Gaza

»Ich bin keine Heldin - ich habe einfach überlebt«

Auf dem Platz der Geiseln erinnert Doron Steinbrecher an das Schicksal der verschleppten Menschen. Foto: Flash90

An diesem Samstagabend lehnt Doron Steinbrecher an einem Geländer hinter der Bühne auf dem Platz der Geiseln. Sie ist eine zierliche junge Frau, trägt Jeans und T-Shirt. Gerade hat sie auf der Bühne gesprochen, wirkt entspannt. Am 7. Oktober 2023 war sie voller Panik, versteckte sie sich unter dem Bett im Sicherheitsraum ihrer Wohnung im Kibbuz Kfar Aza, zwei Wäschekörbe über dem Kopf, damit die Terroristen sie nicht sehen. Sie fanden sie doch und entführten sie. Nun spricht die Israelin zum ersten Mal über die Geiselhaft in Gaza.

Sie habe die Terroristen von draußen rufen gehört: »Iftah al-Bab – mach die Tür auf!«, berichtete sie in der israelischen Tageszeitung Yediot Acharonot. Doch Doron machte nicht auf. Sie flüsterte ihrer Mutter Simona Steinbrecher zu, die am anderen Ende der Leitung völlig verzweifelt und hilflos mitanhören musste, wie die Hamas ihre Tochter kidnappte.  

In der vergangenen Woche hat die 31-Jährige zum ersten Mal ihre zerstörte Wohnung besucht. An ihrer Seite die beiden ehemaligen Geiseln Romi Gonen und Emily Damari, auch sie aus Kfar Aza. Die drei Frauen waren zusammen aus Gaza freigekommen.

Der schwärzeste Tag in der Geschichte Israels

Zurück zum schwärzesten Tag in der Geschichte Israels: Doron habe plötzlich gehört, wie Männer das Fenster aufmachten. »Da wusste ich, dass sie drin waren.« Einer habe gesagt, »hier ist niemand«, doch dann seien sie zurückgekommen, weil sie realisiert hätten, dass jemand von Innen den Kühlschrank vor die Tür geschoben haben musste. »Sie schossen auf das Bett – die Kugel verfehlte meinen Kopf. Dann hoben sie die Matratze des Bettes an und sahen mich«, erinnert sich Doron Steinbrecher.

Vier bewaffnete Terroristen hätte sie unter dem Bett hervorgezogen, auf ein Regal gesetzt und durch das Fenster hinausbefördert. »Einer von ihnen war richtig wütend.« Ende November wurde sie im Rahmen eines vorübergehenden Waffenstillstands und eines Geiselabkommens freigelassen, im Zuge dessen auch Emily Damari und Romi Gonen nach Hause kamen.

»Ich wusste, dass ich nach Gaza gebracht wurde, und hoffte nur, dass sie mich nicht töten«, erzählte sie in dem Interview. »Ich versuchte, mich zu wehren, die Sache hinauszuzögern, in der Hoffnung, dass jemand käme – aber niemand kam.« Sie sei in einen Wagen geschoben worden. »Sie machten ein Selfie mit mir, als ob ich eine Trophäe bin.« Auf der Fahrt in die Palästinenserenklave habe sie emotional »völlig zugemacht«.

Doron Steinbrecher: »Gali und Ziv Berman wurden aus derselben Nachbarschaft geholt. Sie sind nicht zurückgekommen.«

»Ich sagte mir: ›Überlebe einfach. Lass sie machen, was sie wollen. Bleib einfach am Leben‹.« Auf die Frage, ob sie sich somit als Überlebende sehe, antwortet Steinbrecher: »Nein. Ich kann dieses Wort nicht ertragen. Genauso wenig wie ›Heldin‹. Ich habe nichts überwunden. Ich habe nichts gewonnen. Ich habe einfach nur überlebt. Ich bin zufällig zurückgekommen, weil ich als Frau geboren wurde. Gali und Ziv Berman wurden aus derselben Nachbarschaft entführt. Sie sind aber nicht zurückgekommen.«

Die Zwillinge, die wie Steinbrecher und Damari im Jugendviertel des Kibbuzes gelebt hatten, sind noch immer in der Gewalt der Hamas. Seit mittlerweile mehr als 650 Tagen. Es ist nicht bekannt, ob sie zusammen festgehalten werden.

50 Geiseln noch in Gaza

Die Hamas, die noch immer im Gazastreifen regiert, wenn auch stark geschwächt, weigert sich seit mehr als eineinhalb Jahren kategorisch, die Geiseln freizulassen. Die Terrororganisation hatte während des Blutbades in israelischen Gemeinden im Süden des Landes 251 Menschen, vor allem Zivilisten, verschleppt. Derzeit befinden sich noch immer 50 Menschen in ihrer Gewalt, bis auf einen jungen Mann aus Nepal alles Israelis. 20 von ihnen sollen noch am Leben sein, geben israelische Sicherheitskräfte an.

Die Verhandlungen um einen Geiselbefreiungsdeal und Waffenstillstand in Gaza, die derzeit in der Hauptstadt von Katar, Doha, stattfinden, sind in den vergangenen Tagen ins Stocken geraten.

Ehemalige Geisel fühlt sich nicht gehört

»Es sind fast zwei Jahre vergangen. Das ist nicht normal«, resümiert Steinbrecher. »Sie alle verdienen, zurück nach Hause zu kommen und ihr Leben wieder aufzubauen. Ich bin nach 471 Tagen rausgekommen. Seitdem sind fast weitere 200 Tage vergangen. Und sie sind immer noch da… Es ist verrückt. In was für einer Welt leben wir?«

»Wenn ich höre, wie Leute das uns Geschehene herunterspielen, möchte ich mir die Haare ausreißen«, macht sie klar. »Wir schreien. Wir waren dort. Wir sagen euch, was da passiert. Warum hört uns niemand?«, fleht sie.

Denjenigen, die einen Geiseldeal ablehnen, weil sie befürchten, er könnte zu einem weiteren Massaker der Terrororganisation wie am 7. Oktober führen, sagt die junge Israelin: »Ich verstehe. Aber lasst uns zuerst die Geiseln zurückbringen. Dann kümmern wir uns um alles andere. Es gibt keine höhere Priorität. Wir sind eine Kultur und Religion, die das Leben heiligt. Also bringt sie zurück. Womit haben sie das verdient? Womit haben wir das verdient?«

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