Jerusalem

Koalition vor dem Aus?

Israelische Polizisten versuchen im März 2019 bei einer Kundgebung von ultra-orthodoxen Juden gegen die Wehrpflicht Demonstranten von der Straße zu entfernen. Foto: picture alliance/dpa

Die Gerüchteküche der Knesset brodelt über: Steht die Koalition in Jerusalem kurz vor dem Aus? Seit Tagen bereits beraten ultraorthodoxe Knessetabgeordnete mit ihren Rabbinern hinter verschlossenen Türen, ob sie die von Premier Benjamin Netanjahu angeführte Regierung verlassen sollen. Der Grund: Ein Gesetz zur Wehrpflicht von Charedim.

Die ultraorthodoxen Parteien verlangen kategorisch eine Befreiung vom IDF-Dienst für ihre jungen Männer, die an Jeschiwas studieren. Doch immer mehr Mitglieder der Koalition sprechen sich dagegen aus, vor allem im Hinblick des noch immer andauernden Krieges in Gaza, bei dem Hunderttausende Reservisten, viele fast pausenlos, Dienst leisten.  

Derzeit verweigern die charedischen Parteien bereits an einem Tag der Woche die Abstimmung mit der Koalition über Gesetzesvorschläge, um eine Befreiung zu erzwingen. Der Abgeordnete der Partei Vereintes Tora-Judentum (UTJ), Mosche Gafni, hatte dem Büro des Premierministers jetzt jedoch mitgeteilt, dass seine Partei die Maßnahmen gegen die Koalition verschärfen werde, falls es bis Dienstagabend keine Fortschritte bei der Gesetzgebung gebe.

Charedische Parteien boykottieren Abstimmungen

Es wird nun erwartet, dass die Partei ihren Abstimmungsboykott in der Knesset, der sich bisher auf Gesetzesentwürfe von Abgeordneten beschränkt, auf staatlich geförderte Gesetze ausweiten wird.

Am Dienstag war zudem eine »Frist« abgelaufen, die mehrere Anführer der Charedim gesetzt hatten: Sollte es bis nach den Schawuot-Feierlichkeiten keinen Kompromiss zu einem Wehrpflichtgesetz geben, wollen sie die UTJ auffordern, die Koalition verlassen.

Einer von ihnen, Rabbiner Mosche Hillel Hirsch, Vorsitzender der litauischen Fraktion der UTJ, warnte, er werde die Abgeordneten zum Rücktritt aus der Regierung auffordern, falls es keine nennenswerten Fortschritte gebe.

Schas-Quelle: »Wenn die Koalition nach dem Sommer wieder zusammentritt, wird sie sich in einem sehr fragilen Zustand befinden.«

Am selben Abend hatten sich die Chefs der ultraorthodoxen Parteien mit dem Vorsitzenden des Knesset-Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung, Yuli Edelstein (Likud), getroffen, um einen Kompromiss für das Gesetz auszuhandeln. Es wurde keiner gefunden. Edelstein spricht sich schon lange für eine Einberufung ultraorthodoxer Männer in die IDF aus.

In sämtlichen israelischen Medien wurden am Mittwochmorgen ultraorthodoxe Quellen zitiert, die davon ausgehen, dass dies der »Anfang vom Ende der Koalition« sei. Sie seien sich bewusst, dass es keine Mehrheit für eine komplette Befreiung der Charedim geben werde, doch Netanjahu wolle sie weiter hinhalten. Ein Rabbiner sagte in der Tageszeitung Haaretz: »Die Frage ist nun nur noch, wie lange dieses Ende dauert.«

Bau- und Wohnungsbauminister Yitzchak Goldknopf vom UTJ dränge derweil auf einen sofortigen Austritt aus der Regierung, schreibt Times of Israel. Parteiquellen zufolge habe er von seinem religiösen Oberhaupt bereits die Anweisung erhalten, die Koalition zu verlassen – unabhängig von der weiteren Entwicklung in der Sache.

In den vergangenen 24 Stunden hätten Goldknopf und seine Kollegen versucht, ein Gesetz zur Auflösung der Knesset voranzutreiben. Dies würde zum de facto Zusammenbruch der Netanjahu-Regierung führen und dennoch Zeit für eine Einigung schaffen, während die Knesset drei Abstimmungen abhält, die für ein Auflösungsgesetz erforderlich sind.

Ultraorthodoxer Minister trifft sich mit Opposition

Der Stabschef von Goldknopfs Ministerium habe sich mit Benny Gantz, dem Vorsitzenden der oppositionellen Nationalen Einheitspartei getroffen, wird berichtet. Die beiden hätten die Möglichkeit diskutiert, ein Gesetz zur Auflösung der Knesset voranzutreiben.

Da die Koalition 68 Sitze hat, wird der Verlust der sieben Abgeordneten des Vereinten Tora-Judentums die Regierung möglicherweise nicht stürzen. Allerdings gibt es noch eine weitere strengreligiöse Partei in der Koalition: Schas. Die hielt sich bislang mit Aussagen zurück, ob sie sich einem Regierungsaustritt anschließen würde. Allerdings verlangt auch die Schas eine Ausnahme von der Wehrpflicht für Ultraorthodoxe.

Ein Schas-Minister, der anonym bleiben wollte, wurde in Haaretz mit den Worten zitiert: »Das vernünftigste Szenario ist, dass die Koalition bis zum Ende der Sommersitzung Ende Juli zusammenbleibt und die Knesset über die Feiertage [im Herbst] pausiert.« Er fügte jedoch hinzu: »Wenn die Koalition danach wieder zusammentritt, wird sie sich bereits in einem sehr fragilen Zustand befinden – wegen des Wehrpflichtgesetzes oder wegen anderer politischer Ereignisse.«

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