Israel/Gaza

»Beträchtlicher Druck auf Israel«

Premierminister Benjamin Netanjahu Foto: copyright (c) Flash90 2024

Während Israels Militär im Gazastreifen weiter massiv gegen die Hamas vorgeht, die auch den aktuellen Krieg begann, müssen die Angehörigen der Geiseln in der Gewalt der palästinensischen Terrororganisation weiter bangen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte am Dienstag die Entschlossenheit seiner Regierung, sich bei der Kriegsführung von Kritik nicht beirren zu lassen.

»Es gibt im Inland wie im Ausland beträchtlichen Druck auf Israel, den Krieg zu beenden, bevor wir alle seine Ziele erreicht haben«, sagte Netanjahu wenige Stunden, nachdem im UN-Sicherheitsrat ein Veto der USA einen Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe verhindert hatte.

»Wir sind nicht bereit, (für die Geiseln) jeden Preis zu bezahlen, und bestimmt nicht den wahnhaften Preis, den uns die Hamas abverlangen möchte«, sagte Netanjahu bei einem Truppenbesuch in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen. Der bewaffnete Kampf gegen die Hamas werde weitergehen, bis alle Geiseln freigelassen seien und Gaza für Israel nie mehr eine Bedrohung darstelle. »Kein Druck kann daran etwas ändern«, sagte Netanjahu.

Wütende Proteste

Die USA hatten ihr Veto im UN-Sicherheitsrat gegen eine sofortige Waffenruhe damit begründet, die laufenden Verhandlungen über eine befristete Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln nicht unterlaufen zu wollen. Die indirekten Gespräche unter der Vermittlung Ägyptens, Katars und der USA kamen zuletzt nicht vom Fleck, werden aber fortgeführt.

Israels rechter Finanzminister Smotrich antwortete unterdessen laut der »Times of Israel« in einem Interview des israelischen Senders KAN auf die Frage, ob die Rückführung der 134 Geiseln, die seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober im Gazastreifen festgehalten werden, seiner Meinung nach das wichtigste Ziel sei: »Nein. Es ist nicht das Wichtigste.« Das Hauptaugenmerk müsse auf der Vernichtung der Hamas liegen, zitierte die Zeitung den Minister weiter.

Seine Äußerungen lösten Medien zufolge am Dienstag wütende Proteste aus. Angehörige der Geiseln, die vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv eine Mahnwache abhielten, blockierten demnach aus Empörung mehrere Hauptstraßen. Wer meine, die Geiseln seien nicht wichtig, soll seine eigenen Kinder als Geiseln nehmen lassen, »dann könnt ihr reden«, zitierten Zeitungen einen Mann, dessen Tochter in der Gewalt der Hamas ist.

Höchst unwahrscheinlich

Unterdessen bereitet sich Israels Armee in Rafah auf eine Invasion vor, um nach eigenen Angaben die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. Die Regierung hat aber noch keinen Einsatzbefehl erteilt. Ein militärisches Vorgehen in der südlichsten Stadt des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten ist umstritten.

Auf engstem Raum drängen sich dort rund 1,5 Millionen Palästinenser, von denen die meisten bereits vor den Kämpfen in anderen Teilen des Küstengebiets geflohen waren.

Dass Israel die Offensive noch vor dem muslimischen Fastenmonat Ramadan einläutet, der um den 10. März beginnt, ist israelischen Medienberichten zufolge aus amerikanischer Sicht höchst unwahrscheinlich.

Schotterstraße durch Gaza

Israels Armee ist derzeit noch dabei, die Einsätze in der seit Wochen heftig umkämpften Stadt Chan Junis nördlich von Rafah abzuschließen. Zugleich ist geplant, die Zivilbevölkerung in Rafah in Sicherheit zu bringen. Die Umsetzung eines solchen Plans samt Mechanismen zur Unterstützung der Menschen nach Unterbringung an anderen Orten nehme Wochen in Anspruch, zitierten Zeitungen einen namentlich nicht genannten, ranghohen US-Beamten.

Laut einem israelischen Beamten plant die Armee, die Zivilisten in einem nördlich gelegenen Gebiet zwischen Chan Junis und dem Flussbett Wadi Gaza, das Nord- und Süd-Gaza voneinander trennt, unterzubringen.

Die israelische Armee baut derweil einem Bericht der US-Zeitung »Wall Street Journal« zufolge eine Straße quer durch den Gazastreifen aus, um die Sicherheitskontrolle über das palästinensische Küstengebiet auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten. Die Schotterstraße teilt den abgeriegelten Küstenstreifen südlich der Stadt Gaza von der israelischen Grenze bis zur Mittelmeerküste entlang eines Ost-West-Korridors, der seit Beginn des Krieges vor gut vier Monaten von israelischen Truppen besetzt ist.

Nächste Phase

Der Ausbau der Straße sei Teil der israelischen Bemühungen, die Topografie des Gazastreifens neu zu gestalten, berichtete die Zeitung am Dienstag unter Berufung auf nicht namentlich genannte Verteidigungsbeamte.

Dadurch könne sich das Militär auch nach dem Abzug der meisten Truppen weiterhin auf einer sicheren Route schnell durch das Küstengebiet bewegen. Israel kontrolliert bereits wichtige Nord-Süd-Straßen in Gaza. Der Ausbau der Straße zeige, wie sich die israelische Armee auf die nächste Phase des Krieges vorbereite, in der sie plane, sich aus bewohnten Gebieten zurückzuziehen und auf gezielte Angriffe gegen die Hamas zu konzentrieren.

Die Ost-West-Route solle so lange genutzt und patrouilliert werden, bis Israels Militäreinsätze abgeschlossen seien. Dies könne noch Monate oder sogar Jahre dauern, hieß es.

Vorwürfe von Hilfsorganisation

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtete unterdessen, die israelischen Streitkräfte hätten in der Nacht zum Mittwoch bei einem Einsatz in der Ortschaft Al Mawasi im Raum Chan Junis eine Notunterkunft beschossen, in der Mitarbeiter der Organisation und ihre Familien untergebracht seien. Mindestens zwei Familienmitglieder von Mitarbeitern seien getötet und sechs Menschen verletzt worden, schrieb die Organisation auf der Plattform X (vormals Twitter).

Israels Armee erklärte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, die Angaben überprüfen zu wollen.

Der Nahost-Koordinator von US-Präsident Joe Biden, Brett McGurk, will derweil heute in Kairo mit dem Chef des ägyptischen Geheimdienstes über die erwartete israelische Militäroperation in Rafah und die Bemühungen um die Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas sprechen. US-Präsident Joe Biden hatte Israel mit deutlichen Worten gewarnt, eine solche Militäroperation dürfe »nicht ohne einen glaubwürdigen und durchführbaren Plan zur Gewährleistung der Sicherheit und Unterstützung der Zivilbevölkerung in Rafah stattfinden«.

Chance für Geiseln

Es müsse »einen vorübergehenden Waffenstillstand« geben, um die Geiseln zu befreien. Das Problem: Die Hamas weigert sich, die Geiseln freizulassen und verlangt einen kompletten Abzug der israelischen Streitkräfte aus Gaza - in der Hoffnung, die Kontrolle zurückgewinnen zu können. Israel will dies auf keinen Fall zulassen. Es geht dabei auch um den Schutz der israelischen Bevölkerung vor mehr Terror und die Aufrechterhaltung des militärischen Drucks, damit die über 100 in Gaza verbleibenden Geiseln eine Chance haben. dpa/ja

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