen und die Spaltung der Nation zu beenden, denn wir sind Brüder«. Wenige Stunden darauf stieg er ins Flugzeug und brach zu einem Wochenendbesuch nach London auf, wo er Gespräche mit seinem britischen Amtskollegen Rishi Sunak führen soll – und wo bereits Demonstrationen gegen seine rechtsreligiöse Regierung angekündigt sind.
Der Premierminister versuchte, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen, indem er anerkannte, dass sowohl Befürworter als auch Gegner des Gesetzes berechtigte Bedenken haben. Doch schon am Sonntag wird seine Regierung versuchen, einen der kontroverstesten Teile des Plans zu verabschieden: den Vorschlag, Ernennungen des Obersten Gerichtshofs direkt der Kontrolle der regierenden Koalition zu unterstellen. »Das Gesetz kontrolliert das Gericht nicht, es gleicht es aus und diversifiziert es«, behauptete Netanjahu.
»Netanjahu entschied sich, seinen Verteidigungsminister, wichtige Geheimdienste, Zehntausende von Reservesoldaten und eine Wirtschaftskrise zu ignorieren.«
oppositionsführer yair lapid
Bei der Opposition kam die Rede alles andere als gut an. Oppositionsführer Yair Lapid twitterte, sie sei »unzusammenhängend und voller Lügen« gewesen. »Netanjahu entschied sich heute Abend, seinen Verteidigungsminister, wichtige Geheimdienste, Zehntausende von Reservesoldaten und eine Wirtschaftskrise zu ignorieren.«
Protestorganisatoren gaben an, Netanjahus Aussagen würden die Demonstrationen weiter verschärfen. Man habe »eine bizarre Darstellung eines angehenden Diktators gesehen, der, anstatt die Gesetzgebung zu stoppen, sich beeilt, Richter zu ernennen und eine feindliche Übernahme des Obersten Gerichtshofs plant«, so die Erklärung.
SCHWEIGEN Der ehemalige Verteidigungsminister und Chef des Bündnisses Nationale Einheit, Benny Gantz ist derweil sicher, dass die Barriere des Schweigens im Likud bröckele. Zuvor hatte er Gespräche mit Abgeordneten des Likud und ultraorthodoxen Parteien geführt, darunter mit Verteidigungsminister Yoav Gallant (Likud).
Gallant hatte am frühen Donnerstagabend zunächst angekündigt, sich öffentlich äußern zu wollen. Israelische Medien spekulierten daraufhin, dass er sich gegen die Regierungspläne stellen wolle. Als Reaktion darauf bestellte Netanjahu ihn in sein Büro in Jerusalem.
Kurz darauf sagte der Verteidigungsminister die Pressekonferenz ab und ließ wissen: »Sie ist auf unbestimmte Zeit verschoben«.