Wetter

Die große Flut

Kein Jom Kippur, nicht einmal Schabbat. Es ist ein gewöhnlicher Dienstagmorgen – und doch ist auf dem Ayalon nicht ein einziges Fahrzeug zu sehen. Stattdessen rauschen schmutzige Wassermassen die Tel Aviver Stadtautobahn entlang. Seit Tagen tobt in Israel heftigstes Winterwetter mit Stürmen bis zu 120 Stundenkilometern und Regenmassen, die so seit zehn Jahren nicht gefallen sind. Der Ayalon ist in beide Richtungen gesperrt, Züge fahren unregelmäßig oder gar nicht mehr – und die Metropole Tel Aviv ist im Ausnahmezustand.

Der Yarkon-Fluss, der durch den nördlichen Teil der Stadt fließt, ist im Sommer nicht mehr als ein Bächlein. Nach den heftigen Regenfällen aber ist er über die Ufer getreten. Das normalerweise trockene Flussbett des Ayalon verläuft parallel zur Autobahn und drohte die größte Verkehrsader des Landes zu fluten.

Die Stadtverwaltung erklärte, dass sowohl der Yarkon als auch der Ayalon kurz davor stünden, in die Stadt zu fließen und eventuell Teile Tel Avivs evakuiert werden müssten. Gemeindezentren seien für die Bevölkerung geöffnet worden, hieß es in einer Erklärung des Bürgermeisters. Die Polizei forderte Autofahrer auf, Tel Aviv ganz zu meiden. Nachdem auch der Zugverkehr seinen Betrieb eingestellt hatte und alle vier Stationen im Zentrum geschlossen wurden, weil Gleise unter Wasser standen, ging so gut wie gar nichts mehr.

Stau Im jemenitischen Viertel wurde am Mittwoch ein zentraler Strommast umgeweht und sorgte in einem Großteil des Tel Aviver Südens für Stromausfall. Der Carmelmarkt hat seine Pforten geschlossen, während die Wassermassen in der Gasse zwischen den Ständen hinabrauschen. Mittlerweile haben die meisten Geschäfte im Zentrum zugesperrt, Kunden trauen sich bei diesem Wetter kaum vor die Tür.

Nili Cohen stand mehr als zweieinhalb Stunden im Stau, um von ihrem Wohnort Herzliya ins Büro in Tel Aviv zu gelangen. Normalerweise fährt sie 25 Minuten. »Doch auf einmal herrschte totaler Stillstand«, sagt die kaufmännische Angestellte. »Die Polizei hatte die Auffahrt zur Autobahn gesperrt und leitete sämtlichen Verkehr auf andere Straßen um, wo bereits alles verstopft war.« Schließlich drehte Cohen um und fuhr nach Hause. So wie sie taten es viele Arbeitnehmer, nachdem sie die Nachrichten gehört hatten.

Radiosprecher auf allen Kanälen warnen halbstündlich vor den widrigen Verhältnissen. Beim Armeesender Galgalatz heißt es nach den ausgiebigen Stauinformationen: »Wir werden heute alle zu spät kommen, daran lässt sich nichts ändern. Das Wetter spielt verrückt – doch tut ihr es bitte nicht. Bleibt cool und fahrt vorsichtig!« Trotz der wohlgemeinten Ratschläge gab es Verkehrsunfälle mit Toten und Schwerverletzten. Auf der Autobahn eins, die Tel Aviv und Jerusalem verbindet, starben drei Menschen, nachdem der Fahrer die Kontrolle über seinen Pkw verloren hatte.

Surfer Die Stürme seien die schlimmsten, die Israel seit einem Jahrzehnt gesehen hat, verkündet das meteorologische Landesamt. Selbst Surfer, die sonst bei Winterstürmen frohlocken und sich mit ihren Brettern in die Fluten werfen, bleiben zu Hause. Profi Dan Ariel, der seit 20 Jahren auf den Wellen reitet, findet, dass sechs bis sieben Meter hohe Wellen dann doch zu viel seien. »Da bleibe ich lieber daheim und mache mir warme Gedanken.«

Für Schrecken sorgten die Stürme überall im Land durch umgestürzte Bäume und abgerissene Stromleitungen. Pausenlos sind die Angestellten der Stadtverwaltungen im Einsatz, um die Gefahren zu beseitigen und Stromausfälle zu beheben. In Mewasseret Zion bei Jerusalem fiel am Montag komplett die Schule aus, weil es stundenlang keinen Strom gegeben hatte.

Strom Die außergewöhnlich kalten Temperaturen sorgen für einen extremen Stromverbrauch, der die Versorgung an den Rand des Zusammenbruchs bringt. Immer wieder ruft der nationale Anbieter die Israelis auf, Strom zu sparen. Für viele Menschen ist das in den nicht zentralgeheizten Häusern aber kaum möglich. Denn eine warme Wohnung gibt es nur, wenn die Klimaanlage ohne Unterlass pustet. Nach Angaben der Hilfsorganisation Chasdei Naomi müssen zehn Prozent der Menschen im Land frieren. Sie haben nicht genug Geld für Decken und anderes, um sich warm zu halten. Der Bericht spricht von einem »schwierigen Winter für viele«. Durch die angespannte wirtschaftliche Lage soll es für 70 Prozent der Israelis problematisch sein, die oft horrenden Heizkosten aufzubringen.

Auch werden Sturm- und Wasserschäden aus der Landwirtschaft gemeldet: Im Hulatal sind Hunderte von Hektar Nutzfläche mit Karotten und Zwiebeln zerstört worden. Zitrusbauern an der Küste sprechen von großem Schaden durch überschwemmte Haine und abgerissene Früchte. Die Verluste werden auf Millionen von Schekel geschätzt. Und noch geben die Meteorologen keine Entwarnung: Das Unwetter soll das Land noch mindestens bis Freitag in Atem halten.

Skifahrer Doch nicht für alle bringt das Winterwetter Schlechtes: In Jerusalem fallen Schneeflocken, ein Phänomen, über das Kinder wie Erwachsene immer wieder in Verzückung geraten. Auch können die Israelis sich ob der gefüllten Wasserreservoirs freuen. Allen voran schwillt der Kinneret stetig. Allein in der Nacht zum Dienstag stieg der Pegel um 22 Zentimeter. Ein großes Plus im Vergleich zum vergangenen Jahr, als der Pegel zur selben Zeit um 1,81 Meter niedriger lag.

Schefi Mor, verantwortlich für die Touristenbuchungen im Kibbuz Merom Golan am Fuße des Bergs Hermon, freut sich. »Wir sind schon fast ausgebucht für die kommenden Wochenenden. Die Leute wollen die tosenden Wasserfälle und natürlich den Schnee in unserer Gegend sehen. Für unsere Tourismusbranche ist das Wetter ein Geschenk des Himmels.«

Auch Jasmal Asslan frohlockt und bringt seinen Skiverleih im drusischen Dorf Madj-al-Schams in den oberen Golanhöhen auf Hochglanz für den potenziellen Andrang im Skigebiet. »Die Saison in Israel ist normalerweise zu kurz, um ein gutes Geschäft zu machen. Meist laufen die Lifte nicht mehr als ein paar Wochenenden«, weiß er. »Doch wenn es noch etwas weiterschneit, werden wir die beste Skisaison aller Zeiten haben.«

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