Regierung

»Ich habe kein anderes Land!«

Während draußen vor der Tür mehr als 100.000 Menschen gegen die radikalen Änderungen im israelischen Justizsystem protestierten, stimmten im Innern der Knesset die Mitglieder des Verfassungs- und Gesetzgebungskomitees über die ersten zwei Teile ab. Mit neun zu sieben Stimmen wurden die umstrittenen Vorschläge angenommen und werden damit in den kommenden Tagen zur ersten Lesung in die Knesset gehen.

Doch auch im Innern des Saales war die Stimmung alles andere als ruhig. Abgeordnete der Opposition beschuldigten den Ausschussvorsitzenden Simcha Rothman von der ultrarechten Partei Religiöser Zionismus, er würde das Gesetzgebungsverfahren rücksichtslos durchziehen. Zuvor hatte er signalisiert, er sei bereit zu einem Dialog, schritt jedoch mit der Abstimmung voran.

LIED Parlamentarier von Jesch Atid und der Arbeitspartei begannen, auf die Tische zu klopfen, beschimpften Rothman und sangen das Lied »Ejn li eretz acheret…« (Ich habe kein anderes Land). Einige riefen immer wieder »Schande, Schande…«, bis sie von Knesset-Sicherheitspersonal aus dem Saal entfernt wurden. Abgeordnete der Koalitionsparteien kritisierten das Verhalten scharf.

Die geplanten Änderungen werden als Grundgesetze verabschiedet: Die Justiz gibt damit der regierenden Koalition die volle Kontrolle über alle Richterbesetzungen in Israel, denn das Gesetz ändert die Zusammensetzung des entsprechenden Auswahlausschusses. Demzufolge werden darin fünf von neun Mitglieder aus der Koalition kommen. Für die Ernennung der Richter ist eine einfache Mehrheit erforderlich.

»Ich begrüße die Initiative des Präsidenten, einen echten Dialog zu führen, bei dem es darum geht, das Justizsystem zu korrigieren.«

Ausschussvorsitzender simcha rothman

Eine kritische Klausel besagt zudem, dass der Oberste Gerichtshof nicht befugt sein wird, Grundgesetze auszuhebeln oder ihre Änderung anzuordnen. Gleichzeitig wäre es der Regierung mit der sogenannten Aufhebungsklausel möglich, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs mit einer knappen Mehrheit im Parlament aufzuheben. Damit wird das Gleichgewicht der Mächte zwischen Israels Judikative und Legislative stark verändert.

INITIATIVE Rothman hatte die Sitzung am Montagmorgen eröffnet, indem er den Kompromissaufruf von Präsident Isaac Herzog lobte. Er behauptete, dass die Kluft zwischen beiden Seiten nicht unüberwindbar groß sei. »Ich begrüße die Initiative des Präsidenten, einen echten Dialog zu führen, bei dem es darum geht, das Justizsystem zu korrigieren und die Beziehungen zwischen ihm und den verschiedenen Regierungsbehörden wiederherzustellen«, so Rothman.

Dennoch ignorierte er den Appell von Herzog, den Abstimmungsprozess für einige Wochen aufzuschieben, um einen Dialog zu ermöglichen.

Zur selben Zeit sprach Oppositionsführer Yair Lapid von der Zukunftspartei Jesch Atid vor der Knesset zu den Demonstranten, die sich an einem landesweiten Streik beteiligten, um gegen die Regierungspolitik zu protestieren.

Lapid forderte die führenden Köpfe des Likud auf, sich gegen den Premierminister zu erheben und die Justizrevision zu stoppen: »Avi Dichter, Yuli Edelstein, Yoav Galant, Nir Barkat, Israel Katz, Danny Danon, David Bitan, lassen Sie das nicht durchgehen. Sie können diese Katastrophe aufhalten«.

»Diese neue Gesetzgebung demontiert das System und errichtet an seiner Stelle eine Tyrannei der Mehrheit.«

vorsitzender nationale einheitspartei benny gantz

Auch der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Ya’alon, der mit Netanjahu in einer Regierung gesessen hatte, äußerte sich auf der Bühne. Er warf Netanjahu vor, »das ganze Land als Geisel genommen zu haben, um aus seinem laufenden Gerichtsverfahren herauszukommen«.

KOMPROMISS Nach der Abstimmung wandte sich der Vorsitzende der Nationalen Einheitspartei und ebenfalls ehemaliger Verteidigungsminister, Benny Gantz, an den Ausschuss. Er forderte Netanjahu auf, die Gesetzgebung zu stoppen und eine überparteiliche Arbeitsgruppe einzusetzen, damit ein Kompromissvorschlag formuliert werden könne.

»Diese neue Gesetzgebung demontiert das System und errichtet an seiner Stelle eine Tyrannei der Mehrheit«, sagte Gantz. »Doch das ist keine Demokratie.«

Große Hoffnung haben die Kritiker jedoch weder für Herzogs noch für Gantz‘ Aufruf. Denn Justizminister Yariv Levin (Likud) hatte unmittelbar nach der Ansprache des Präsidenten an die Nation klargemacht: »Wir stoppen nicht eine Minute«.

Nahost

Deutschland schickt Polizisten nach Jerusalem

Die Beamten sollen ausloten, wie Deutschland in den palästinensischen Gebieten lokale Sicherheitsbehörden weiter unterstützen kann

 12.11.2025

Israel

Haie vor Hadera

Warmes Abwasser aus einem Kraftwerk lockt im Winter die Fische an die Küste. Wissenschaftler fordern nun einen saisonalen Schutz, um gefährliche Begegnungen zwischen Mensch und Tier zu vermeiden

von Sabine Brandes  11.11.2025

Israel

Tausende bei Begräbnis von Hadar Goldin

Nach mehr als elf Jahren konnte die Familie Hadar Goldin endlich Abschied nehmen

 11.11.2025

Israel

Angela Merkel erhält Ehrendoktorwürde des Weizmann-Instituts

Die Altbundeskanzlerin wird wegen ihrer Solidarität mit dem Land und weiterer Verdienste geehrt. Wegen ihrer Israel-Reise wird sie nicht bei der Feier zum 70. Geburtstag von Kanzler Merz dabei sein

von Sara Lemel  11.11.2025

Gazastreifen

200 Hamas-Terroristen in Tunneln eingeschlossen

Die Terroristen weigern sich, zu kapitulieren, können sich aber ohne Duldung Israels nicht zurückziehen. Die USA suchen nach einer diplomatischen Lösung

 11.11.2025

Geiseln

»Meine Mutter hat mir Kraft zum Überleben gegeben«

Matan Zangauker hat erstmals über seine Gefangenschaft in Gaza gesprochen - über Schläge, Psychoterror und darüber, was der Kampf seiner Mutter für ihn bedeutete

 11.11.2025

Initiative

Knesset stimmt über Gesetz zu Todesstrafe ab

Wer in Israel tötet, um dem Staat und »der Wiedergeburt des jüdischen Volkes« zu schaden, soll künftig die Todesstrafe erhalten können. Das sieht zumindest ein umstrittener Gesetzentwurf vor

 11.11.2025

Westjordanland

Auslandsjournalisten entsetzt über Siedlergewalt

Die israelische Armee prüft die Berichte

 11.11.2025

Terror

Netanjahu: Israels Kampf gegen Feinde noch nicht vorbei

Laut Ministerpräsident Netanjahu beabsichtigen die Hamas und die Hisbollah weiterhin, Israel zu vernichten. Die Waffenruhe-Abkommen mit beiden will Israel demnach durchsetzen - solange diese gelten

 11.11.2025