Gaza

Hilfspakete so weit das Auge reicht

Sarah Cohn-Fantl auf einem Gelände, auf dem Hilfslieferungen für Gaza lagern
Sarah Cohen-Fantl auf einem Gelände, auf dem Hilfslieferungen für Gaza lagern

Als ich vor acht Jahren Alija gemacht habe, war klar: Als Reporterin würde ich niemals aus Gaza berichten können, da dies zwar für internationale Journalistinnen möglich war aber für mich als Israelin und Jüdin? Keine Chance. Doch der Hamas-Anschlag am 7. Oktober 2023 hat vieles, wahrscheinlich alles, für immer verändert.

Mittlerweile sichert Israel nicht nur wieder den Grenzübergang Kerem Shalom, der sowohl an Ägypten als auch an Gaza grenzt, sondern hat auch im direkt angrenzenden Gebiet innerhalb des Gazastreifens die Kontrolle übernommen und ein Zentrum für internationale Hilfslieferungen aufgebaut. Genau dort werde ich mich heute umschauen und versuchen herauszufinden, ob es genügend Hilfslieferungen gibt und was es mit den Anschuldigungen der UN gegen Israel und dem Vorwurf des »Aushungerns« als Kriegswaffe auf sich hat.

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Nachdem ich aus dem Zentrum Israels drei Stunden lang durch den stehenden – typisch israelischen – Verkehr gefahren bin, komme ich endlich im Süden Israels an. Jedes Mal, wenn ich hier bin, bekomme ich Beklemmungen. Alles hier erinnert an die Gräuel der Hamas: Die Gesichter junger, strahlender Menschen auf Plakaten, die in der Wüste friedlich getanzt haben, bis sie in Bunkern, auf Feldern und in ihren Autos hingerichtet wurden; die Poster der Geiseln, die bald zwei Jahre lang und komplett ausgehungert in den Tunneln in Gaza langsam sterben; die Namen von Familien, die komplett ausgelöscht wurden. All das immer ummantelt von gelben Schleifen, israelischen Flaggen und gebrochenen Herzen. Ich frage mich, ob der Süden Israels sich für alle Zeiten so schwer anfühlen wird oder die Narben mit der Zeit verblassen. 

Ich muss an die Videos denken, die die Hamas-Terroristen auf unseren Straßen zeigen, schießend, mordend, frenetisch brüllend, im Blutrausch feiernd. Jetzt fahre ich auf diesen Straßen entlang und fühle, wie verwundbar wir sind. Eine schmerzhafte Wahrheit, mit der wir in Israel jeden Tag leben müssen.

Eine junge Gruppe von Soldaten verlässt gerade Gaza

Bei meiner Ankunft führt mich mein Navigationsgerät zunächst fälschlicherweise in den Kibbuz Kerem Shalom. Ich sehe eine religiöse Frau, die auf ihrer Veranda mit ihrem Baby spielt; Kinder laufen über die Straße und schon nach einer Minute erreiche ich das Ende dieses Dorfes, wo hohe Betonsteine, bunt bemalt, die Bewohner von Gaza abschirmen und schützen sollen.

Eins der Wunder des 7. Oktobers: Dieser und andere religiöse Kibbuzim blieben entweder von Angriffen verschont oder konnten sich so gut verteidigen, dass alle Anwohner überlebt haben und niemand entführt wurde.

Meine Ansprechpartnerin in der IDF schickt mir den genauen Standort per WhatsApp, ich drehe um, verlasse den Kibbuz und fahre über einen provisorischen Parkplatz, vorbei an einer jungen Gruppe von Soldaten, die gerade aus Gaza raus sind und sich auf ihre Familien und Freunde zuhause freuen. Gleich werde ich sehen, wo sie die vergangenen Wochen und Monate ihren Armeedienst verbracht haben.

Mit einem mulmigen Gefühl fahre ich alleine weiter durch die Wüste, bis ich endlich an einer kleinen IDF-Baracke ankomme und mich sofort etwas sicherer fühle. Vor Ort treffe ich auf weitere Journalisten aus der ganzen Welt. Wir alle müssen unsere Schutzwesten und Helme anziehen, die schwerer sind, als sie aussehen. Ich packe mein Kameraequipment, danach werden wir auf kleine Armeefahrzeuge aufgeteilt, die uns zu den Verteilungszentren in Gaza fahren werden.

Konvoi des israelischen MilitärsFoto: Sarah Cohen-Fantl

Der Soldat, der das Auto fährt – nennen wir ihn Lev –  fertigt eigentlich Bauzähne an, aber seit dem 7. Oktober wird er wieder als Reservist in der Armee gebraucht. Wir holpern über Steine und Zäune, die von anderen Soldaten bewacht werden, und dann Richtung untergehende Sonne, rein nach Gaza.

Um uns herum sieht es aus wie in einem Industriegebiet, nur eben inmitten eines Krieges. Wir rumpeln im Auto hin- und her und fahren an Hunderten geparkten Lastwagen vorbei. Dies seien die bereits fertig beladenen, die auf ihre Abholung warten würden, um sie zu den Menschen in Gaza zu bringen, erklärt Lev.

