Jerusalem

Netanjahu verschiebt Justizreform

Premierminister Benjamin Netanjahu Foto: Flash90

Premierminister Benjamin Netanjahu hat in einer Ansprache an die Nation am Abend erklärt, dass er die geplante Reform der Justiz verschieben werde. Er tue dies aus »nationaler Verantwortung«. Die Verweigerungen von Reservisten in der Armee würden »uns auseinanderreißen«, sagte er in einer kurzen Fernsehansprache.

ZUSTIMMUNG Während Netanjahu sprach, demonstrierten etwa Hunderttausend Israelis vor der Knesset gegen die Reform, einige Zehntausend gingen zum ersten Mal auf die Straßen, um ihre Zustimmung dafür zu bekunden. Rechtsgerichtete Politiker hatten die Menschen aufgerufen, zu Demonstrationen für die Regierungspolitik nach Jerusalem zu kommen.

Neben den Demonstrationen hatte es am Montag einen Generalstreik in Israel gegeben, unter anderem war der Ben-Gurion-Flughafen geschlossen, sämtliche Flüge waren gestrichen. Auch Krankenhäuser, Universitäten und Kommunen beteiligten sich.

Netanjahu verglich die Situation in Israel mit der Geschichte des Urteils von König Salomon und sagte: »Beide Seiten sagen, dass sie das Baby lieben, dass sie unser Land lieben«.

»Es gibt eine echte Möglichkeit, für den Dialog, damit ein breiter Konsens entstehen kann.«

premier benjamin netanjahu

Er gebe eine echte Möglichkeit, für den Dialog, fuhr er fort, »damit ein breiter Konsens entstehen kann«. Eine Reform müsse geschaffen werden, doch er wolle nicht, dass das Land »in Stücke gerissen wird.« Dann betonte der Premierminister: »Es darf auf keinen Fall einen Bürgerkrieg geben.«

Er lobte die rechtsgerichteten Demonstranten, die spontan gekommen seien, und rief dann alle Protestierenden auf, »verantwortungsvoll und ohne Gewalt« ihre Stimme zu erheben.

VERWEIGERUNG »Eine Sache bin ich nicht bereit zu akzeptieren: eine Minderheit von Extremisten, die bereit sind, unser Land in Stücke zu reißen und uns in den Bürgerkrieg zu führen. Sie fordern die Verweigerung des Militärdienstes, was ein schreckliches Verbrechen ist«, sagte Netanjahu noch.

Die Fraktion Religiöser Zionismus habe ihn zuvor gedrängt, sich nicht dem Druck von »Anarchisten« zu beugen und den Gesetzgebungsprozess auf jeden Fall fortzusetzen, berichteten israelische Medien. Auch Justizminister Yariv Levin (Likud), einer der Hardliner in Sachen Justizreform, hatte mit Rücktritt gedroht, falls die Gesetzgebung gestoppt würde. Am frühen Montagabend hieß es dann jedoch, dass er »jede Entscheidung« des Premierministers respektieren werde.

Netanjahu schloss damit, dass er die Worte von Benny Gantz vernommen habe und seine Hand ausstrecken wolle, um einen Dialog zu beginnen. Gantz, ehemaliger Verteidigungsminister, hatte wiederholt zu einer Diskussion aufgerufen, um eine Einigung herbeizuführen, und sich in den vergangenen Tagen mit einigen Vertretern des Likud und von charedischen Parteien getroffen.  

Im Anschluss an die Rede meldete sich Gantz vom Bündnis Nationale Einheit zu Wort. Er sagte, es müsse aufhören, dass das Volk Israels auseinandergetrieben und gegeneinander aufgehetzt werde. »Wir lassen das nicht zu.«

VERANTWORTUNG Die Politik – Regierung und Opposition – hätte eine Verantwortung, und niemand hat das Recht, diese zu ignorieren. Leider gebe es auch in diesen Stunden zynische und extremistische Politiker, so Gantz.  Er forderte, dass Verteidigungsminister Yoav Gallant, den Netanjahu einen Tag zuvor entlassen hatte, wieder in sein Amt zurückkehren könne. Netanjahu hatte sich dazu nicht geäußert.

Auch Gantz machte unmissverständlich klar, dass es keinen Bürgerkrieg geben dürfe. »Ihr seid alle meine Brüder, ich will euch alle sehen und hören.« Daher sei er bereit, in die ausgestreckte Hand von Netanjahu einzuschlagen. »Denn ich will, dass wir in einem jüdischen, demokratischen und liberalen Staat Israel leben.«

Auch Oppositionsführer Yair Lapid äußerte sich und hob hervor, er habe die Zusage an die Gespräche mit der Regierung mit Gantz koordiniert. Zwar schränkte er ein, dass man »bei diesen Gesprächspartnern Vorsicht walten lassen« müsse, aber »wir haben die Verantwortung, dies zusammen zu lösen – weil wir hier auch zusammen leben müssen«.

Israels Präsident Isaac Herzog begrüßte das vorübergehende Aussetzen der umstrittenen Justizreform. »Es ist richtig, die Gesetzgebung zu stoppen. Jetzt ist es an der Zeit, einen aufrichtigen, ernsthaften und verantwortungsvollen Dialog zu beginnen, der die Wogen dringend glätten und die Temperatur senken wird«, teilte Herzog am Montagabend mit. Er rief alle Seiten zu einem »verantwortungsvollem Handeln« auf. »Wenn eine Seite gewinnt, wird der Staat verlieren. Wir müssen ein Volk und ein Staat bleiben - jüdisch und demokratisch.«

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