Beduinen

Helden ohne Schutz

Youssef Ziadna ist ein Menschenretter. Einer, der mehr als eine Medaille für unfassbaren Mut verdient. Am 7. Oktober, als das absolute Grauen über Israel hereinbrach, lief der 47-Jährige nicht weg. Sondern er stürzte sich sogar hinein – mitten in die blutrünstige Attacke der Hamas. Um Menschen zu retten, die er gar nicht kannte.

»Ich würde niemals jemandem wünschen, das zu sehen, was ich gesehen habe«, erinnert er sich an den Tag des Horrors. »Das ist ein Trauma für mein ganzes Leben. Wenn ich allein bin und zurückdenke, kann ich die Tränen nicht zurückhalten.«

Im normalen Leben ist der 47-Jährige, der mit Vorliebe Shorts und Sandalen trägt, Minibusfahrer, er kutschiert Leute durch die Negevwüste. Dort ist er zu Hause. Youssef Ziadna ist Beduine. »Ziadna ist ein überlebensgroßer Mann, dem wir für immer zu Dank verpflichtet sein werden«, schrieb Amit Hadar in einem Post auf seinen sozialen Netzwerken. »Wenn wir mit Gottes Hilfe bessere Tage erreichen, speichern Sie die Nummer für das nächste Mal, wenn Sie ein Taxi brauchen. Niemand verdient es mehr, dass Sie anrufen, als diese Person.«

Amit Hadar ist Kunde bei Ziadna. In der Nacht auf den 7. Oktober fuhr der Fahrer den jungen Mann und mehrere Freunde zum Nova-Festival. Er sollte sie am nächsten Tag um 15 Uhr abholen. Es kam anders: Um sechs Uhr morgens erhielt er einen Hilferuf von Hadar. Er nahm an, dass er sie vor den Raketen, die die Hamas pausenlos abfeuerte, in Sicherheit bringen sollte, und rannte zu seinem Bus.

Youssef Ziadna hat mehr als 30 Menschen das Leben gerettet.

Doch auf dem Weg zum Festival merkte er schnell, dass es sich nicht nur um Raketen handelte. Fliehende Menschen bedeuteten ihm, sofort umzudrehen, und kurz darauf befand er sich in einem Kugelhagel von Terroristen. »Ich sah dem Tod ins Gesicht. Aber mir war klar, dass ich meine Mission nicht aufgeben durfte.« Er ließ seinen Kunden eine Nachricht zukommen, so viele Menschen wie möglich mitzubringen, und fuhr weiter durch ein Inferno aus Leichen, Blut und Angriffen der Terroristen. Den jungen Mann, der den Minibus bestellt hatte, erreichte er tatsächlich. Außer ihm und seinen Freunden warteten 24 weitere Personen verzweifelt auf den Lebensretter.

Andere Autos mit Besuchern des Nova-Festivals folgten Youssef Ziadna durch die Wüste

Schließlich quetschten sich alle in den 14-Sitzer. Auf dem Weg rettete Ziadna ein weiteres Paar, der Frau war ins Bein geschossen worden. Unter ständigem Beschuss raste Ziadna durch die Sanddünen fernab der Hauptstraße, wo die Hamas gnadenlos Menschen jagte und abschlachtete. Einzig seine genaue Kenntnis der Gegend ließ ihn entkommen. Andere Autos mit Besuchern des Nova-Festivals folgten ihm durch die Wüste und überlebten ebenfalls.

Als der Konvoi schließlich eine Polizeisperre erreichte, wurden alle in den Kibbuz Tzeelim geleitet, wo die Armee bereits angekommen war und für Sicherheit sorgte. Ziadna hat das Leben von mehr als 30 Menschen gerettet, alle jüdische Israelis. Bis auf seinen Kunden kannte er niemanden von ihnen.

Andere dagegen kannte Youssef Ziadna gut. Sein Cousin Abed Ruhman wurde von Terroristen ermordet, als er am Strand von Zikim zeltete. Ziadna macht sich große Sorgen um seine Beduinenbrüder und -schwestern, für die es nicht genügend Luftschutzbunker und Sicherheitsräume gibt. Beduinen sind eine Minderheit, die in der israelischen Gesellschaft weiterhin marginalisiert wird.