Zwischen all den IDF-Soldaten und Journalisten fällt mir eins sofort ins Auge: Manche der Mitarbeiter sind Palästinenser. Lev sagt, sie seien aus Gaza. Als ich nachfrage, ob dies nicht gefährlich für Israels Sicherheit sei, wirft er mir nur einen langen, unmissverständlichen Blick zu. Vertrauen? Verständlicherweise gleich null.

Natürlich werden alle Menschen, die aus Gaza kommen, sehr strengen Sicherheitschecks unterzogen, versichert mir der Armeesprecher Nadav Shoshani. Allerdings würden sie sich auch selbst in große Gefahr begeben. Denn: sollte die Hamas herausbekommen, dass jemand mit dem israelischen Militär und der Regierung zusammenarbeitet, würde dies ihren sicheren Tod bedeuten.

Israel: 300 bis 400 Trucks kommen täglich an

Bei unserer Ankunft auf dem Teil des Geländes, in dem die gelieferten Waren auf Waffen und andere Dinge untersucht werden, gestapelte, zum Teil geöffnete und wieder verschlossene Boxen so weit das Auge reicht.

Ein Mitarbeiter von Cogat steht den Journalisten Rede und Antwort. Es würden jeden Tag 300 bis 400 Trucks mit Ware ankommen und durchsucht, wieder verpackt und verladen – um dann auf ihre Abholung durch die UN und andere internationale Hilfsorganisationen zu warten. Vor dem Krieg waren es täglich 70 Lastwagen nur mit Nahrung, seitdem sind es täglich 140 – genug, um eine Hungerkatastrophe zu vermeiden, wenn denn alles ankommen würde.

Kurz hinter der Grenze stapeln sich die Hilfslieferungen der Vereinten NationenFoto: Sarah Cohen-Fantl

Doch die Abfertigung, wie die tausenden Boxen auf dem Gelände bezeugen, ging nicht schnell genug. Zum Teil gäben die Organisationen an, es würde nicht genügend Laster oder genügend Mitarbeiter geben, die Hilfsgüter nach Gaza reinfahren könnten. Hinzu kommt, dass die Hamas immer wieder die Waren stiehlt, doch das Angebot Israels, dass die UN und andere Hilfsorganisationen die Waren auf von der IDF abgesicherten GHF Verteilungszentren verteilen könnten, lehne diese ab.

Die Folge: laut UN werden 87 Prozent der Lastwagen von Zivilisten oder bewaffneten Gruppen abgegriffen – so landet ein großer Teil der Ware bei der Hamas oder überteuert auf Märkten. Der Krieg geht weiter, die israelischen Geiseln und die palästinensische Zivilbevölkerung leiden.

Oberstleutnant Shoshani erklärt im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen, wieso ausgerechnet jetzt Reportern aus der ganzen Welt überhaupt möglich ist, sich von der Abwicklung der humanitären Versorgung vor Ort ein Bild zu machen:»Die UN hat vor wenigen Wochen fünf Tage lang keine Lastwagen abholen lassen, die nach Gaza sollten. Jeden Tag kam mehr Ware an. Zeitgleich behaupteten sie in den internationalen Medien, dass die IDF die humanitäre Versorgung des Gazastreifens blockieren würde.«

Und weiter: »Dann haben wir die Presse eingeladen, um zu zeigen, dass die Trucks bereit zur Abholung waren – und plötzlich war es der UN möglich innerhalb von drei Tagen 600 Lastwagen nach Gaza zu bringen.«

Cogat-Mitarbeiter: »Israel erfüllt seinen Teil der Abmachung«

Auch der Cogat-Verantwortliche, der namentlich nicht genannt werden darf, deutet an, dass Israel in der öffentlichen Meinung schlecht dargestellt wird, weil das Leiden der Menschen in Gaza schlussendlich für viele Organisationen eine wichtige Einnahmequelle sei. »Doch Israel erfüllt seinen Teil der Abmachung«.

Ich laufe über das Gelände, schaue in die Boxen hinein: Nudeln, Reis, Damenbinden, Tee, Konservenfleisch, Babynahrung, Zelte. Auf jeder Box steht akribisch vermerkt, wie viel und was drin ist. Im Hintergrund explodiert etwas. Immer wieder kommt es zu Schusswechseln. Eine Reporterin, die zum ersten Mal in Israel ist, schaut sich ängstlich um.

Inhaltsangaben auf einem HilfspaketFoto: Sarah Cohen-Fantl

Wir stehen inmitten eines Krieges, nur rund drei Kilometer entfernt von Gaza-Stadt, dem Teil, in dem sich die Hamas mit den Geiseln versteckt halten und der jetzt von der IDF eingenommen werden soll. Wir stehen inmitten von Unmengen von Hilfsgütern, die anstatt den Menschen in Gaza zu helfen, von internationalen Institutionen dazu benutzt werden, Israel zu dämonisieren.

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