Die breiteste Koalition aller Zeiten in Israel wackelt. Noch steht sie, doch die Frage ist, wie lange noch. Als die Knesset in Jerusalem am Montag nach einer zweimonatigen Pause zur Sommersitzung wieder zusammenkam, überstand die Regierung unter dem Vorsitz des Premierministers Naftali Bennett von der Rechtspartei Jamina gleich zwei Misstrauensanträge an nur einem Tag.
Der breit aufgestellten Regierung gehört nahezu das gesamte Spektrum der israelischen Parteienlandschaft an, bestehend aus sieben Mitte-, Rechts- und Linksparteien sowie einer arabischen Partei. Genau diese Vielfalt könnte ihr zum Verhängnis werden.
austritt Denn ausgelöst wurde die Krise durch den Austritt der Jamina-Abgeordneten Idit Silman im April wegen gravierender ideologischer Unstimmigkeiten. Die Koalition verlor damit ihre 61-köpfige Mehrheit in der 120 Sitze zählenden Knesset und hat damit so viele Unterstützer wie die Opposition. Eine Tatsache, die sie destabilisiert und vor allem bei anderen Mitgliedern von Jamina zu Unzufriedenheit führt.
Es kriselte weiter, als die islamistische Raam-Partei unter der Leitung von Mansour Abbas ihre Mitgliedschaft wegen der Spannungen auf dem Tempelberg in Jerusalem zeitweilig einfror.
Unterdessen holte die Opposition unter der Leitung von Ex-Premier Benjamin Netanjahu zur Attacke aus. Scharf kritisierte sie den Umgang der Regierung mit den palästinensischen Terroranschlägen, die das Land seit März wieder und wieder erschüttern und bislang 18 Israelis das Leben kosteten.
terrorismus In einer Rede bezeichnete Netanjahu die aktuelle Regierung als gelähmt. »Sie entscheidet nicht, sie initiiert nichts, sie bekämpft den Terrorismus nicht.« Einem Bericht in der Gratiszeitung »Israel Hayom« zufolge herrscht im Likud von Netanjahu jedoch Uneinigkeit darüber, ob man versuchen solle, vorgezogene Neuwahlen auszulösen oder eine alternative Koalition während der laufenden Amtszeit der Knesset zu bilden.
In einer Rede bezeichnete Ex-Premier Netanjahu die aktuelle Regierung als gelähmt.
Allerdings fehlt Netanjahu derzeit die nötige Mehrheit, um Letzteres zu erreichen. Außerdem müsste dafür ein konstruktives Misstrauensvotum gewonnen werden, bei dem die Mitglieder eine vollständig gebildete Ersatzregierung vorzuzeigen hätten, die zur Einsetzung bereit ist.
Ein konstruktiver Misstrauensantrag ist eine besondere Form, fehlende parlamentarische Unterstützung einer amtierenden Regierung auszudrücken. Er wurde entwickelt, um den häufigen Sturz von Regierungen zu verhindern und die Exekutive zu stärken. Da eine Ersatzregierung für die Opposition in weiter Ferne scheint, legte sie zunächst ein reguläres Misstrauensvotum ein – und das gleich zwei Mal. 53 von 120 Parlamentariern sprachen sich dafür aus, 61 dagegen. Darunter waren Abgeordnete der Vereinten Arabischen Liste, die eigentlich zur Opposition gehören.
instabilität Die von Netanjahu erwähnte »Lähmung« habe laut Bennett vor seiner Regierungszeit stattgefunden. Er wolle alles versuchen, um seine Koalition am Leben zu halten. »Wir arbeiten trotz des Lärms und der vielen Herausforderungen weiter zum Wohle aller Bürger des Staates Israel«, betonte er bei der Eröffnung. »Wenn man sich ansieht, was berichtet wird, könnte man manchmal meinen, dass Politik ein Spiel ist. Doch das ist es nicht. Es ist das Leben von uns allen.«
Bennett ließ wissen, dass Instabilität für den Staat ungesund sei. »Es ist äußerst wichtig, die Koalition zusammenzuhalten. Die Alternative ist, ein Jahr zurückzugehen – und das wäre schrecklich.« Bennett spielte damit auf den anhaltenden politischen Stillstand an, der dazu führte, dass die Israelis innerhalb von zwei Jahren viermal an die Wahlurnen mussten, bevor schließlich eine Regierung zustande kam.
Außenminister Yair Lapid von der Zentrumspartei Jesch Atid betonte, dass er sich keine großen Sorgen um den Status der Koalition macht. »Ich bin nicht leichtfertig. Die neue Situation schafft Schwierigkeiten, es wird Gesetzgebungsverfahren geben, die sich verzögern. Aber es gab bereits solche Minderheitsregierungen, die lange gehalten haben.«
Studien »Das stimmt«, weiß der Leiter des Programms für politische Reformen am Israel Democracy Institute (IDI), Assaf Shapira. »Minderheitsregierungen sind generell nicht so selten und nicht unbedingt etwas Schlechtes.«
In einigen fortschrittlichen Demokratien haben die meisten Regierungen keine parlamentarische Mehrheit, dazu gehören Dänemark, Spanien, Schweden und Norwegen, außerdem Kenia, Kroatien und Slowenien. Empirische Studien hätten gezeigt, dass sie nach dem Kriterium der Stabilität genauso gut funktionieren können wie Mehrheitsregierungen. »Insbesondere solche, die auf breite Koalitionen angewiesen sind, wie die meisten israelischen Regierungen im Laufe der Jahre.«
»Minderheitsregierungen sind nicht unbedingt etwas Schlechtes.«
Politologe Assaf Shapira
In Israel aber seien Minderheitsregierungen nicht sehr üblich und überlebten normalerweise nur kurze Zeit, nachdem eine Fraktion die Koalition gesprengt hatte. Hinzu komme, erläutert Shapira, dass die Besonderheiten der jetzigen Minderheitsregierung ihr das Leben voraussichtlich sehr schwer machen werden. Zum Beispiel genießen die meisten Minderheitsregierungen in anderen Ländern die Unterstützung von außen durch Parteien, die nicht Mitglieder der Koalition sind, aber mit ihnen abstimmen.
unterstützung »Es ist schwer vorstellbar, dass dies der gegenwärtigen Regierung in Jerusalem widerfährt. Ohne die Unterstützung von außen wird sie nicht in der Lage sein, Gesetze zu verabschieden. Es wird ihr schwerfallen, zu funktionieren und ihre politische Agenda voranzutreiben«, sagt Shapira. Denn sie sei bereits hinsichtlich der Anzahl und Identität ihrer Teilparteien zersplittert.
Einige Fraktionen und Abgeordnete hätten sie immer wieder herausgefordert und werden dies voraussichtlich auch in Zukunft tun, meint er. Im Gegensatz dazu sind Minderheitsregierungen in anderen Ländern im Allgemeinen geschlossener und setzten sich aus einer kleinen Anzahl ideologisch kompatibler Parteien zusammen.
Er geht davon aus, dass es »unter dem Strich der derzeitigen Minderheitsregierung schwerfallen wird, eine Mehrheit für ihr Programm zu mobilisieren«. Denn sie könne nicht die Vorteile der Einheit und Solidarität genießen, auf die ihre Amtskollegen in anderen Ländern zurückgreifen könnten. »Es würde sicherlich eine holprige Reise.«