Beer Sheva

Cyber-Oase in der Wüste

Meistens wird das Sonnenlicht in Beer Sheva vom Wüstenstaub verschluckt. Er ist überall. Eine Schicht aus Gelb und Weiß auf Fensterscheiben, Autodächern, in Mund und Haaren. Doch heute ist die Luft leicht und kühl, nichts behindert die Aussicht von Roy Zwebners Büro im vierten Stock, Gebäude 1, Gav Yam Advanced Technology Park.

Der Blick wandert zur neuen Fußgängerbrücke. Geschwungen wie zwei halb geöffnete Augen, verbindet die weiße Stahlkonstruktion den neuen Bahnhof, Tech Park und den Campus der Ben-Gurion-Universität. »Eine Brücke zwischen Hightech, Industrie und Wissenschaft« nennt sie Roy Zwebner, CEO des Technology Parks.

Vor sieben Jahren verließ der 37-Jährige sein Start-up in Tel Aviv mit der Vision, die Negevwüste in ein modernes Innovationszentrum zu verwandeln. 2013 eröffnet der Tech Park seine Pforten, drei Jahre später sind bereits 70 Unternehmen in die ersten Hochhäuser des Parks eingezogen, darunter Telekommunikation- und IT-Giganten wie PayPal, IBM, Deutsche Telekom, WeWork, EMC oder Wix. »Wir werden zwischen 10.000 und 20.000 neue Jobs schaffen«, betont Zwebner. »Vor drei Jahren gab es hier nichts als Kamele und Sand. Wir haben davon sogar noch Fotos. Aber von diesem Image möchten wir uns endgültig lösen und ein neues Zeitalter beginnen.«

zentrum Eine nationale Initiative des Israel National Cyber Bureau (INCB), der Gemeinde Beer Sheva und der Ben-Gurion-Universität (BGU) soll die Region als neues Cyber-Zentrum des Landes bewerben. »Beer Sheva wird nicht nur die Cyber-Hauptstadt Israels, sondern auch einer der wichtigsten Orte für den Cybersektor in der ganzen Welt werden«, prophezeite Premierminister Benjamin Netanjahu bei der »Israeli Cyber Innovation Arena« 2014. Laut der 2015 veröffentlichten »Global Technology Emerging Market Study« rangiert die Wüstenmetropole schon jetzt unter den Top Sieben der Städte für Hightech und Innovation. Mithilfe der Non-Profit-Initiative »CyberSpark« des Ministeriums für Kultur- und Kommunikation soll ein Ökosystem geschaffen werden, in dem Wissenschaft, Privatindustrie und Militär auf engstem Raum nebeneinander und miteinander kooperieren.

»Ganz sicher schwingt hier auch ein zionistischer Gedanke mit, die Wüste erblühen zu lassen«, fügt Zwebner hinzu. Schon der erste Premierminister, David Ben Gurion, soll gesagt haben: »Die Negevwüste bietet die besten Möglichkeiten, um alles aus der Wiege zu heben.« Er sah die Zukunft der Nation im Süden des Landes.

Israels Wüste macht ganze 60 Prozent der Landmasse aus – doch nur zehn Prozent der Bevölkerung hat es in diese karge und ärmere Gegend verschlagen. Kein Wunder also, dass die Regierung alles daransetzt, den ungenutzten Raum bei der Bevölkerung beliebter zu machen. Unternehmen, die sich für eine Niederlassung in der Wüste entscheiden, werden belohnt: »Die Regierung hat sich entschieden, den Firmen sechs Jahre lang 30 Prozent der Gehälter für die Angestellten zu bezahlen. Und sobald die IDF ihre Einheiten in und in der Nähe der Stadt ansiedelt, wird sich die ganze Dynamik hier verändern«, sagt Zwebner.

Hacker Die Streitkräfte bauen bereits an zwölf weiteren Gebäuden, direkt neben Roy Zwebners Tech Park. Bis 2021 sollen 20.000 Soldaten ihren Militärdienst ableisten, während die IT-Firmen nebenan nur darauf warten, dass die klugen Köpfe aus dem Dienst entlassen werden. Auch das sogenannte National Cyber Event Readiness Team, eine Art Notfallstelle für massive Hackerangriffe, wird noch in diesem Jahr in den Park einziehen. Die berühmte Eliteeinheit 8200 mit Fokus auf Cybersicherheit und Spionage wird ebenfalls in Beer Sheva ihre Hauptniederlassung finden und damit wertvollen Wohnraum in Tel Aviv freimachen.

Das Militär funktioniert wie eine Kaderschmiede. »Sobald diese talentierten jungen Menschen ihren Dienst beenden, stehen ihnen alle Wege – in die Wirtschaft oder die Wissenschaft – offen. Und beide sind in Zukunft direkt nebenan«, so Zwebner.

In der Tat dauert ein Fußmarsch von Roy Zwebner in Gebäude 1 bis zu Professor Bracha Shapira im Hauptgebäude der BGU nur sieben Minuten. Shapira, eine religiöse Frau in elegantem Kostüm, ist führende Wissenschaftlerin der Deutschen Telekom-Labore – eine Forschungsstation, die vom Unternehmen finanziell gefördert wird. Gegründet 1969, genießt die BGU einen exzellenten Ruf unter Fachleuten und rangiert auf dem 39. Platz der besten technischen Universitäten. Die sandsteinfarbenen Gebäude und ein künstlicher Fluss geben dem Campus einen futuristischen Charakter. Seit vier Jahren gibt es hier den einzigen Masterstudiengang mit Schwerpunkt Cybersicherheit mit rund 30 Studenten pro Jahrgang.

