Nach tagelanger Fahrt auf einem Segelschiff mit Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen sind Greta Thunberg und weitere Aktivisten kurz vor ihrem Ziel von der israelischen Armee gestoppt worden. Das Schiff werde von der Marine zur israelischen Küste geschleppt, die Passagiere sollten in ihre Heimatländer zurückkehren, teilte das israelische Außenministerium am frühen Morgen auf der Plattform X mit. Zuvor hatte das Bündnis Freedom Flotilla Coalition mitgeteilt, israelische Soldaten seien an Bord der »Madleen« gegangen.
Das israelische Außenministerium betonte, alle Passagiere des – abschätzig als »Selfie-Jacht« bezeichneten – Schiffs seien sicher und unversehrt. Sie seien mit Wasser und Sandwiches versorgt worden. »Die Show ist vorbei.«
Die Aktivisten hätten versucht, eine mediale Provokation zu inszenieren mit dem einzigen Zweck, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Ihre Ladung sei so geringfügig gewesen, dass sie nicht einmal einer Lkw-Lieferung mit Hilfsgütern entspreche. »Es gibt Wege, Hilfe in den Gazastreifen zu bringen – ohne Instagram-Selfies«, hieß es in der Stellungnahme.
»Die winzige Menge an Hilfsgütern auf der Jacht, die nicht von den ›Promis‹ aufgebraucht wurde, wird nun über echte Hilfskanäle in den Gazastreifen gebracht«, teilte das Ministerium weiter mit.
Das Bündnis Freedom Flotilla Coalition veröffentlichte auf X mehrere vorab aufgezeichnete Videos, in denen die Aktivisten an Bord ihre jeweiligen Heimatländer um Hilfe bitten. Sie seien von israelischen Kräften entführt worden, heißt es darin. Zuvor hatten die Aktivisten mitgeteilt, Drohnen würden das Schiff umkreisen und mit einer weißen, farbähnlichen Substanz besprühen. Zudem sei die Kommunikation über Funk gestört.
Israels Botschaft: »Ihr werdet Gaza nicht erreichen«
Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz hatte die Armee am Sonntag angewiesen, die Ankunft des Schiffes zu verhindern. »Der Staat Israel wird niemandem erlauben, die Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen«, verkündete Katz. In einer scharf formulierten Mitteilung hieß es zudem: »Der antisemitischen Greta und ihren Freunden, den Hamas-Propagandisten, sage ich ganz klar: Ihr solltet umkehren – denn ihr werdet Gaza nicht erreichen.« Israel hatte Aktivisten auch in früheren Fällen schon die Genehmigung verweigert, mit ihren Schiffen an der Küste des abgeschotteten Gazastreifens anzulegen.
Tagelange Fahrt durchs östliche Mittelmeer
Thunberg war mit elf weiteren Aktivistinnen und Aktivisten am 1. Juni von Sizilien aus in See gestochen, um mit dem Schiff dringend benötigte Hilfsgüter wie Babynahrung und medizinische Güter nach Gaza zu bringen. Zugleich wollten sie mit der Aktion internationale Aufmerksamkeit auf die humanitäre Notlage in dem dicht besiedelten Küstengebiet mit rund zwei Millionen Bewohnern richten. Nach der tagelangen Fahrt durchs östliche Mittelmeer wollten sie eigentlich am Montagmorgen an der Küste Gazas eintreffen.
Thunberg ist mit ihrem rigorosen Kampf für mehr Klimaschutz weltbekannt geworden. Die mittlerweile 22-jährige Schwedin engagiert sich seit längerem aber vor allem als Palästina-Aktivistin. Ihr Credo: Ohne soziale Gerechtigkeit könne es auch keine Klimagerechtigkeit geben.
Doch Greta Thunberg dämonisiert dabei immer wieder Israel. Rund zwei Wochen nach den Massakern vom 7. Oktober 2023, bei denen die Terroristen der Hamas rund 1200 Menschen ermordeten und 250 weitere als Geiseln nahmen, warf Thunberg Israel unter anderem vor, »ethnische Säuberungen« im Gazastreifen vorzunehmen. Die Hamas lässt sie Kritikern zufolge bei ihren Anschuldigungen außen vor.
