Die Protest-Shirts sollen zu Hause bleiben! Darum bittet eine Vereinigung von IDF-Reservisten, die sich gegen die geplante Revision des Justizsystems ausspricht, am Jom Hasikaron. Am Montagabend beginnt der nationale Gedenktag für die gefallenen Soldatinnen und Soldaten sowie die Opfer von Terrorismus in Israel. Doch viele sorgen sich, dass die Friedhöfe in diesem Jahr zu Orten von Auseinandersetzungen werden könnten.
»Am kommenden Gedenktag werden wir nicht protestieren, weil unsere Herzen bei unseren Waffenbrüdern und -schwestern sind, die im Kampf gefallen sind«, so die Gruppe »Waffenbrüder« (Brothers in Arms). »Wir werden weinen und die Familien umarmen«, hieß es in einer Erklärung in den sozialen Medien.
SPALTUNG Die tiefe Spaltung in der Gesellschaft, vor allem wegen der geplanten Gesetzesänderungen der rechtsreligiösen Regierung, könnte sich dennoch auf den Friedhöfen des Landes zeigen. Denn Tausende Angehörige gefallener Soldatinnen und Soldaten fordern, dass Politiker am Dienstag nicht wie gewöhnlich an den Zeremonien auf den Militärfriedhöfen teilnehmen oder sprechen. Das bestätigte der Vorsitzende der Gedenkorganisation Yad Labanim, Eli Ben Shem, dessen Sohn gefallen ist.
»Es könnte sogar sein, dass es zu verbalen und sogar körperlichen Auseinandersetzungen kommt, wenn Regierungsminister und Abgeordnete, insbesondere diejenigen, die nicht in der IDF gedient haben, an Veranstaltungen an sensiblen Orten teilnehmen«, sagte Ben Shem im Armeeradio.
»Die Regierung muss gesunden Menschenverstand walten lassen. Sonst kommt es zu einer Katastrophe.«
Leiter yad Labanim, Eli Ben Shem
Besonderes Augenmerk liegt auf dem rechtsextremen Minister für Innere Sicherheit, Itamar Ben-Gvir. Wegen Anstiftung zur Gewalt und Aufwiegelung zum Hass verurteilt und nicht zur Armee zugelassen, ist er eine der kontroversesten Figuren in der Knesset. Er sollte auf einem Militärfriedhof in Beer Sheva sprechen.
MENSCHENVERSTAND »Die Regierung muss gesunden Menschenverstand walten lassen. Sonst kommt es zu einer Katastrophe. Die Friedhöfe sind das Allerheiligste des Staates Israel. Wenn wir Gewalt und Geschrei über den Gräbern unserer Kinder sehen würden, würde ich sterben wollen«, resümierte Ben Shem. Allerdings heißt es in israelischen Medien, Verteidigungsminister Yoav Gallant habe die Bitte von Yad Labanim abgelehnt.
In den vergangenen Tagen hatte eine vorgeschlagene Gesetzesänderung für weitere Spannungen gesorgt. Demzufolge sollen ultraorthodoxen Jeschiwa-Studenten pauschale Ausnahmen vom IDF-Dienst gewährt werden, wie es die charedischen Parteien in der Koalition fordern. Die IDF hat sich bereits dagegen ausgesprochen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schrieb am Freitagmorgen: »Einigkeit kurz vor den heiligen Tagen, die uns erwarten, ist das Gebot der Stunde. In den letzten Monaten hat es in unserer Demokratie eine wichtige Debatte gegeben, aber zu diesem Zeitpunkt bitte ich alle gewählten Amtsträger, von rechts und links, die Debatte außerhalb der Friedhöfe zu führen. Damit wir uns alle in Stille an unsere Lieben erinnern können.«
»Wenn Ihnen die Einheit des Volkes so wichtig gewesen wäre, hätten Sie unsere Demokratie nicht demontiert und sich stattdessen für die israelischen Bürger eingesetzt.«
oppositionsführer yair lapid
Auch der Jom Haazmaut findet in diesem Jahr nicht ohne Kontroverse statt. Dabei ist es ein besonderer – der 75. – Geburtstag des jüdischen Staates. Doch mehrere Protestgruppen kündigten bereits an, den Tag nicht zum Feiern, sondern für massive Demonstrationen nutzen zu wollen.
Der Oppositionsführer und Vorsitzende der Partei Jesch Atid, Yair Lapid, will sogar die traditionelle Fackelzeremonie boykottieren, die den Jom Hasikaron beendet und den Beginn des Unabhängigkeitstages markiert. Die Entscheidung traf er, nachdem Verkehrsministerin Miri Regev vom Likud, die für die Zeremonie verantwortlich ist, bekannt gab, dass sie, wenn die Live-Übertragung der Veranstaltung von Protesten begleitet wird, zu einer Probenaufzeichnung wechseln wolle.
FEUERWERK »Mein Platz bei der Fackelzeremonie wird leer sein«, twitterte Lapid. Regev habe ihm keine Wahl gelassen. »Ich liebe den Staat Israel aus tiefstem Herzen, aber in drei Monaten haben Sie die israelische Gesellschaft gespalten, und kein gefälschtes Feuerwerk wird das vertuschen. Wenn Ihnen die Einheit des Volkes so wichtig gewesen wäre, hätten Sie unsere Demokratie nicht demontiert und sich stattdessen für die israelischen Bürger eingesetzt«, ließ er die Ministerin wissen.
Regev beharrte darauf, dass sie nur in einem »Sicherheitsfall« umschalten wolle, und rief Lapid sowie den Vorsitzenden der Nationalen Einheit, Benny Gantz, dazu auf, doch noch an der Zeremonie teilzunehmen, denn sie stehe über allen politischen Erwägungen.
Während in den Tagen vor dem 75. Geburtstag Kampfjets im Himmel über Israel ihre spektakulären Stunts für eine Flugshow üben, brodelt es unten im Land ganz gewaltig.