»Meiner Meinung nach gehört Israel zu den führenden Nationen in der Welt, wenn es um Cyberkompetenzen geht«, sagt Shapira, Mutter von fünf Kindern und verheiratet mit einem Offizier. »Israel wird recht häufig attackiert«, so die Professorin. »Cybersicherheit ist daher integraler Bestandteil der For- schung und des Militärs in Israel. Die Welt verändert sich – und auch die Art, wie wir zukünftig Kämpfe austragen.«

Bereits 2010 wurden die israelischen und amerikanischen Geheim- und Cyberdienste eines massiven Hackerangriffs gegen den Iran beschuldigt; eindeutige Beweise gibt es bis heute nicht. So wurde der Computerwurm mit Namen Stuxnet dafür verantwortlich gemacht, die Funktionalität der Zentrifugen in einer iranischen Urananreicherungsanlage zu stören.

Kritik Idan Landau, Autor, Aktivist und Dozent für Linguistik an der BGU, betrachtet die enge Kooperation zwischen dem Militär und seiner Universität im Cybersektor mit Sorge. Er sieht darin einen weiteren Aspekt der Militarisierung der israelischen Forschung – und der ganzen Gesellschaft. »Da entstehen akademische Forschungseinrichtungen, die eigentlich nur regierungsnahe Thinktanks sind. Und der Normalmensch kann nicht unterscheiden, ob es sich hier um eine akademische Abhandlung oder ein Meinungspapier handelt.«

Landau beklagt seit mehreren Jahren den internationalen Waffenhandel – welcher sich in Zukunft stärker mit digitalen Angriffsmöglichkeiten auseinandersetzen wird. Laut einem Bericht des Israeli Export and International Cooperation Institute (IEICI) hat Israel im Jahr 2014 drei Milliarden US-Dollar bei Exporten von Cybertechnologien umsetzen können; eine Zunahme von zehn Prozent wird für dieses Jahr vorausgesehen.

»Diese Institutionen haben Konferenzen, Referenzen und alles, was sie akademisch erscheinen lässt. Aber wenn man genau hinsieht, was sie veröffentlichen, wird einem schnell klar, dass sich ihre Ergebnisse in 90 Prozent der Fälle mit den Leitlinien führender Politiker oder Offiziere decken.« Menschen seien immer anfällig, wenn man ihnen Geld und Jobs bietet, so der Wissenschaftler. Vor allem der Süden des Landes mit seiner hohen Arbeitslosigkeit sei dafür ein Musterbeispiel. Der Sicherheits- und Militärsektor bietet dort Tausenden Familien Arbeitsplätze, Einkommen – und bald Karrieremöglichkeiten.

Sabotage »Früher gab es hier nichts«, bestätigt auch Shapira. Geboren in Tel Aviv, hat es sie für ihre Doktorarbeit nach Beer Sheva verschlagen. »Aber jetzt hat man Möglichkeiten. Mein Sohn zum Beispiel ist Computeringenieur – er hat hier studiert, einen Job gefunden und bezahlt einen Bruchteil der Miete und Lebenshaltungskosten, die er in Tel Aviv bezahlen müsste.«

Shapira sieht sich klar als neutrale Wissenschaftlerin. Sie sieht keinen Konflikt darin, mal für den Endnutzer, dann wieder für die Regierung oder die Privatwirtschaft zu forschen. Das enge Netz aus Militär und Unternehmen in Israel hält sie für hilfreich – für alle Beteiligten. In ihrer Arbeit muss sie sich auch manchmal in die Rolle des Angreifers hineinversetzen. »In unseren Laboren sammeln und untersuchen wir Malware, um auf diese Weise Angriffe zu simulieren.«

Aktuell konzentriere man sich auf geschlossene Systeme, die nicht mit dem Internet verbunden sind. Auch hier gibt es unzählige Möglichkeiten der Sabotage. Ein Störprogramm wird physisch – meist per Datenträger – eingeschleust und anschließend durch externe Signale ferngesteuert. »Temperaturen sind eine beliebte Möglichkeit«, fügt Shapira hinzu. Alle modernen Computer und Smartphones haben mittlerweile entsprechende Sensoren. Man programmiert eine bestimmte Gradzahl, sorgt dafür, dass der Raum gekühlt oder geheizt wird, und schon wird das Programm ausgelöst. Diese Mechanismen beunruhigen Shapira mehr als die Sicherheit ihrer persönlichen Nachrichten, Bilder oder Telefonate.

»Je mehr wir unsere Umwelt digitalisieren – zum Beispiel mit dem ›Internet der Dinge‹ oder dem Smart Home – desto angreifbarer werden wir in unserem täglichen Leben. Intelligente Körperteile wie Herzschrittmacher können aus der Ferne manipuliert werden. Das macht mir Angst. Und deswegen wird Cyberabwehr immer wichtiger.«

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