Medizin

Forscher entwickeln digitalen Zwilling zur Früherkennung von Krankheiten

Foto: picture alliance / Zoonar

Wissenschaftler des Weizmann-Instituts haben ein auf künstlicher Intelligenz basierendes System entwickelt, das es ermöglicht, den Gesundheitszustand eines Menschen in digitaler Form nachzubilden und daraus präzise Vorhersagen über künftige Krankheiten abzuleiten. Der sogenannte »digitale Zwilling« könnte in der Zukunft eine zentrale Rolle in der personalisierten Medizin spielen. Wie die israelische Nachrichtenseite »ynet« berichtet, soll die Technologie nicht nur Risiken erkennen, bevor Symptome auftreten, sondern auch individuelle Therapievorschläge ermöglichen.

Grundlage der Entwicklung ist das »Human Phenotype Project«, eine seit 2018 laufende Langzeitstudie, die mittlerweile über 30.000 Personen umfasst – mit dem Ziel, diese Zahl auf 100.000 zu steigern. Teilnehmer unterziehen sich dabei alle zwei Jahre umfangreichen medizinischen Untersuchungen: Dazu gehören unter anderem körperliche Check-ups, Glukosemessungen über Wochen, Mikrobiom-Analysen, genetische Tests, Ultraschalluntersuchungen, Schlafaufzeichnungen, Sprachproben und Ernährungsprotokolle.

Die Untersuchungsergebnisse werden über Jahrzehnte gesammelt und ermöglichen so eine bisher unerreichte Tiefe in der Analyse von Krankheitsverläufen und biologischen Veränderungen. Nach Angaben der Projektverantwortlichen werden nicht nur einzelne Werte, sondern ganze Funktionssysteme des Körpers erfasst – von der Leberfunktion über das Immunsystem bis hin zum Hormonhaushalt.

Krankheiten erkennen, bevor sie entstehen

Die dabei gewonnenen Daten fließen in ein KI-Modell ein, das Veränderungen in insgesamt 17 Körpersystemen analysiert und bewertet. Jedes System wird mit einem »biologischen Alter« versehen – dieses kann vom tatsächlichen Lebensalter erheblich abweichen und auf Gesundheitsrisiken hinweisen. Wenn beispielsweise der Zustand des Herz-Kreislauf-Systems dem eines deutlich älteren Menschen entspricht, kann das Modell frühzeitig auf ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall hinweisen – noch bevor klinische Symptome auftreten.

Ein besonders aufschlussreicher Bereich ist laut den Forschern die kontinuierliche Überwachung des Blutzuckerspiegels. Dabei zeigte sich, dass bei rund 40 Prozent der Teilnehmer mit unauffälligen Nüchternwerten bereits auffällige Muster in der Glukoseverarbeitung vorlagen, die auf ein beginnendes Prädiabetes-Stadium hindeuten. Diese Erkenntnisse könnten künftig dazu beitragen, Typ-2-Diabetes deutlich früher zu erkennen – und zu verhindern.

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Die Forscher entdeckten außerdem deutliche Unterschiede im Alterungsprozess zwischen Männern und Frauen. Während bei Männern eine lineare Zunahme des biologischen Alters zu beobachten sei, komme es bei Frauen rund um die Menopause zu einem sprunghaften Anstieg – mit Konsequenzen etwa für die Knochendichte oder den Hormonhaushalt. Auch diese Daten könnten künftig genutzt werden, um individuelle Behandlungsstrategien zu entwickeln, etwa im Bereich der Hormonersatztherapie.

Erweiterung ins Ausland und erste Anwendungen

Ein weiterer Vorteil des Projekts liegt in der ethnischen und kulturellen Vielfalt der israelischen Bevölkerung. Dadurch lassen sich genetische Faktoren besser von umweltbedingten Einflüssen trennen. Während sich beispielsweise die Herkunft einzelner Teilnehmer genetisch gut bestimmen lässt – etwa aschkenasisch oder jemenitisch –, spielt sie beim Mikrobiom offenbar kaum eine Rolle. Hier scheint das soziale und kulturelle Umfeld einen stärkeren Einfluss zu haben als die DNA.

Das Human Phenotype Project hat mittlerweile auch Standorte in Japan und den Vereinigten Arabischen Emiraten eröffnet, um die Aussagekraft der Modelle weiter zu verbessern und Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen weltweit besser erfassen zu können. In der Praxis kommen bereits erste Anwendungen zum Einsatz: So hilft ein KI-Tool mit dem Namen »Gluformer« bei der Identifikation von Menschen mit hohem Diabetesrisiko – auf Basis von über zehn Millionen Glukosemesswerten. Ein weiteres System, »COMPRER«, kombiniert Augenhintergrundbilder mit Arterienmessungen im Halsbereich, um frühzeitig auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen hinzuweisen.

Letztlich soll jeder Teilnehmer einen personalisierten digitalen Zwilling erhalten – also ein digitales Modell des eigenen Körpers, das mit neuen Daten ständig weiterlernt und in der Lage ist, individuelle Entwicklungen vorherzusagen. So könnten Ärzte künftig schon vor einem Medikamentenwechsel oder einer Ernährungsumstellung die zu erwartenden Effekte simulieren. Die Forscher sprechen von einem Paradigmenwechsel in der Medizin: weg von pauschalen Empfehlungen – hin zu maßgeschneiderten Entscheidungen auf Basis individueller Datenprofile.

Medizin der Zukunft beginnt jetzt

Um den Nutzen der Forschung möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, arbeitet das Team derzeit an einer App, die allen Projektteilnehmern ein persönliches Gesundheits-Dashboard zur Verfügung stellen soll. Es wird möglich sein, eigene Werte mit Durchschnittsdaten zu vergleichen, individuelle Risiken zu erkennen und Prävention gezielt zu betreiben.

»Wir leben in einer Zeit des Umbruchs«, sagte Projektleiter Professor Eran Segal gegenüber »ynet«. »Die Medizin der Zukunft wird datengetrieben und individuell sein. Was wir hier in Israel entwickeln, könnte weltweit Maßstäbe setzen.« ja

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