Justizreform

Dutzende Festnahmen am »Tag des Stillstandes«

Demonstranten blockieren die Stadatautobahn Ayalon in Tel Aviv. Foto: Flash90

Dutzende von Demonstranten sind am Donnerstag festgenommen worden, als sie beim sogenannten Tag des Stillstandes Straßen blockierten.

Hunderttausende Israelis gingen nach Angaben der Organisatoren im ganzen Land auf die Straßen, um gegen die geplante Umwälzung des Justizsystems zu demonstrieren. Zum ersten Mal setzte die Polizei Wasserwerfer in Tel Aviv und Haifa gegen die Protestierenden ein.

WOHNHÄUSER Demonstrationen fanden auch vor den privaten Wohnhäusern mehrerer Minister der Koalition statt, zum Beispiel vor dem Haus von Wirtschaftsminister Nir Barkat und dem ehemaligen Geheimdienstchef Avi Dichter. Auch vor der Residenz des Premierministers Benjamin Netanjahu in Jerusalem protestierten die Menschen gegen die Regierungspolitik.

Als er bei einer Konferenz sprach, war Dichter angeblich von einer Demonstrantin mit einer Israel-Flagge geschlagen worden. Der Minister blieb unverletzt, und es ist nicht eindeutig klar, ob die Frau den Minister absichtlich mit der Flagge traf. »Ich verurteile den Angriff auf Minister Avi Dichter durch einen linken Aktivisten auf das Schärfste und fordere die Oppositionsführer auf, die Anarchie, Gewalt und Hetze gegen gewählte Amtsträger sofort zu beenden«, erklärte Netanjahu dennoch.

Mehr als 100 Reservisten der israelischen Luftwaffe gaben bekannt, dass sie sich nicht mehr für den Routinedienst melden werden.

Der »Tag des Stillstandes« fand auch an verschiedenen Orten im Süden des Landes statt. Demonstrationen gab es unter anderem im Beer Sheva, Arad und in den Moschawim Paran und Tlalim. Am Ortseingang von Eilat demonstrierten etwa 150 Demonstranten und blockierten die Straße. Andere setzten auf Symbolträchtiges: So verdunkelte das Tel Aviver Kunstmuseum seine Ausstellungsräume aus Solidarität mit den Protesten.

BOYKOTT Mehr als 100 Reservisten der israelischen Luftwaffe gaben bekannt, dass sie sich nicht mehr für den Routinedienst melden und sich dem anhaltenden Boykott der Militärreserve aus Protest gegen die Justizreform anschließen würden. Die Unterzeichner der jüngsten Ankündigung hatten wichtige Ämter innerhalb des operativen Hauptquartiers der Luftwaffe inne, etwa Kontroll- und Kommando-, Planungs- und Geheimdienstposten. Viele der Unterzeichner sind freiwillige Reservisten.

Einige von ihnen gaben an, am Donnerstagabend zusammen mit anderen Protestorganisationen von Ramat Gan nach Bnei Brak zu marschieren, um eine Demonstration in der vornehmlich ultraorthodoxen Stadt abzuhalten.

WARNUNGEN Währenddessen berichten israelische Medien, aus Polizeikreisen sei verlautet, dass es Warnungen vor Plänen gegeben habe, Demonstranten zu konfrontieren und anzugreifen, die beabsichtigen, in Bnei Brak zu demonstrieren. Hunderte von Polizisten sollen vor Ort sein, um Zusammenstöße zu verhindern.

Die Entscheidung der Organisatoren, die Demonstration dort abzuhalten, ist auf Kritik gestoßen. »Die Demonstration richtet sich nicht gegen die charedische Öffentlichkeit«, stellten die Initiatoren jedoch klar. »Wir kommen, um unsere Stimme zu erheben, damit die ultraorthodoxe Führung in Bnei Brak zuhört, genauso wie wir verlangen, dass die Likud-Mitglieder der Knesset zuhören.«

