IL50D

»Das Wunder der Freundschaft«

Bundespräsident Joachim Gauck und Benjamin Netanjahu (v.l.) Foto: Flash 90

Es seien Beziehungen in unruhigen und bedrohten Zeiten, sagte Joachim Gauck schon zum Auftakt seines Israelbesuches, als er am Samstagabend in der Tel Aviver Oper ein Konzert des Leipziger Thomanerchors und des Gewandhausorchesters besuchte.

Am Sonntag ging der zweitägige Besuch Gaucks zu Ende, die offizielle Visite fand im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen statt. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin sprach in Tel Aviv von einer »aufrichtigen Freundschaft« zwischen Israel und Deutschland. Zugleich wies er darauf hin, dass die Beziehungen durch die besondere Geschichte schwierig und komplex seien und ein »feines Gehör« verlangten.

Hymne Die Besonderheit der Beziehungen wurde deutlich, als Rivlin den Gast am Sonntagmittag in seiner Jerusalemer Residenz empfing und die Militärkapelle die deutsche Hymne anstimmte. In einem anschließenden Statement erinnerte Rivlin an die Proteste, die diese Hymne 1965 bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens des deutschen Botschafters Rolf Pauls ausgelöst hatte. Er selbst habe damals gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen demonstriert. Nun schließe sich nach 50 Jahren für ihn persönlich ein Kreis, wenn er als Staatspräsident seinen deutschen Amtskollegen in Jerusalem begrüße.

Gauck antwortete, er sei außerordentlich dankbar für die Herzlichkeit, mit der er empfangen wurde. Wenn der israelische Präsident dabei von »Freundschaft« spreche, sei das etwas, was er als älterer Deutscher nur als Wunder bezeichnen könne. Es sei wichtig, dass Deutsche und Israelis auf den verschiedensten Ebenen intensiv die gebauten Brücken weiter befestigen und sie verstärken. »Wir werden sorgfältig zuhören, wenn Israelis uns oder Europäer kritisieren, wegen einiger aktueller Äußerungen oder Festlegungen«, betonte Gauck. Auch werde man aufmerksam zuhören, wenn Israel die Ernsthaftigkeit der Bedrohung, der es sich gegenübersieht, deutlich macht.

Der Bundespräsident versicherte, dass die deutsche Regierung unverbrüchlich zu Israel steht. »Dies zu wiederholen, ist wichtig, gerade in Situationen, in denen es politische Differenzen gibt.« Der Grad an Herzlichkeit und Offenheit, der ihm hier begegnet sei, erlaube es ihm, diese Dinge anzusprechen. »Wir haben so viel erreicht. Lassen Sie uns daran arbeiten, dass wir das nicht verlieren und beieinander bleiben. Wir Deutsche bleiben an ihrer Seite.«

Im Gästebuch hinterließ Gauck den Eintrag »50 Jahre Wachsen von Verstehen und schließlich Freundschaft! Dankbar für dieses Wunder«. Zuvor war Gauck mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einem Arbeitsfrühstück zusammengetroffen. Aus Teilnehmerkreisen verlautete, das Gespräch sei offen und substanziell gewesen. Dabei sollen die terroristische Bedrohung, der Nahost-Friedensprozess, das iranische Atomprogramm und die EU-Kennzeichnung von Produkten aus sogenannten israelischen Siedlungen Thema gewesen sein.

Am Vormittag wurde dem Bundespräsidenten die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität Jerusalem verliehen – unter anderem in Anerkennung seines Kampfes gegen den weltweiten Rassismus und Antisemitismus und für die Wahrung der Erinnerung an den Holocaust.

Identität Gauck sagte, ein Deutscher seines Alters könne diese Würde nur mit tiefer Dankbarkeit, Demut und großer Freude annehmen. Es gebe selbst heute, da Deutschland seit Jahrzehnten ein demokratischer Rechtsstaat ist, keine deutsche Identität ohne Auschwitz, und es gebe selbst heute, da Israel ganz anderen Bedrohungen gegenübersteht, keine israelische Identität ohne die Schoa. »Aber die Begegnungen überzeugten mich davon, dass auf beiden Seiten der starke Wunsch besteht, mit dieser Vergangenheit auf eine Weise umzugehen, die eine gemeinsame Gegenwart und vor allem eine gemeinsame Zukunft möglich macht.«

Die Begegnungen hätten sich zudem in einer Weise verändert, indem man gemeinsam, erzwungenermaßen, neuen Gefahren begegne. »Ich spüre es an mir selbst: Jetzt, wo der Terror näher an uns in Westeuropa heranrückt, kann ich besser jene Bedrohung erfassen, in der Israelis seit Jahrzehnten leben.«

Zur Ehrendoktorwürde gratulierte der Zentralrat der Juden in Deutschland dem Bundespräsidenten. Vor allem, dass Gauck großes Verständnis für die Sorgen der Israelis vor Terror geäußert habe, würdigte Zentralratspräsident Josef Schuster: »Gegenseitiges Verständnis und Empathie sind der Schlüssel für ein friedliches Miteinander.«

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Diplomatie

Kasachstan will sich den Abraham-Abkommen anschließen

US-Präsident Donald Trump kündigte den Schritt wenige Tage vor dem Besuch des saudischen Kronprinzen im Weißen Haus. Auch Saudi-Arabien solle seine Beziehungen zu Israel normalisieren, so die Hoffnung des US-Präsidenten

 07.11.2025

Israel

Spion auf vier Rädern

Israels Armee mustert ihre Dienstfahrzeuge »Made in China« aus. Der Grund: Sie könnten ein Risiko für die nationale Sicherheit sein

von Ralf Balke  07.11.2025

Ko Pha Ngan

Thailand: Israelisches Paar hat in der Öffentlichkeit Sex - und wird verhaftet

Die Hintergründe

von Sabine Brandes  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Geiselhaft

»Sie benutzten mich wie einen Boxsack«

Die befreite Wissenschaftlerin Elisabeth Tsurkov berichtet über »systematische Folter und sexuelle Gewalt« durch die Entführer im Irak

von Sabine Brandes  06.11.2025

Gaza

Ex-Geisel Rom Braslavski: »Ich wurde sexuell missbraucht«

Es ist das erste Mal, dass ein aus der Gewalt der Terroristen freigekommener Mann über sexuelle Gewalt berichtet

von Sabine Brandes  06.11.2025

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

 06.11.2025 Aktualisiert