Archäologie

Ein Schädel macht Geschichte

Grabungsleiter Omry Barzilai in der Manot-Höhle Foto: Flash 90

Vor einigen Tagen gruben Arbeiter bei der Installation einer Wasserleitung in den Golanhöhen zufällig einen antiken Grenzstein aus. Eingemeißelt war der Name »Nafah« in griechischen Buchstaben, die Bezeichnung des Ortes. Die Archäologen schätzen das Alter des Fundstücks auf 1700 Jahre – und waren begeistert. Solche und ähnliche Nachrichten sind in Israel nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das ganze Land ist ein archäologisches Freilichtmuseum, in dem sich seit Jahrtausenden Menschen und Mächte tummeln.

Die viertägige virtuelle Konferenz »Das Land, das ich dir zeige«, veranstaltet von der Skirball-Fakultät für Hebräisch und Jüdische Studien an der New York University (NYU) in Kooperation mit der Israelischen Antikenbehörde, widmete sich diesem Thema. Geladen waren die bekanntesten israelischen Archäologie-Experten. In 20-minütigen Vorlesungen stellten sie ihre neuesten archäologischen und historischen Untersuchungen vor.

Neandertaler und Homo sapiens könnten sich in Nahost begegnet sein.

Den ältesten Fund beschrieb Omry Barzilai, Leiter der Ausgrabungs- und Forschungsabteilung in der Antikenbehörde. Er erzählte von den Funden in der Manot-Höhle im westlichen Galiläa und der »Suche nach dem modernen Menschen«. Bis 2018 arbeitete dort jeden Sommer ein Team aus israelischen und internationalen Wissenschaftlern, um die Spuren der Antike zu sichern.

WANDERUNG Vor 200.000 Jahren tauchte der moderne Mensch, Homo sapiens, in Ostafrika auf und wanderte später nach Europa. Zur selben Zeit lebten dort die Neandertaler. Eine Theorie, so Barzilai, ist die, dass es eine Rückwanderung des modernen Menschen in die Levante gab und die beiden Menschentypen in Nahost aufeinandertrafen.

Die Frage der Forschung ist, ob die archäologischen Ausgrabungen dieses Modell stützen. »Vor dem Fund der Manot-Höhle war es sehr schwer zu beweisen, da es keine menschlichen Überreste gab«, so der Experte. Doch mit Manot habe sich alles geändert. Der Schädelknochen aus der Höhle wird auf 55.000 Jahre geschätzt – ein sensationeller Fund.

»Das ist er in jeglicher Hinsicht«, ist Barzilai überzeugt, »denn die Morphologie des Knochens ist sehr interessant. Der obere Hirnteil ist verdickt, wie beim modernen Menschen, doch das Profil ist das eines Neandertalers.« Ein Beweis, dass sich die beiden Menschentypen getroffen und nahegekommen sind – wahrscheinlich sogar sehr nah. Das Alter des Schädels passe ebenfalls zur Annahme einer Begegnung. Zu dieser Zeit habe es die sogenannten »arabischen Monsunregen« gegeben, durch die die Sahara fast gänzlich grün geworden und eine Wanderung der Frühzeitmenschen möglich gewesen sei. Barzilai hat keinen Zweifel: »Der Fund hat die Theorie eindeutig bestätigt.«

KULTUR Als »game changer« bezeichnet Jacob Vardi, ebenfalls von der Antikenbehörde, den Fund von Motza. Eigentlich war Motza als antike Siedlung zwischen Jerusalem und dem Mittelmeer schon vorher bekannt. Doch was bei Untersuchungen vor dem Bau der neuen Autobahn zum Vorschein kam, überstieg die Vorstellungskraft der Archäologen.

Denn die jungsteinzeitlichen Überreste waren kein Dorf, wie man es für eine 9000 Jahre alte Siedlung eigentlich angenommen hätte, sondern »eine riesengroße Stadt«, so Vardi. Es ist die größte jemals in Israel und der gesamten Levante gefundene neolithische Siedlung. »Und sie ändert alles, was wir von dieser Zeit zu wissen glaubten.«

Ungefähr einen halben Kilometer im Durchmesser habe die Stadt mehr als 3000 Bewohner beherbergt. »In heutiger Zeit entspräche das der Größe von Tel Aviv oder Jerusalem, also eine echte Metropole.« Und die Bewohner waren keine Jäger und Sammler mehr, sondern betrieben Landwirtschaft, domestizierten Tiere und handelten rege mit Anrainern, sogar bis nach Anatolien. Auch wurden Kultgegenstände, zahlreiche Grabstätten und mögliche Gebäude für religiöse Zeremonien gefunden. »Wir wissen noch nicht genau, was das alles ist. Klar ist aber, dass es schon damals eine Menge Kultur gab.«

ZERSTÖRUNG Für Yitzhak Paz ist En Esur von mindestens ebenso großer Bedeutung. Auch die Entdeckung des größten urbanen Zentrums des frühen Bronzezeitalters an der Nordküste war eine Überraschung. »Wir wussten, dass es etwas Großes ist – aber nicht von dieser Dimension«, so der Archäologe, der ebenfalls bei der Antikenbehörde angestellt ist.

Es gab in der Bronzezeit offenbar riesige Metropolen.

Die Ansiedlung habe mit einem Dorf als Kern begonnen und sich im Laufe des 4. Jahrtausends v.d.Z. in eine Megalopolis entwickelt. Die Fachleute fanden in En Esur Hinweise auf frühzeitliche Städteplanung. Paz ist enthusiastisch: »Das gesamte System der Straßen, der Plätze und Mauern war genauestens geplant und in Viertel unterteilt. Wie haben alle Charakteristika wie in einer modernen Stadt von heute.«

Yuval Gadot stellte die Ausgrabungen auf dem Parkplatz Givati in Jerusalem vor, mit denen er erklären will, welchen Umfang die Stadt vor der Zerstörung im Jahr 587 durch Nebukadnezar hatte. In einem Interview mit der »New York Times« nannte er seine Ausgrabungsstätte »die Akropolis Israels«.

»In Jerusalem fehlen uns Informationen aus Schlüsselzeiten«, so der Professor für Archäologie an der Universität Tel Aviv. Einer der Gründe dafür sei, dass die Menschen in der Stadt immer viel gebaut und das Alte dafür dem Erdboden gleichgemacht hätten. »Jerusalem fehlt die Zerstörung« – ob durch Erdbeben, Feuer oder Kriege. »Denn obwohl wir das natürlich niemandem wünschen, ist es für uns Archäologen bei der Entdeckung viele Jahre später, als wäre alles in der Zeit eingefroren. Und dann können wir ein Porträt anfertigen von dem, was war.«

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