In der Beduinenstadt Rahat gibt es für 75.000 Einwohner nur zehn öffentliche Bunker

Ziadnas Zuhause, Rahat, ist die größte Beduinenstadt der Welt. Für 75.000 Einwohner gibt es zehn öffentliche Bunker. Bürgermeister Ata Abu-Madighem beklagt diesen Zustand seit Jahren. Einige Tage nach dem Angriff auf Israel traf er sich mit Vertretern von Armee und Polizei, um Ziadna zu danken, und beantragte 60 Schutzräume. Doch größer als für die Menschen in der Stadt sei die Bedrohung für jene, die in nicht anerkannten Dörfern in der Gegend leben und keinerlei Schutz vor Projektilen hätten, sagt der Bürgermeister.

In jenen Ansiedlungen schrillen bei Raketenangriffen auch keine Sirenen. Die Zelte oder Wellblechhütten sind an keinerlei kommunale Infrastruktur angeschlossen. Die Bewohner der nicht anerkannten Dörfer erhalten nur sehr wenige oder keine staatlichen Dienstleistungen. In den meisten gibt es weder Schulen noch Kindergärten oder Gesundheitseinrichtungen. Ebenso keinen Strom und fließend Wasser, keine asphaltierten Straßen, keine Abwasserentsorgung. Die Bevölkerung lebt oft in bitterer Armut.

Heute sind in der Negevwüste rund 250.000 arabische Beduinen in 35 nicht anerkannten und elf anerkannten Dörfern sowie in sieben geplanten Städten angesiedelt. Die vom Staat initiierte Urbanisierung war erfolgreich: Mehr als die Hälfte aller Beduinen ist inzwischen an die kommunale Infrastruktur angeschlossen. »Der Staat muss einen mentalen Wandel vollziehen und beginnen, die Beduinen zu respektieren«, macht Bürgermeister Abu-Madighem klar.

Youssef Ziadna hofft, dass sein Handeln zu größerer Wertschätzung und Unterstützung führt. »Die Regierung muss sich besser um uns kümmern«, sagt er. »Wir sind Israelis und leben hier zusammen. Wir alle müssen Hand in Hand gehen.«

Seit dem 7. Oktober sind 22 Mitglieder der Beduinengemeinschaft getötet worden, darunter sieben durch Raketen, die die Hamas auf Israel abgefeuert hat. Bauverbote in nicht anerkannten Beduinendörfern erschweren den notwendigen Schutz vor Raketenbeschuss zusätzlich. Geschätzt 150.000 Menschen leben dort.

Zum ersten Mal ist die Hilfsorganisation IsraAID im eigenen Land tätig

Rund 100 Mitarbeiter der international agierenden israelischen NGO IsraAID kümmern sich um die beduinische Gemeinde sowie um Überlebende und Geflüchtete des Massakers vom 7. Oktober. Es ist das erste Mal, dass IsraAID im eigenen Land tätig ist.

Am Ortseingang von Um-Hiran kichern junge Beduininnen, während sie karge Betonwände mit bunter Farbe anmalen. Sie sind Freiwillige, die, bevor sie auf die Uni gehen, ein soziales Jahr absolvieren. Sie sind gekommen, um den Kindern und Jugendlichen den »neuesten Bau« in dem nicht anerkannten Dorf vorzustellen. In seinem grauen Beton sieht er aus wie ein Fremdkörper inmitten der Wüste, doch er ist mehr als willkommen: der mobile Luftschutzbunker, aufgestellt von IsraAID in Zusammenarbeit mit den Organisationen Ajeec-Nisped und Tamar, die sich um die Gemeinschaft der Beduinen kümmern.

Bauverbote in etlichen Dörfern erschweren den Schutz vor Raketenbeschuss.

Die Programmkoordinatorin Sajud Abu Khaf erinnert sich an große Angst nach dem 7. Oktober. »Wir wussten nicht, was los war, und wir haben keine Schutzräume. Es war eine sehr bedrohliche Lage. Ich mache mir große Sorgen, wenn meine Familie nicht in Sicherheit ist.« Umso mehr freut sie sich, an dem Projekt teilzunehmen.

Als die Dorfkinder von der Schule heimkehren, treffen sie sich am Bunker und bewundern das unbekannte Beton­ungetüm. Sie fragen, was es ist, streicheln die Wände, laufen hinein und hinaus. Nach einer Erklärung mithilfe eines Heftchens, das Sicherheitsmaßnahmen auf Arabisch beschreibt, wird Musik aufgedreht. Die Mädchen, Jungen und die Freiwilligen verkleiden sich, tanzen und spielen bis in den Abend. Ein Tag ausgelassener Freude – weil jetzt die Sicherheit ernst genommen wird. In der Anfangsphase des Projekts liefert IsraAID 42 Schutzräume für die nicht anerkannten Beduinendörfer, weitere sollen folgen.

