Regierung

Kabinett der Chaoten

Der Tourismusminister ist gleichzeitig Chef der Polizei, der Einwanderungsminister auch der von Jerusalem, die Justizministerin ist gänzliche Newcomerin im Ressort, und der Wissenschaftsminister hat noch nie etwas mit Wissenschaft zu tun gehabt. Einen Außen-, Gesundheits- und Kommunikationsminister gibt es im Grunde nicht, dafür zwei Minister ohne Portfolio. Das Kabinett der 34. Regierung ist geprägt von einem wochenlangen Geschacher um Posten.

Hier wurde ein Minister hinzugefügt, dort einer von einem Posten abgezogen, den er erst vor zwei Wochen eingenommen hatte. Bis vor wenigen Tagen war das Kabinett unvollständig, selbst die Tageszeitungen kamen nicht mehr mit, zu erklären, wer in Jerusalem nun eigentlich wofür zuständig ist. Jetzt, mit dem jüngsten Rückzug des Likud-Abgeordneten Benny Begin, scheinen die Besetzungen endlich beendet – mehr als zweieinhalb Monate nach den Wahlen.

Logik Die Liste der kaum nachvollziehbaren Benennungen von Ministern ist lang. Doch wahrscheinlich entbehren sie lediglich für Außenstehende jeglicher Logik. Denn Premierminister Benjamin Netanjahu weiß, was er tut. Er vergab die Posten so, dass er mit seiner hauchdünnen Mehrheit (61 von 120 Sitzen) in der Knesset dennoch seine Macht sichert.

Innenminister ist Silvan Schalom vom Likud, der eine Zweistaatenlösung ablehnt. Dennoch soll er zukünftige Friedensgespräche mit den Palästinensern leiten. Die Wirtschaft leitet Schas-Vorsitzender Arie Deri, der vor rund zehn Jahren wegen Korruption im Gefängnis saß. Mosche Kahlon von Kulanu will es besser machen als sein Vorgänger im Finanzministerium, Yair Lapid. Vorkenntnisse hat er allerdings nur aus dem Kommunikationsressort.

Im Gesundheitsministerium gibt es einen Abgeordneten, der als Chef berufen ist. Der ultraorthodoxe Yaakov Litzman (Vereinigtes Tora-Judentum) will jedoch nicht am Kabinettstisch eines zionistischen Staates Platz nehmen. Deshalb lässt er sich maximal auf den Vize-Posten ein. Er agiert als Minister, tut aber so, als wäre er es nicht.

kritik Bedenken gibt es gegen die neue Justizministerin Ayelet Shaked vom Jüdischen Haus, die weder Jura studiert noch sonstige Vorkenntnisse des Rechtssystems hat. Auch die Benennung von Miri Regev als Sport- und Kulturministerin zog heftige Kritik, vor allem aus der Kunstszene, nach sich. Der Schauspieler Gavri Banai nannte sie »Behema« – Biest. Die Frau, die zum rechten Flügel des Likud gehört, leitete zuvor die Zensurbehörde des Militärs. Diese Fähigkeit will sie im neuen Job offenbar anwenden. Denn sie erklärte kurz nach Amtsübernahme: »In Filmen müssen Grenzen gesetzt werden. Ich werde niemanden mundtot machen, aber wenn wir zensieren müssen, dann tue ich es.«

Gegen den Kommunikationsminister fiel noch kein böses Wort. Denn es gibt ihn gar nicht. Jemand, der das Amt bekleidet, ist nirgends zu sehen. Man munkelt, dass der Premier es für sich selbst behalten will. Warum, sagt er nicht. Journalisten meinen, dass er die Medien auf Linie bringen möchte. Die Gratiszeitung »Israel Hayom«, die von dem amerikanischen Likud-Unterstützer und Kasinomagnaten Sheldon Adelson herausgegeben wird, hatte sich besonders im Wahlkampf für Netanjahu ausgezahlt. Nun will sich der Regierungschef sogar für einen Fernsehsender starkmachen, der nur eine Meinung vertritt: seine. Das zumindest behauptet die linksliberale Tageszeitung Haaretz.

Extrem aufgebracht ist Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat. Denn de facto wurde der erste Mann der Stadt entmachtet. Ihm vor die Nase gesetzt wurde Zeev Elkin mit dem Portfolio Jerusalem. Ein Amt, das, hätte Netanjahu Wort gehalten, gar nicht hätte besetzt werden sollen. Doch der Premier musste Elkin beschwichtigen, nachdem ihm das Amt des Sicherheits- und Strategieministers wieder weggenommen wurde, um einen anderen – Gilad Erdan – ins Kabinett zu holen. Barkat kocht vor Wut. In einem Schreiben erklärte er: »Es macht mich traurig, dass engstirnige politische Erwägungen zu einer massiven Verschwendung öffentlicher Gelder und zu überflüssiger Bürokratie führen, die unsere Versuche, Jerusalem zu fördern, behindern werden. Jerusalem ist kein Trostpreis.«

tora Ebenfalls chaotische Zustände herrschen – glaubt man Gerüchten aus den Botschaften in der ganzen Welt – im Außenministerium. Offenbar wissen die Diplomaten gar nicht, an wen sie sich wenden sollen. »Und das in Zeiten diplomatischer Probleme und Verstimmungen gegen Israel in der ganzen Welt«, unkte Yair Lapid. Zwar ist eine Vertreterin benannt, doch Tzipi Hotovely (Likud) wird von wenigen mit dem Respekt gesehen, der dieser Position gebührt. Die streng religiöse Frau sorgte bereits für Verwirrung, als sie den israelischen Gesandten vorgab, bei der Kommunikation mit ausländischen Regierungen mit Torazitaten zu antworten.

Dabei ist es nicht so, dass keiner diesen Chefsessel will. Die Likud-Abgeordneten Zeev Elkin und Gilad Erdan hätten sich beide gern als höchster Diplomat gesehen. Doch Netanjahu hatte vor, die Schlüsselposition zunächst zu behalten, um andere Parteien in seine Koalition zu locken und die Zahl der Regierungsmitglieder zu erhöhen.

Denn seit Ex-Außenminister Avigdor Lieberman die Koalition mit Netanjahu wegen dessen »Geschachers« verärgert aufkündigte, herrscht ein Vakuum. Oppositionsführer Isaac Herzog war der erste, der das Angebot ablehnte, Außenminister zu werden, und auch Yair Lapid machte klar: »Ich werde niemals in dieser fürchterlichen und unverantwortlichen Regierung sitzen.« Im selben Atemzug kündigte er an, zu politischen Treffen in die USA zu reisen. »Denn die Infrastruktur für die nächste Regierung«, so der Jesch-Atid-Vorsitzende verschwörerisch, »muss schon vorbereitet werden.«

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