Flüchtlinge

Hilfe über den Zaun

Zeltdorf syrischer Flüchtlinge in der Nähe der israelischen Grenze Foto: Flash 90

Zu Tausenden stehen sie im Niemandsland und bitten um Hilfe. Verzweifelt und verlassen sind die syrischen Flüchtlinge, die an den Grenzen der Nachbarländer gestrandet sind. Während der Offensive des Präsidenten Bashar al-Assad, die den Rebellen der Free Syrian Army die Provinz von Daraa entreißen sollte, verließen sie ihre Häuser. Sie stehen auch an Israels Grenze.

Die Politik des kleinen Staates ist klar: Das Land nimmt keine syrischen Flüchtlinge auf, leistet jedoch umfassende humanitäre Hilfe an der Grenze. Neben der Belastung durch Tausende von Hilfsbedürftigen vor der Haustür sorgt sich Jerusalem zudem besonders um die Verschiebung der Macht im südlichen Syrien, das an die Golanhöhen auf israelischer Seite angrenzt.

Besonders die Einmischung des Iran durch Waffenlieferungen oder sogar die Stationierung von Truppen soll auf jeden Fall verhindert werden. Gleichzeitig will sich Israel so weit wie möglich aus dem Krieg heraushalten. Das Waffenstillstandsabkommen aus dem Jahr 1974 soll eingehalten werden, aus dem die demilitarisierte Zone hervorgegangen ist, in der sich jetzt viele der Flüchtlinge aufhalten.

probleme Der Leiter der medizinischen Abteilung des Projekts »Guter Nachbar« der israelischen Armee (IDF), Major Sergey Kotikov, ist genau dort – allerdings vor dem Zaun. Er beschreibt die Lage: »Man muss sich vor Augen halten, dass es durch den Bürgerkrieg elf Millionen Flüchtlinge gibt. Wir hatten hier schon vorher viele, die vertrieben waren. Allerdings sind es in den vergangenen Tagen Tausende mehr geworden. Die Zeltstädte um die Dörfer weiten sich immer mehr aus. Einige kommen mit Karren, auf denen sie ihre Habseligkeiten transportieren, andere führen Tiere mit. Doch die meisten haben sehr wenig.«

Natürlich gebe es dadurch neue Herausforderungen; die Menschen seien in Gefahr. »Zwar wird hier derzeit nicht auf sie geschossen, aber ohne Wasser, Strom und medizinische Versorgung zu sein, ist lebensgefährlich.« Die IDF leistet Hilfe in drei Bereichen: Medizin, Lebensmittel und die Einrichtung von Wasserleitungen, Generatoren zur Stromerzeugung und ähnlichem.

Nach einem Jahr Vorbereitung ging das Projekt »Guter Nachbar« vor gut zwölf Monaten an den Start. In dieser Zeit lieferte die Armee Hunderte Tonnen von Lebensmitteln, Diesel, Kleidung und Medizin. Außerdem sandte sie zwei komplette Backstuben über die Grenze. »Durch die Bäckereien, die zerlegt in Containern aus den USA kamen, sind die Brotpreise in der Region um die Hälfte gefallen. Das ist ein bedeutender Schritt für die Menschen dort«, so Kotikov. Um sie zu betreiben, schickt die IDF monatlich 70 Tonnen Mehl.

Die Israelis arbeiten mit den Bewohnern auf der syrischen Seite zusammen. Praktisch geht das so: »Wir sprechen mit den Dorfvorstehern und fragen, was sie benötigen. Ist das Material bei uns angekommen, rufen wir unsere Verbindungsleute an und informieren sie. Dann öffnen wir den Zaun, stellen die Lieferung auf Paletten auf der anderen Seite in der neutralen Zone ab und schließen den Zaun wieder. Nur kurze Zeit später wird alles abgeholt.« So geht es tagein, tagaus.

mediziner Die Armee kümmert sich nicht nur um Verletzte – seit Beginn des Bürgerkrieges 2011 sind mehr als 3500 Syrer in Israel behandelt worden –, sondern auch um die allgemeine Gesundheit der Flüchtlingskinder. »Täglich kommen Gruppen von Kindern in unsere ambulante Klinik zur Untersuchung«, sagt der Mediziner. »Die meisten kehren am selben Tag zurück, etwa 30 Prozent werden zur Nachbehandlung einbestellt.« Auf diese Weise sind innerhalb eines Jahres mehr als 1500 Kinder medizinisch versorgt worden. Die IDF richtete zudem eine Geburtsklinik jenseits des Zauns ein und versorgte innerhalb eines Jahres in ihren Feldlazaretten auf dem Golan rund 6000 Zivilisten aus dem Nachbarland.

