Der staubige Boden ist bedeckt mit »Garinim«, Sonnenblumenkernen. Sie sind fester Bestandteil israelischer Fußballkultur, und ihre Schalen liegen nach jedem Spiel auf dem Boden der Tribünen. Wer je ein Fußballspiel in Israel besucht hat, erinnert sich vielleicht eher an das leise Knacken unzähliger Schalen als an das Ergebnis.
Auch als Maccabi Petach Tikwa im Oktober 2005 in der UEFA-Pokal-Gruppenphase gegen den italienischen Verein US Palermo in Ramat Gan spielte, hörte man dieses typische Geräusch. Es war eines der ersten Fußballspiele, das ich in Israel live im Stadion gesehen habe. Petach Tikwa verlor an diesem Abend 1:2 und schied mit null Punkten als Gruppenletzter aus. Fast schon exemplarisch für Leistungen israelischer Mannschaften im internationalen Geschäft – dabei ist Fußball der populärste Sport in Israel.
Die sportlichen Erfolge Israels sind überschaubar
Die sportlichen Erfolge des kleinen Landes sind, nüchtern betrachtet, überschaubar. Die Nationalmannschaft der Herren konnte sich zuletzt 1970 in Mexiko für die Endrunde einer Weltmeisterschaft qualifizieren. Trotz einzelner, zweifelsfrei hochbegabter Spieler wie Yossi Benayoun oder Manor Solomon blieben internationale Höhepunkte weitgehend aus. Das gilt auch für die europäischen Vereinswettbewerbe; dort schaffen sie es nur selten über die Gruppenphase hinaus. Ähnlich sieht es bei den israelischen Frauen aus. Sie konnten bisher weder bei einer WM noch bei einer EM ihr Land repräsentieren. Und doch pilgern jedes Wochenende Tausende Menschen in die Stadien des Landes.
Fußball ist in Israel mehr als ein Spiel. Er ist ein soziales Phänomen und ein kultureller Fixpunkt – er ist Identität. Von den Straßen Jerusalems bis zu den Bars in Tel Aviv, von Haifa im Norden bis Beer Sheva im Süden: Überall trifft man leidenschaftliche Fans. Die Begeisterung ist tief verwurzelt, generationsübergreifend und von einer Mentalität getragen, die nicht von sportlichen Erfolgen abhängig ist.
Die Begeisterung trifft allerdings auf eine immer bedrohlicher werdende Realität. Bereits vor dem 7. Oktober 2023 kam es bei Auswärtsspielen israelischer Klubs in Europa immer wieder zu anti-israelischen und antisemitischen Anfeindungen, so beispielsweise beim Conference-League-Spiel von Maccabi Haifa beim FC Union Berlin. Besonders das Europa-League-Spiel von Maccabi Tel Aviv im November 2024 in Amsterdam sorgte für Schlagzeilen, die mit der Partie gegen Ajax nur wenig zu tun hatten. Maccabi-Fans wurden aus antisemitischen Motiven durch die Straßen der Stadt gejagt. Zeitgleich sorgten Teile des Maccabi-Anhangs durch rassistische Vorfälle ebenfalls für einen Skandal.
In Birmingham wurde ein Gästefanverbot für Maccabi Tel Aviv erlassen.
Die britischen Behörden nahmen die Vorfälle in Amsterdam zum Anlass, um ein kollektives Gästefanverbot im Vorfeld des Europapokalspiels in Birmingham zwischen Aston Villa und Maccabi Tel Aviv auszusprechen. Man begründete das mit der Sicherheit, da der Schutz der israelischen Fans wohl nicht gewährleistet werden könne.
Auch die UEFA sucht noch nach dem richtigen Umgang
Auch der europäische Fußballverband UEFA sucht noch nach dem richtigen Umgang mit dem Mitglied Israel: Seit rund einem Monat wurde keine Entscheidung über einen möglichen Ausschluss des israelischen Verbandes getroffen. Dass der jüdische Staat überhaupt Teil der UEFA ist, geht auf den Ausschluss aus dem asiatischen Fußballverband zurück, nachdem sich mehrere arabische Staaten geweigert hatten, gegen Israel anzutreten.
Doch Anfeindungen sorgen keineswegs dafür, dass sich der israelische Fußball abschottet: Ganz im Gegenteil, er zeigt sich sogar dann besonders offen, wenn er auf andere Länder trifft. Viele fußballbegeisterte Israelis reisen für Spiele nach Europa oder begleiten ihren israelischen Verein im europäischen Wettbewerb. Gerade Deutschland mit seinen kreativen Fankurven im Profi- und Amateurbereich erfreut sich großer Beliebtheit.
Das erlebte ich selbst im Juli 2023: Der FC St. Pauli hatte Hapoel Tel Aviv zum Freundschaftsspiel geladen. Schon in der Nacht zuvor feierten Fans des israelischen Klubs im Hamburger Kiez. Bis in die Morgenstunden stimmten sie hebräische Fangesänge an und zündeten Pyrotechnik vor der Szenebar »Jolly Roger«. Die antifaschistisch geprägten Fans des Bundesligisten und des israelischen Arbeitervereins sind seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden.
Ein deutsch-israelisches Fanbündnis baut Brücken
Es ist nicht das einzige deutsch-israelische Fanbündnis, das Brücken zwischen beiden Ländern baut. Nach dem 7. Oktober waren vor allem die Ultra-Gruppe »Brigade Malcha« und die Fanszene von Maccabi Haifa präsent. Zusammen mit den mit ihnen befreundeten Ultras des SV Werder Bremen »Infamous Youth« und »Ultra’ Boys« kämpften sie unermüdlich für die Freilassung des Hapoel-Fans Hersh Goldberg-Polin und der mit Maccabi Haifa verbundenen Sprayerin Inbar »Pink« Hayman, die von der Hamas verschleppt und ermordet wurden. Nach den Massakern der Hamas entwickelten sich zudem freundschaftliche Kontakte zwischen den Fangruppen »Wildes Gebilde« und »Eugenios Bande« vom 1. FSV Mainz 05 zur Ultra-Szene von Hapoel Beer Sheva.
Die Erinnerungen an jenes Spiel im Juli 2023 am Hamburger Millerntor erscheinen beinahe surreal, wie aus einer anderen Welt. Gerade einmal drei Monate später erfolgte der Angriff der Hamas auf Israel, dann der Krieg in Gaza. Inzwischen erleben wir nicht nur eine brüchige Waffenruhe, sondern auch, dass die deutsch-israelische Freundschaft zwischen den Ultras bei Teilen der Fans von St. Pauli umstritten ist.
Damals schien es möglich, dass der Fußball für einen Moment Grenzen vergessen lässt. Heute steht er als verbindendes Element zwischen Israel und Europa auf dem Prüfstand. Ob er künftig wieder stärker Brücken zwischen israelischen und europäischen Fans bauen kann, bleibt offen – aber ich hoffe es!
Der Autor ist Publizist in Berlin und schreibt regelmäßig über Fußball.