Auf die Goldwaage legen einige Mitglieder der Koalition in Jerusalem ihre Worte nicht. Sie poltern im Radio, auf Facebook und Twitter, als hätten sie noch niemals etwas von Diplomatie gehört. Doch der Freund hört mit. Und das, was er vernimmt, gefällt ihm wenig.
Als die neue israelische Regierung vor mehr als drei Monaten eingeschworen und schnell klar wurde, dass sie eine umfassende Schwächung der Justiz vornehmen wolle, hielten sich die USA zunächst kategorisch zurück. Keine Einmischung in interne Angelegenheiten des kleinen Nahoststaates, so lautete das Motto. Doch zusehends rückte das Weiße Haus von dieser Position ab und äußert sich mittlerweile unmissverständlich – und selbst nicht immer diplomatisch.
aussagen Nach verschiedenen, höchst umstrittenen Aussagen von Finanzminister Bezalel Smotrich und anderen Politikern hielt sich ein offensichtlich unzufriedener US-Präsident nicht mehr zurück und kritisierte die Regierung unumwunden: »Israel kann diesen Weg nicht fortsetzen«, sagte Joe Biden vor laufenden Kameras.
In Bezug auf die geplante Justizreform fügte er hinzu: »Wie viele eindeutige Unterstützer Israels mache ich mir Sorgen darüber, ob sie das wieder hinbekommen.« So gehe es nicht weiter, »und das habe ich klargemacht«.
»Hoffentlich wird der Premierminister so handeln, dass er versucht, einen echten Kompromiss auszuarbeiten«, sagte Biden mit der Betonung auf »echt«. Aber das bleibe abzuwarten. Gleichwohl hob der Präsident hervor, dass sich die Amerikaner nicht einmischen würden. »Sie kennen unsere Position.« Die beinhalte auch, dass Premierminister Benjamin Netanjahu »in naher Zukunft« nicht ins Weiße Haus kommen werde. »No«, sagte Biden auf die Frage, ob eine Einladung ausstehe.
widerspruch Die außerordentlich kritischen öffentlichen Kommentare des Präsidenten schienen den Aussagen seiner Regierung in den 24 Stunden zuvor zu widersprechen. Wiederholt hatten Vertreter der US-Regierung Netanjahus Entscheidung begrüßt, das höchst kontroverse Gesetzgebungsverfahren seiner Koalition ruhen zu lassen und Verhandlungen mit der Opposition aufzunehmen.
Auch der US-Botschafter in Israel, Tom Nides, hatte nur Stunden vor Bidens Schelte im Armeeradio kundgetan, er gehe davon aus, dass die begehrte Einladung »irgendwann nach Pessach« erfolgen werde. Zwar beeilten sich die Amerikaner anschließend, jegliche Kontroverse zu zerstreuen, doch das diplomatische Debakel war da.
Jerusalem reagierte sofort. Kultur- und Sportminister Miki Zohar vom Likud twitterte: »Es ist traurig, dass Biden den Fake News aus Israel zum Opfer gefallen ist« – mit »Fake News« meinte er wohl die Argumente der Protestbewegung. Innerhalb weniger Minuten wurde der Tweet allerdings wieder gelöscht. In einer weiteren Nachricht versuchte sich Zohar in Schadensbegrenzung und erklärte, er habe diese Worte »aus Respekt vor der Bedeutung der Beziehungen zu unserem größten Verbündeten« geschrieben.
engagement Auch Netanjahu äußerte sich. Zwar im selben Medium, doch wesentlich eloquenter als sein Minister. Gewiefter Politiker, der er ist, betonte er zunächst das Positive. Er schätze das »langjährige Engagement des Präsidenten für Israel«. Dann sprach auch er Klartext: »Israel ist ein souveränes Land, das seine Entscheidungen nach dem Willen seines Volkes fällt und nicht auf Druck aus dem Ausland, auch nicht von den besten Freunden.« Der israelische Staatschef beharrte zudem darauf, dass seine Regierung sich der »Stärkung der Demokratie verschrieben« habe, »indem sie das richtige Gleichgewicht zwischen den drei Regierungszweigen wiederherstellt, das wir mit einem breiten Konsens anstreben«.
Einige Tage darauf nahm er mit weiteren 120 Staatschefs aus der ganzen Welt am virtuellen Gipfeltreffen des US-Außenministeriums für Demokratie 2023 teil und sprach über die wirtschaftlichen Vorteile der Demokratie – trotz der negativen Auswirkungen, die seine Vorhaben bereits auf Israels Markt auslösen.
Israel und die Vereinigten Staaten hätten ihre gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten, ließ der Premier wissen, versicherte aber, dass das Bündnis weiterbestehe. »Die größte Demokratie der Welt und eine starke, stolze und unabhängige Demokratie – Israel – im Herzen des Nahen Ostens sind unerschütterlich. Nichts kann das ändern«, hob Netanjahu hervor.
Die Verbindung zwischen Washington und Jerusalem ist stark, aber nicht unverwundbar.
Die Amerikaner hoffen das inständig. Denn schon aus Eigennutz ist für sie die einzige echte Demokratie in Nahost von extremer Wichtigkeit. Die Regierungspolitik und die Massenproteste destabilisieren Israels Sicherheit und sein Militär seit Wochen, etwa durch die angekündigten Dienstverweigerungen von Reservisten, unter anderem aus Eliteeinheiten.
Zudem wirkt sich die Tatsache der rechtsextremen Beteiligung an der Koalition direkt auf die Bemühungen der USA aus, Israel beim Aufbau seiner regionalen Allianzen zu helfen. Eine mögliche Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien scheint derzeit in weite Ferne gerückt.
atomwaffenfähigkeit Stattdessen gehen das Königreich und der Iran aufeinander zu, während das Regime in Teheran der Atomwaffenfähigkeit näher denn je ist. Botschafter Nides und andere US-Beamte hoben sowohl offiziell als auch hinter den Kulissen hervor, dass die Vereinigten Staaten Israel nicht helfen könnten, »wenn der Hinterhof brennt«. Netanjahus Koalition und Regierungspolitik haben den Beziehungen der engen Verbündeten einen echten Stresstest beschert.
Immer wieder betonten die Amerikaner zudem, auch bei Treffen mit Netanjahu, dass die bilateralen Beziehungen auf demokratischen Werten beruhen, die beide Länder hätten. Außenminister Antony Blinken machte bei seinem Besuch im Januar in Israel klar, dass die »gemeinsamen Werte das Herz der Beziehungen« zwischen den USA und Israel seien.
Während die Verbindung zwischen Washington und Jerusalem zweifelsohne auch heute noch stark ist, unverwundbar ist sie nicht. So nannte Benny Gantz, der Vorsitzende der Oppositionspartei Nationale Einheit, Bidens Äußerungen einen »dringenden Weckruf an die israelische Regierung« und führte aus: »Die Beschädigung unserer Beziehungen zu den USA, unserem engsten Freund und unserem wichtigsten Verbündeten, ist ein strategischer Fehler.«