Besonders bemerkenswert ist für Kotikov, wie sich die Einstellung der Syrer wandelt. »Anfangs sind die meisten sehr zurückhaltend oder ängstlich und schauen uns nicht an. Sie sind ja von syrischer Propaganda auf den schrecklichen Feind eingestellt. Doch nach einer Weile sehen wir Freude und Dankbarkeit in ihren Gesichtern. Sie erkennen unsere Hilfe an und haben kein Problem, sich zu bedanken. ›Schukran‹, ›Thank you‹ und auf Hebräisch ›Toda Raba‹. Dabei geht uns das Herz auf.«

Auch Gal Lusky hilft mit ihrer Organisation Israeli Flying Aid aus einem Grund: Mitgefühl. Seit Beginn des Bürgerkrieges arbeitete sie unter dem Radar, darauf bedacht, die Notleidenden und die Helfer nicht zu gefährden. Israelische Schrift wurde entfernt, Etiketten herausgeschnitten, um die Herkunft zu verschleiern. Doch Schluss damit, man könne viel effektiver und mehr helfen, wenn man auf diese Maßnahmen verzichte, sagt sie jetzt. »Wir sind Juden, Israelis, Zionisten und stehen dazu.

Es liegt in unserer DNA, Leben zu schützen. Und unser Leben riskieren wir ohnehin.« Außerdem habe sie den verzweifelten Menschen Solidarität zeigen wollen. »Diese Flüchtlinge werden irgendwann entweder abgeschlachtet, oder sie müssen sich Assad unterwerfen. Es ist grauenvoll. Wir wollten ihnen zeigen, dass wir sie sehen und für sie da sind.«

dankeschön Nachdem sie mit den Leitern der Dörfer gesprochen und deren Zustimmung erhalten hatte, druckte sie vor einigen Tagen Flyer aus und ließ sie an die Zelte kleben. Darauf stellte sie ihre Organisation vor und schrieb, es sei an der Zeit, sich kennenzulernen. »Sie fragen nicht, ob sie töten dürfen. Wir fragen nicht, ob wir Menschenleben retten dürfen.« Die Reaktion der Syrer überwältigte sie: Sie erhielt E-Mails und Zeichnungen von Mädchen und Jungen mit Herzen und der israelischen Flagge als Dank.

Die größten Probleme sind für die Gründerin der Nichtregierungsorganisation zum einen natürlich die schreckliche Situation der Flüchtlinge, doch zum anderen die Auswirkungen der Politik. »Sämtliche Hilfe der Vereinten Nationen, neben Lebensmitteln auch hochwertige technische Ausrüstung, kommt bei der Regierung in Syrien an«, beschwert sie sich. »Dadurch werden die Soldaten Assads, Irans und der Hisbollah gefüttert.« Ihrer Meinung nach sollten die USA jetzt, nachdem sie den Menschenrechtsrat der UN verlassen haben, direkt über Israel Hilfe für die notleidende Bevölkerung senden. »Wer sich wirklich um Syrien schert, muss das tun.«

Es sind nicht nur die Kinderbilder und die Dankesworte, die Lusky motivieren. Woher sie die persönliche Stärke für ihren unermüdlichen Einsatz nimmt? »Wir können für das, was wir sehen und riechen keine Abwehrkräfte mehr aufbauen. Wir lügen nicht einmal mehr unsere Familien an wie anfangs«, gibt Lusky unumwunden zu und sagt am Telefon, dass sie nur noch wenige Minuten hat, weil sie gleich wieder los muss. »Das, was uns antreibt, ist die Vorbereitung auf die nächste Mission. Nur die zählt. Den Menschen helfen, wo wir helfen können, und niemals aufzuhören.«

Israeli Flying Aid: www.ifaid.com

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