Film

Der Kino-Erzähler

Es erfordert Mut, einen Galaabend zu Ehren seiner selbst zu veranstalten. Oder Chuzpe. Was auch immer die richtige Bezeichnung ist, Dan Wolman hat diese Mischung aus Trotz, Wurstigkeit und Selbstironie. Und so erschien es ihm logisch, sein 40-jähriges Leinwandjubiläum 2008 selbst durchzuführen.

»Ich will keinen Abend, bei dem Experten über meinen Beitrag zum Kino reden«, sagte Wolman damals der israelischen Tageszeitung Haaretz. »Ich möchte nicht, dass Filmcrews erzählen, wie pünktlich ich zahle und wie nett ich bin.«

Ich treffe Dan Wolman im Café Tamar in der Tel Aviver Shenkinstraße. Er hat bereits einen Tee vor sich, sagt »Macht nichts« auf meine Entschuldigung für das Zuspätkommen und lächelt das nachsichtige Lächeln eines älteren Mannes. Dass er nicht so sanft ist, wie die blauen Augen und die warme Stimme vermuten lassen, wird klar, als er ungeduldig die erste Frage einfordert. Wolman will mit dem Erzählen beginnen.

Von seiner Kindheit berichtet er, in der er stets neugieriger auf die »Uncoolen« war als auf die Klassenhelden, von seiner Zeit in der Armee im Nahal-Tal, von seinem ersten Film. Nimmt Wolman Worte in den Mund, werden sie zu Geschichten.

Fernweh Geschichten waren bereits in Jugendjahren seine Leidenschaft. Und Kino. Er wurde 1941 in Jerusalem geboren. Dort sah Wolman als Kind auch seinen ersten Film. Der Beginn einer großen Liebe. Weil es in Israel damals keine Filmschule gab, ging er nach dem Militärdienst nach New York. Acht Jahre lebte er in den Vereinigten Staaten, bevor er nach Israel zurückkehrte. Die Liebe zur Ferne hat er aus der Zeit beibehalten. Wolman genießt es zu reisen, andere Länder zu sehen, andere Geschichten zu hören.

Woanders als in Israel zu leben, kann er sich dennoch nicht vorstellen. Die komplizierte Geschichte seines Landes ist das Hauptthema seiner Filme. Hide and Seek ist eine schwule Liebesgeschichte zwischen einem Juden und einem Araber wäh-
rend der Mandatszeit, in Foreign Sisters hat er sich mit der Situation der Gastarbeiter befasst, und in Gei Oni, seinem neuen Film nach dem Erfolgsroman von Shulamit Lapid, erzählt Wolman die Geschichte der jungen Fania, die Ende des 19. Jahrhunderts vor Pogromen in Russland nach Erez Israel flieht und sich dort gegen die Unwirtlichkeit des Landes wie gegen die Arroganz der Männer durchsetzt. Deutschlandpremiere hatte der Film beim Jewish Film-Festival Berlin in diesem Jahr. Im Oktober präsentierte der Regisseur ihn persönlich bei den Jüdischen Filmtagen Saarbrücken.

bilder Seine Geschichten erzählt Dan Wolman in klaren Bildern, ohne viel Gewese, wenn auch gelegentlich mit Hang zum Pathetischen. Man sieht seinen Filmen an, dass ihn das Kino der 50er- und 60er-Jahre geprägt hat. »Ich möchte nicht, dass die Leute darüber nachdenken, wo die Kamera ist, sondern dass sie in der Geschichte versinken«, sagt er.

Mit seinen Produktionen war er zum Teil sehr erfolgreich. Hide and Seek wurde 1979 bei der Berlinale präsentiert, ein anderer Film, The Dreamer, lief 1970 beim Festival in Cannes. Dennoch spielt Wolman in der israelischen Filmszene eine Außenseiterrolle.

Das mag auch daran liegen, dass der Regisseur, dem seine Autonomie wichtig ist und der sich ungern reinreden lässt, um Geld zu verdienen, einige Filme gemacht hat, die nicht gerade das künstlerische Niveau seiner Arbeit unterstreichen. Dazu zählt auch eine Folge von Eis am Stiel, der pubertären Erfolgsserie aus den 70er- und 80er-Jahren, aber auch Werbefilme für Unternehmen.