Greta Thunberg hatte sich auf der »Madleen« mit Terror-Sympathisanten umgeben. An Bord war etwa der Brasilianer Thiago Avila, der Hassan Nasrallah, den getöteten Chef der libanesischen Terror-Miliz Hisbollah als »Märtyrer« bezeichnet. Die französische EU-Abgeordnete Rima Hassan, die mit Thunberg reiste, bezeichnete die Hamas als »Widerstandsbewegung«. Gegen die israelfeindliche Berliner Aktivistin Yasemin Acar erhob die Staatsanwaltschaft Anklage, weil sie Hamas-Parolen benutzt und Polizisten angegriffen haben soll.
Fast dreimonatige Blockade gelockert
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor 20 Monaten wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 54.800 Palästinenser im Gazastreifen getötet und verheerende Schäden angerichtet. Die Zahlen lassen sich jedoch nicht unabhängig überprüfen und unterscheiden nicht zwischen Terroristen und Zivilisten.
Israel hat die Lieferung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern im Zuge des Krieges gegen die islamistische Hamas fast drei Monate lang unterbunden, die Blockade zuletzt aber etwas gelockert. Damit will die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Hamas nach eigenen Angaben dazu bringen, die von ihr festgehaltenen Geiseln freizulassen.
Nicht der erste Versuch, die Gaza-Blockade zu durchbrechen
Nach der gewaltsamen Übernahme der Kontrolle im Gazastreifen durch die palästinensische Terrororganisation im Jahr 2007 hatte Israel seine Blockade des Küstenstreifens nochmals verschärft. Die von Ägypten mitgetragene Maßnahme wird von Israel mit Sicherheitserwägungen begründet. Die Hamas hat sich die Zerstörung des jüdischen Staats auf die Fahne geschrieben.
Immer wieder haben Aktivisten versucht, die Blockade auf See zu durchbrechen. Bei einer solchen Aktion im Jahre 2010 hatten israelische Soldaten das türkische Schiff »Mavi Marmara« geentert. Dabei griffen die Aktivisten - viele von ihnen hatten enge Verbindungen zur Hamas - die israelischen Soldaten mit Messern, Knüppeln und anderen Waffen an. Mehrere israelische Soldaten wurden verletzt. Neun Aktivisten kamen ums Leben.
Das israelische Außenministerium wies darauf hin, dass die Seezone vor Gaza Konfliktgebiet sei. »Unbefugte Versuche, die Blockade zu durchbrechen, sind gefährlich, rechtswidrig und unterminieren die derzeitigen humanitären Bemühungen.«
Armee: Leiche von Hamas-Führer identifiziert
Derweil wurde nach Angaben der israelischen Armee die Leiche des Hamas-Militärchefs Mohammed al-Sinwar identifiziert - der Bruder des einstigen, ebenfalls getöteten Hamas-Anführers Jihia al-Sinwar. Seine sterblichen Überreste seien in einem unterirdischen Tunnel unter dem Europäischen Krankenhaus in Chan Junis im Süden des Gazastreifens gefunden worden, hieß es.
Der Hamas-Anführer sei zusammen mit dem Kommandeur der Rafah-Brigade, Mohammed Sabaneh, bei einem Angriff am 13. Mai getötet worden. Beide hätten sich in einem unterirdischen Kommando- und Kontrollzentrum der Hamas versteckt gehalten.
In dem Tunnel seien verschiedene Gegenstände gefunden worden, die den beiden Männern gehörten, hieß es in der Mitteilung der Armee – ohne dass weitere Details genannt wurden. »Die Leichen weiterer Terroristen wurden während des Einsatzes entdeckt, ihre Identitäten werden gegenwärtig untersucht.«
Auch der israelische Ministerpräsident Netanjahu hatte zuletzt im Parlament gesagt, Mohammed al-Sinwar sei tot. Nachdem das israelische Militär den Hamas-Militärchef Mohammed Deif im vergangenen Jahr getötet hatte, war er zum neuen Chef der Kassam-Brigaden aufgestiegen - des bewaffneten Arms der Hamas. dpa/ja