Die Kompromissgespräche zur Justizreform sind gestoppt. Nach dem Politdrama, das sich am Mittwoch in der Knesset abspielte, haben Vertreter der Opposition angekündigt, dass sie die Verhandlungen, die seit Wochen mithilfe der Vermittlung von Präsident Isaac Herzog stattfinden, nicht weiterführen werden. Zumindest so lange nicht, wie die Wahlen zum Richterernennungs-Ausschuss ausgesetzt sind.
WAHLEN Doch genau die hatte Premierminister Benjamin Netanjahu absichtlich torpediert. Er persönlich hatte seine Koalitionsmitglieder angewiesen, nicht für die eigenen Kandidaten abzustimmen. Und so wählten die Abgeordneten in der anonymen Wahl kein Mitglied der Regierungskoalition in das Gremium.
Das Fazit: Die Kandidatin der Opposition Karine Elharrar (Jesch Atid) konnte sich zwar durchsetzen – doch es bedarf zweier Mitglieder im Ausschuss. Somit muss noch einmal gewählt werden - in 30 Tagen.
Der Premierminister hatte damit dem Druck von Mitgliedern seiner eigenen Partei und seinen Koalitionspartnern nachgegeben. Denn die Akzeptanz eines Ausschuss-Mitgliedes aus den Reihen der Opposition war einer der Kompromissvorschläge des Präsidenten gewesen.
Das aber wollten die Hardliner der Regierung, allen voran der rechtsextreme Vorsitzende der Partei Otzma Jehudit, Itamar Ben-Gvir, nicht hinnehmen, da ihm persönlich im Koalitionsvertrag ein Sitz im Gremium versprochen worden war.
»Netanjahu weiß sehr gut, welche Auswirkungen sein Handeln hat. Sie wurden ihm von Präsident Herzog und von uns klar gemacht.«
oppositionsführer yair lapid
Die Opposition sieht die Verzögerung der Einberufung des Ausschusses als »Polit-Trick von Netanjahu«, mit dem er versuchen wolle, die Auswahl der Richter des Obersten Gerichtshofes durch eine Änderung der Gesetzgebung oder durch eine Machtverschiebung im Gremium zu kontrollieren.
GERICHTE Oppositionsführer Yair Lapid sagte noch am Abend, Netanjahu habe die Wahl des Vertreters der Koalition in das Gremium in vollem Bewusstsein verhindert, um der Regierung die Möglichkeit zu geben, die Macht der Gerichte zu schwächen.
Die Zusammensetzung des Gremiums, das letztlich die Richter des Obersten Gerichtshofs auswählen soll, war Teil der von der Koalition vorgelegten Gesetzesentwürfe zur Reform der Justiz. Nachdem Anfang des Jahres dagegen Massendemonstrationen ausgebrochen waren und die Ankündigungen negative Auswirkungen auf Israels Wirtschaft und internationales Ansehen hatten, kündigte Premier Netanjahu an, dass er die Gesetzgebung aussetzen werde, bis eine breite Einigung mit der Opposition erzielt sei.
Wochenlang berieten sich beide Seiten immer wieder, um zu einem Kompromiss bei den extrem kontroversen Gesetzgebungen zu gelangen. Herzog hatte mehrfach davor gewarnt, dass der Bruch in der israelischen Gesellschaft unbedingt vermieden werden müsse.
PROTESTE Die Protestbewegung, die seit 23 Wochen jeden Samstagabend auf den Straßen in der ganzen Nation ihren Unmut kundtut, forderte die Israelis am Mittwoch auf, die Demonstrationen zu intensivieren. »Netanjahu hat den Krieg gegen die Demokratie gewählt, und wir werden ihn gewinnen«, schrieben sie in einer gemeinsamen Erklärung.
»Netanjahu weiß sehr gut, welche Auswirkungen sein Handeln hat. Sie wurden ihm von Präsident Herzog und von uns klar gemacht. Wenn es kein Gremium zur Auswahl der Richter gibt, wird es keine Gespräche geben, um eine umfassende Einigung über eine Justizreform zu erzielen«, sagte Lapid -und fügte hinzu: »Der Premierminister, der einst ein Lügner, aber ein starker Politiker war, ist jetzt nur noch ein Lügner.«
Als Reaktion darauf sagte Netanjahu, die Opposition habe es von Anfang an nicht ernst gemeint, einen Kompromiss zu erzielen. Bei diesen Aussagen hört es sich fast so an, als wären die Gespräche nicht nur auf Eis, sondern gleich ganz ad acta gelegt.