Molly Bernstein, regionale Missionsleiterin von IsraAID, ist stolz auf die Aktion. »Die Beduinengemeinde ist von dieser Krise überproportional betroffen. Daher arbeiten wir nicht nur daran, einen grundlegenden Zugang zu Schutzräumen zu ermöglichen, sondern auch daran, dass die Leute wissen, wie sie diese nutzen können.« Außerdem werden Angebote für die psychosoziale Unterstützung zur Verfügung gestellt, die in dieser Zeit unerlässlich seien, so Bernstein. »Es ist Teil unseres langfristigen Engagements, gefährdeten Gemeinschaften dabei zu helfen, ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken.«

Sliman Al-Amour, Mit-Geschäftsführer von Ajeec-Nisped, meint, es sei besonders wichtig, dass sich mehr Behörden und Organisationen an diesen Aktivitäten beteiligen. »Wir benötigen in der Negevwüste 11.000 Schutzräume. Es ist möglich, der gesamten Gemeinschaft ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Aber im Moment sind wir noch weit davon entfernt.«

In Tel Aviv demonstriert die 22-jährige Beduinin Eden Khalifa für die Freilassung der Geiseln

Viele Kilometer entfernt steht eine andere Heldin: Eden Khalifa. In Jeans und Sweatshirt ist die 22-Jährige vor das Tel Aviver Kunstmuseum gekommen und hält ein Schild in die Höhe. »Ich bin eine arabische muslimische Beduinin. Israel hat mir gleiche Rechte und Freiheit gegeben. Während die Hamas Aisha ihre Rechte nahm. Bringt sie nach Hause!«

Eden will mit ihrem Schild die Stimme für die junge Beduinin Aisha sein. Aisha Ziyadne ist 17 und war mit zweien ihrer Brüder und ihrem Vater Geisel in Gaza. Zusammen mit ihrem Bruder Bilal (18) kam sie frei. Doch ihr Vater und der 22-jährige Bruder Hamza sind weiterhin in der Gewalt der Hamas. Eden Khalifa versteht nicht, warum die Welt nicht »lauter schreit, wenn es um die Befreiung aller Geiseln geht«.

In den meisten Dörfern der Beduinen gibt es weder Schulen noch Kindergärten.

Die junge Frau mit dem dunklen Bob und den leuchtenden Augen ist Israelin. Und Beduinin. Eden Khalifa stammt aus der Stadt Nahariya im Norden des Landes. »Meine Mutter ist eine sehr starke Frau. Sie hat mir die Liebe zu diesem Land beigebracht und mich dazu erzogen, dass ich alle Menschen liebe.« Ihr Vater ist Oberst in der israelischen Armee. Auch Eden diente beim Militär – für eine beduinische Frau ein äußerst ungewöhnlicher Weg. Doch gewöhnlich ist an ihrem Werdegang kaum etwas: Heute studiert sie Computerwissenschaften in Jerusalem und ist Zionistin durch und durch. Sie hat acht Geschwister, das allerdings ist in der beduinischen Gemeinschaft keine Ausnahme.

Nachdem Aisha freigelassen wurde, hörte Eden nicht auf zu demonstrieren. Sie malte ein neues Schild. Die Wörter sind dieselben. Bis auf den Namen. Diesmal steht da: Agam. Die 19-jährige Agam Berger wurde am Schwarzen Schabbat von der Hamas vom Armeestützpunkt Nahal Oz entführt. »Seit dem Tag, als ich das Video sah, in dem sie von Terroristen abgeführt wird, gefesselt, in einem blutbefleckten Schlafanzug, gehen mir diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf.«

Eden Khalifa ist entrüstet: »Wo sind die Frauenorganisationen? Wie können sie schweigen? Agam ist 19. Sie hat Angst. Sie ist unschuldig. Sie ist die Tochter von jemandem. Sie ist die Schwester von jemandem. Sie ist eine ganze Welt!«

So wie der Minibusfahrer Youssef Ziadna in einer Ausnahmesituation 30 Menschen rettete, will auch Eden Khalifa eine Retterin sein – für alle jungen Frauen, die noch immer in der Gewalt der Hamas in Gaza sind.

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