Ganz Israel wartet an diesem Montag darauf, zu sehen, wie die letzten Geiseln nach Hause kommen. Ab fünf Uhr morgens bereits versammeln sich Hunderte auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv, eingehüllt in israelische Flaggen mit dem gelben Schleifenlogo. Um neun Uhr sollen es schon mehr als 60.000 Menschen sein, die hier die historische Freilassung aller Geiseln aus Gaza feiern wollen.
Viele lachen, schwenken Flaggen und Poster mit den Gesichtern der Geiseln, die nach 738 Tagen in unmenschlichen Bedingungen in der Gewalt der Terrororganisation Hamas in Gaza überleben mussten. »Wir können endlich wieder lachen«, sagt eine Frau, die ein T-Shirt der Zwillinge Gali und Ziv Berman, israelisch-deutsche Doppelstaatsbürgern, von denen es nie ein Video gegeben hatte. Zurückgekehrte Geiseln berichteten aber, dass sie die beiden lebend in Gaza getroffen hätten. »Ich habe vor Aufregung nicht eine Minute zu spüren.«
Kurz vor acht Uhr israelischer Zeit, wurde bekannt, wer in der ersten Übergabe freikommen soll: Es sind die Israelis Alon Ohel, Matan Angrest, Eitan Mor, Gali und Ziv Berman und Omri Miran. Auf dem Platz bricht Jubel aus, als die Namen unten im Bildschirm eingeblendet werden.
Die Anspannung ist bereits am Sonntag im ganzen Land zu spüren. Denn niemand weiß genau, in welchem Gesundheitszustand sich die lebenden Geiseln befinden und welche Verstorbenen übergeben werden.
»Wir wissen wirklich nicht, wie es Alon geht«, sagt die Tante des Deutsch-Israelis Alon Ohel, Noga Gur-Arie, die im Wohnhaus in Lavon im Norden des Landes mit Dutzenden Angehörigen und Freunden auf die Freilassung des 24-Jährigen. »Wir wissen nur, dass er verletzt wurde, aber nicht, wie und ob er behandelt wurde.« Es besteht große Sorge um das Augenlicht des jungen Klavierspielers.
Sie habe am frühen Morgen die Eltern in Richtung der Militärbasis Re’im verabschiedet. »Sie hatten ein Dauerlächeln auf den Lippen. Aloni wird die festeste Umarmung der Welt bekommen«, erzählt sie und sagt dann: »Alon, wir haben dich so sehr vermisst.«
Erste Männergruppe soll um 7 Uhr freigelassen werden, die zweite Gruppe um neun Uhr
Am Tag zuvor hatte es Verwirrung um die Zeiten der Übergabe gegeben. Teilweise hieß es sogar, dass die 20 oder 22 lebenden Geiseln am Sonntag nach Hause kommen könnten. Doch in der Nacht wurde klargestellt, dass die ersten Männer am Montagmorgen um sieben Uhr deutsche Zeit und eine zweite Gruppe um neun Uhr freikommen soll.
Später wurden in die israelischen Wohnzimmer Live-Bilder des katarischen Senders Al-Jazeera übertragen, wie sich Jeeps des Roten Kreuzes innerhalb des Gazastreifens bewegen. Die Stimmung wurde immer angespannter. Es wurden auch Bilder gezeigt, wie ein Traktor mit einem Sarg darauf anfuhr. Auf einem Platz wurden Palästina-Flaggen aufgehängt.
»Doch es sind gemischte Gefühle, die wir haben«, sagt Zamir Haimi, der Cousin der verstorbenen Geisel Tal Haimi aus dem Kibbuz Nir Yitzhak, der an der Straße nach Re’im steht, um die Rückkehrer zu begrüßen. »Wir freuen uns so für die Familien, die endlich ihre Liebsten umarmen können. Doch für uns sind es auch sehr schwere Stunden. Denn wir wissen nicht einmal, ob wir Tal überhaupt zurückbekommen.«
Haimi meint, dieser Tag »ist noch nicht das Ende« der Tragödie des 7. Oktobers. »Wir müssen alle zurückbringen, auch die letzte Geisel. Und dann müssen wir daran arbeiten, dass wir das Land heilen und die Gesellschaft wieder zusammenbringen. Damit Israel wieder so wird, wie wir es kennen.«