»Ich flehe alle an, Verantwortung zu zeigen und alles zu vermeiden, was unnötigen Hass schüren könnte.«

präsident isaac herzog

Präsident Isaac Herzog aber warnte Demonstranten davor, ihre geplante Kundgebung in der Stadt abzuhalten. »Der Präsident und der Staat flehen alle an, Verantwortung zu zeigen und alles zu vermeiden, was unnötigen Hass schüren und die schwere Kluft, in der wir uns befinden, vertiefen könnte.«

Damit stimmen viele Demonstranten überein. Hunderte versammelten sich daher zu einer von der »Together«-Bewegung organisierten Demonstration auf dem Dizengoff-Platz in Tel Aviv. Die Bewegung wollte eine Alternative für diejenigen bieten, die nicht daran interessiert sind, sich dem Proteste in der ultraorthodoxen Stadt anzuschließen.

MENSCHEN »Unser Kampf richtet sich gegen die Regierungspolitik, nicht gegen die Öffentlichkeit«, so die Gruppe. »Eine Demonstration gegen die ultra-orthodoxen Bewohner von Bnei Brak ist falsch, weil sie Menschen gegen Menschen aufbringt, statt die Menschen gegen die Regierung.

Aus dem Büro des Vorsitzenden der Oppositionspartei Nationale Einheit, Benny Gantz, hieß es derweil, dass er Gespräche mit Koalitionsmitgliedern des Likud und den ultraorthodoxen Parteien geführt habe, darunter auch mit Verteidigungsminister Yoav Gallant vom Likud. Es sei dabei um die Verhinderung fataler Schäden für die Demokratie und des Bürgerkriegs gegangen, hieß es. Angeblich habe Gantz mitgeteilt, dass der Stopp der Justizreform der Schlüssel zur Beendigung dieser Krise sei.

RÜCKTRITT Verschiedene Koalitionsmitglieder sprachen sich jedoch bereits gegen jegliches Anhalten der Regierungspolitik aus. Wie Kommunikationsminister Shlomo Karhi (Likud): «Ein solch beschämender Rückzug von unseren Verpflichtungen wird zur Intensivierung des Protests führen und zur Auflösung der Regierung.» Die Ministerin für öffentliche Diplomatie, Galit Distel Atbaryan, rief alle Likud-Kollegen, die die Einstellung der Justizreform fordern, zum Rücktritt auf.

Derweil berichten israelische Zeitungen, dass Gallant angeblich noch am Abend dazu aufrufen wolle, die Gesetzgebung zur Justizreform anzuhalten. Die Frau des Premierministers, Sara Netanjahu, meldete sich zum ersten Mal seit Beginn der Proteste zu Wort. Sie rief zu einem «breiten Konsens zwischen den Menschen in Israel» auf.

Der Ministerpräsident selbst werde sich noch vor seiner Abreise zum Staatsbesuch in London um 20 Uhr Ortszeit mit einer Erklärung an das israelische Volk wenden, gab sein Büro an.

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Diplomatie

Kasachstan will sich den Abraham-Abkommen anschließen

US-Präsident Donald Trump kündigte den Schritt wenige Tage vor dem Besuch des saudischen Kronprinzen im Weißen Haus. Auch Saudi-Arabien solle seine Beziehungen zu Israel normalisieren, so die Hoffnung des US-Präsidenten

 07.11.2025

Israel

Spion auf vier Rädern

Israels Armee mustert ihre Dienstfahrzeuge »Made in China« aus. Der Grund: Sie könnten ein Risiko für die nationale Sicherheit sein

von Ralf Balke  07.11.2025

Ko Pha Ngan

Thailand: Israelisches Paar hat in der Öffentlichkeit Sex - und wird verhaftet

Die Hintergründe

von Sabine Brandes  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Geiselhaft

»Sie benutzten mich wie einen Boxsack«

Die befreite Wissenschaftlerin Elisabeth Tsurkov berichtet über »systematische Folter und sexuelle Gewalt« durch die Entführer im Irak

von Sabine Brandes  06.11.2025

Gaza

Ex-Geisel Rom Braslavski: »Ich wurde sexuell missbraucht«

Es ist das erste Mal, dass ein aus der Gewalt der Terroristen freigekommener Mann über sexuelle Gewalt berichtet

von Sabine Brandes  06.11.2025

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

 06.11.2025 Aktualisiert