Kriegsangst

Hausputz im Schutzraum

»Alle in die Bunker«: Zivilschutzübung an einer Jerusalemer Schule Foto: Flash 90

Dunkle Prophezeiung? Die Rhythmen gehen ins Blut, der Text unter die Haut. Ivri Liders »Nissim« läuft dieser Tage im israelischen Radio rauf und runter. Ein Hit war der Song schon vor Jahren. Doch die aktuelle Brisanz schickt ihn wieder durch den Äther: »Nissim, hör zu, es wird Krieg geben«, warnt Lider im ersten Vers. Das Wort »Milchama« (Krieg) ist derzeit in aller Munde. Sowohl Politiker als auch Normalbürger spekulieren, ob es tatsächlich einen Angriff Israels auf den Iran geben wird, und bereiten sich vor.

Mit Plastikhandschuhen und Müllsäcken beginnen die Menschen vielerorts, ihre Bunker auszumisten. Oft werden die Schutzräume in Privathäusern als Stellplatz für die Waschmaschine oder sogar als Kinderzimmer benutzt, vor allem aber als Abstellkammer. »In den Ecken türmt sich altes Zeug«, sagt Miriam Sela, die bereits die dritte Abfalltüte füllt. »Wenn wir etwas nicht mehr brauchen, wandert es in den Mamad (Schutzraum). Das muss jetzt raus.«

Angesichts der immer lauter werdenden Reden über einen Präventivschlag will die dreifache Mutter auf Nummer sicher gehen. Sie räumt auf und kauft ein. Dutzende von Konserven sind bereits in den Regalen gestapelt, von Fertiggerichten bis zu Dosenfleisch, daneben Fünf-Liter-Behälter Trinkwasser. »Ich habe keine Panik«, erklärt Sela, »aber ich will in jedem Fall vorbereitet sein.«

Versorgung Nach einer Studie der israelischen Vereinigung für Gebäudeverwaltung ist es um die Versorgungslage mit Schutzräumen nicht sonderlich gut bestellt: 80 Prozent der Bunker in privaten Wohnhäusern seien nicht als solche nutzbar und bedürften einer Generalüberholung, besonders sanitäre Anlagen und Wasserversorgung. »Viele sind gar nicht mehr zum Schutz der Bevölkerung zu gebrauchen«, gibt Vorsitzender Tamir Minz zu bedenken. Zudem tauchten Berichte auf, dass es im ganzen Land zu wenig öffentliche Bunker gäbe. Tel Aviv beispielsweise bietet angeblich nur Platz für ein Zehntel der Bevölkerung, etwa 40.000 Menschen.

Die nördliche Großstadt Haifa hat sich währenddessen etwas Besonderes für die Extremsituation einfallen lassen: Hier sollen Autobahnunterführungen, auch die hypermodernen Carmel-Tunnel, als Bombenschutz für die Massen dienen. Die Verwaltung würde im Ernstfall in ihre gerade fertiggestellte 600 Quadratmeter große Kommandozentrale ziehen und von dort Krisenmanagement betreiben.

Nach einer aktuellen Umfrage des Demokratie-Institutes und der Tel Aviver Universität glauben 56 Prozent immer noch, es sei schiere Rhetorik, was Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak in Sachen unilateraler Iran-Attacke in die Mikrofone sprechen. 33 Prozent meinen indes, Israel werde in Richtung Iran vorpreschen.

Meinung Auch in Sachen Zustimmung gibt es aktuelle Zahlen. So sehen lediglich 27 Prozent einen Schlag auf die Atomanlagen des Perserstaates als »unbedingt nötig« an, strikt dagegen sind etwas weniger als zwei Drittel. Einer von ihnen ist Präsident Schimon Peres höchstpersönlich. Der erklärte, Israel sei zu einem Alleingang nicht in der Lage und solle zumindest die Unterstützung der USA einholen, besser noch die militärische Hilfe der Supermacht. Herbe Kritik musste er dafür von den Befürwortern einstecken.

Doch Peres erhielt auch Unterstützung. So bescheinigten ihm viele Medien, weise und vorausschauend zu denken. Außerdem scheinen die präsidialen Worte manchem Kriegsgegner Mut zu machen. Während einer noch in der vergangenen Woche auf Facebook schrieb: »Es ist eine Sache, gegen den Krieg zu sein, aber eine ganz andere, dies laut auszusprechen«, trat er nun einer Gruppe bei, die »Nein« sagt. Nach dem Motto: »Wenn der Präsident das kann, kann ich es auch.«

Oppositionsführer Schaul Mofaz forderte Netanjahu auf, eindeutig zu erklären, was es mit dem Vorhaben, »Israel in einen Krieg gegen den Iran zu verwickeln«, auf sich habe. In einem Brief schrieb der Kadima-Vorsitzende: »Eine Attacke auf Teherans Atomanlagen wird begrenzten Erfolg haben, jedoch Tote, gravierende Schäden an der Heimatfront und einen Zusammenbruch der politischen Situation für Israel nach sich ziehen.« Mofaz bezeichnete die geplante Aktion als »amoralisch und unlogisch«.

Doch auch die Befürworter erheben ihre Stimme: Während vor einigen Tagen um die 400 Unterzeichner eines Schreibens die Piloten der israelischen Luftwaffe aufforderten, im Falle eines Angriffs den Dienst zu verweigern, gaben im Gegenzug jetzt 100 Reserveoffiziere dem Premier Rückhalt, indem sie bescheinigten: »Wir kämpfen für dich im Rahmen des Gesetzes – komme, was wolle.«

Zögern Dass das wahr wird, glaubt ein junges Paar aus den USA, das vor einem Jahr nach Israel eingewandert ist. Die Eltern eines sechsmonatigen Babys spielen mit dem Gedanken, das Land im Fall des Falles zu verlassen. Keren, die junge Mutter, hat Angst. »Zwar weiß ich nicht, ob die Politiker alles meinen, was sie äußern, doch mein Gefühl sagt mir, es wird Krieg geben.« Weder sie noch ihr Mann können sich vorstellen, tage- oder gar wochenlang in Schutzräumen auszuharren. »Wir wollen Frieden. Im Ernstfall fliegen wir lieber für eine Weile zu unseren Familien in die USA.«

Der Vorsitzende der Jewish Agency, Natan Sharanksy, gab im Armeeradio zu, dass jetzt sogar Alija-Willige in letzter Minute ihre Einreisepläne ändern. »Manche haben abgesagt, nachdem die ganzen Details schon unter Dach und Fach waren. Einer sagte: ›Wir kommen, wenn ihr euren Krieg gehabt habt.‹«

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