Dass das Filmemachen ihn weder reich noch berühmt gemacht hat, liegt, glaubt Wolman, auch am umkämpften Markt im kleinen Israel. Es gibt wenige Verleihfirmen, der Wettkampf um Fördergelder ist ebenso hart wie der um TV-Sendeplätze. »Zudem sind Verleih- und Produktionsfirmen oft verquickt«, sagt er. Ihm ist anzusehen, dass ihn das ärgert. »Ich habe so viele Filme gemacht. Trotzdem fange ich jedes Mal bei null an, an dem gleichen Punkt wie die 50 bis 100 Absolventen, die jedes Jahr die Hochschulen verlassen.«

Internet Nun hofft er, über das Internet neue Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Er träumt davon, seine Filme selbst zu zeigen. In Tel Aviv hat er Hotels angerufen und herausgefunden, dass es nicht kompliziert wäre, Säle und Vorführungsausrüstung auszuleihen. Ideen für neue Filme hat er bereits. Es gibt eine Thomas Mann-Erzählung, die Wolman verfilmen will. »Aber die Rechte sind zu teuer«, sagt er. »Es sei denn, ich warte, bis Manns Tod 70 Jahre zurückliegt.« Er lacht, denn das wären etwas mehr als zehn Jahre. Und er ist selbst fast 70.

Sein Alter mit Humor zu nehmen und offen zu thematisieren, ist typisch für Dan Wolman. Ähnlich direkt und nonchalant geht er mit seiner finanziellen Lage um, die ihn zwingt, nach bald einem halben Jahrhundert in der Branche immer noch zu arbeiten. Meinen Tee im Café bezahlen will er trotzdem. »Schließlich bin ich der reiche Filmemacher«, sagt er und lacht. »Nehmen Sie mich bloß nicht zu ernst«, meint er zum Abschied.

Meinung

Doppelte Standards, verkehrte Welt

Warum werden an israelische und jüdische Opfer von Gewalt andere Maßstäbe angelegt?

von Jacques Abramowicz  02.10.2024

Israel

Vom Strand in den Schutzbunker

Wir wissen nicht, wie sich die kommenden Tage und Wochen entwickeln werden. Aber wir haben einander – und gemeinsam sind wir stark

von Jenny Havemann, Sarah Cohen-Fantl  02.10.2024

Interview

»Das hatte eine andere Qualität«

Militärexperte Carlo Masala darüber, warum der jüngste Angriff des Iran auf Israel anders war, wie das Arsenal der Mullahs aussieht, und wie Israel reagieren sollte

von Sophie Albers Ben Chamo  02.10.2024

Feiertag

»Schana Joter Towa« aus Israel

Nach dem grausamsten Jahr in Israels Geschichte sehnen sich die Israels in 5785 nach Ruhe und Frieden

von Sabine Brandes  02.10.2024

Krieg

»Die freie Welt muss an Israels Seite stehen«

Israelische Politiker reagieren auf iranischen Raketenangriff / Außenminister Katz erklärt UN-Chef zur persona non grata

von Sabine Brandes  02.10.2024

Terroranschlag in Jaffo

Mutter rettet ihr Kind und stirbt

Sieben Menschen sind bei einem Anschlag in Tel Aviv kurz vor dem bisher größten Raketenangriff auf Israel getötet worden. Nun werden Namen und Schicksale bekannt

 02.10.2024 Aktualisiert

Ben Gurion-Flughafen

Welche Fluglinien fliegen noch nach Israel, welche nicht?

Aufgrund der Situation werden auch viele zunächst angekündigte Flüge gestrichen

von Imanuel Marcus  02.10.2024

7. Oktober

»Es kam wie aus heiterem Himmel« - Ein Jahr nach dem 7. Oktober

Das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels löste einen Krieg mit verheerenden Folgen im Gazastreifen aus. Bei Überlebenden im Grenzgebiet hinterlässt der Hamas-Überfall tiefe Wunden

von Sara Lemel  02.10.2024

Nahost

Israelische Armee setzt Angriffe gegen Hisbollah-Terroristen fort

Offenbar kommt es derzeit zu weiteren Kämpfen im Südlibanon

 02.10.2024