Scherut-Lizenzen

Abgefahren

Immer unterwegs – am Schabbat, an den Feiertagen und auch dann, wenn man den letzten Bus verpasst hat: Scherut in Tel Aviv Foto: Flash 90

Scherut-Lizenzen

Abgefahren

Nur noch wenige Wochen sind die Genehmigungen für die Fahrer gültig – das könnte das Ende der Sammeltaxis sein

von Sabine Brandes  31.10.2016 19:39 Uhr

Wer schon einmal den letzten Bus vor dem Schabbat verpasst hat, der hat sie sicher zu schätzen gelernt. Die israelischen Sammeltaxis – die Scherut. Sie unterstützen die Buslinien in der Hauptverkehrszeit, und für viele sind sie die einzige Möglichkeit, sich am Schabbat fortzubewegen. Jetzt sind die beliebten Minibusse zu einem Politikum geworden und könnten vielleicht ganz aus dem Straßenbild verschwinden.

Denn ab dem 1. Januar 2017 ist es illegal, den besonderen Taxi-Dienst in Israel anzubieten. Laut Gesetz sollen Ende 2016 ausnahmslos alle Lizenzen, die vom Transportministerium ausgegeben wurden, auslaufen. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu verlängern. Was es braucht, ist ein neues Gesetz. Doch genau daran hapert es. Bislang hat die Regierung nichts getan, um eines auf den Weg zu bringen.

RushHour
Man erkennt die Scherut-Kleinbusse schon von Weitem an ihrer gelb-weißen Lackierung und daran, dass sich oft schnell eine Menschentraube um sie herum bildet, wenn sie auftauchen. Fast immer sind die Zehn- bis Zwölfsitzer binnen weniger Sekunden belegt. Besonders in der Rushhour entlasten sie während der Woche die meistbefahrenen Routen der regulären Busse in den Großstädten. In Tel Aviv ist das etwa die Nummer 5 entlang der Dizengoff-, King-George- und Allenby-Straße.

Übersetzt heißt Scherut nichts anderes als Dienstleistung. Und als Service sehen sie viele Israelis tatsächlich auch an. Denn wenn Busse und Züge ihren Dienst eingestellt haben, fahren die Sammeltaxis weiter. Da sie im Vergleich zu Omnibussen klein sind, können sie auch enge Straßen und Gassen befahren. In Ermangelung von festen Haltestellen können die Fahrgäste aussteigen, wo sie möchten.

Der gewöhnliche öffentliche Nahverkehr ruht von Freitag- bis Samstagabend vollständig. Nicht so die Scherut. Sie fahren weiter: von Jerusalem nach Tel Aviv, von Netanja nach Haifa, von Aschkelon nach Jerusalem und viele andere interstädtische Strecken. Der Preis (die Strecke von Tel Aviv nach Jerusalem kostet regulär rund 5,30 Euro) steigt am Schabbat um etwa zwei Euro, doch die Fahrgäste zahlen das meist, ohne zu murren. »Ich weiß nicht, wie ich sonst am Freitagnachmittag von Jerusalem nach Tel Aviv kommen würde«, sagt Miriam Fuchs, die es oft erst kurz vor Schabbat aus dem Büro schafft. Sie lebt in Tel Aviv, arbeitet in Jerusalem. »Ohne Scherut bin ich aufgeschmissen.«

Prüfung Früher wurden die Scherut von den Fahrern direkt betrieben – ohne jegliche Erlaubnis oder Prüfung. Wer einen Job brauchte und das nötige Geld für ein Sammeltaxi hatte, sprang auf das lukrative Geschäft mit den Scherut auf.

Doch 2005 beschloss das Transportministerium, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Die Behörde kündigte an, innerhalb der nächsten fünf Jahre eine Reform durchzusetzen, und vergab Lizenzen. Genau 2289 an der Zahl. Von denen sind heute schätzungsweise weniger als 1000 aktiv. Die Vergabe verlief ohne vorherige Ausschreibung oder Eignungstests. »Es ging nur darum, wer wen im Ministerium oder in anderen Behörden kannte«, sagen Insider.

Fünf Jahre gingen ins Land, und nichts war geschehen in Sachen Reform. Also gestattete das Justizministerium eine Fristausdehnung von weiteren sechs Jahren. Dafür nickte es jedes Jahr eine erneute Verlängerung der existierenden Lizenzen ab. Doch mit Ende diesen Jahres verstreicht die letzte Möglichkeit. Ohne ein neues Gesetz gehören die Scherut dann der Vergangenheit an. Das Wirtschaftsministerium schlug derweil vor, ein Gesetz zu erlassen, wonach die existierenden Lizenzen erneut drei Jahre zugelassen werden können.

Reform Doch die Betreiberfirmen wollen das nicht mehr akzeptieren. Sie fordern lautstark eine Reform. Das Durcheinander beeinträchtigt die Effizienz der Scherut-Taxis, die täglich rund 150.000 Passagiere transportieren.

Während vor rund zehn Jahren noch um die 1700 bis 1900 Wagen im Einsatz waren, sind es heute nur noch 800 bis 1000. Rund 1300 Lizenzen liegen ungenutzt in irgendwelchen Schubladen. »Es ist einerseits ein wilder Markt, andererseits eine komplette Industrie, die unbedingt eine Überarbeitung braucht. So ist es einfach nicht mehr zu bewerkstelligen«, wettert ein Fahrer, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er ist sauer auf die Politiker. »Meinen die, das regelt sich von selbst? Das Ignorieren unserer Branche ist eine große Schweinerei.« Die derzeitigen Beteiligten verlangen neue, festgelegte Routen und Ausschreibungen für Unternehmen. Hinter dem Druck der Branche vermuten manche eine andere Angst: die vor der Konkurrenz.

Denn Onlinevermittlungsdienste von Taxis drängen auf den Markt. »Gett« (früher »Get-Taxi«) ist erfolgreich in Israel aktiv und »Uber« steht ebenfalls schon in den Startlöchern.

Fahrer Motti Morag steht vor dem Eingang der zentralen Busstation an der Zemach-David-Straße im Süden der Stadt. Auf der leuchtenden Anzeigetafel seines Wagens steht »Aschkelon«. Die Route fährt er seit vielen Jahren, insgesamt macht er den Job seit zwei Jahrzehnten.

Ob er nun Angst hat, bald seine Lizenz und damit sein Einkommen zu verlieren? Früher sei er »ohne gefahren«, wie er erzählt, also ohne gültige Lizenz. Im Notfall würden Motti und seine Kollegen es wieder so machen, gesteht er. »Wir gehören zum Land, und die Leute verlangen jeden einzelnen Tag nach unserem Service. Wir lassen niemanden am Straßenrand stehen«, ruft der Fahrer in den Verkehrslärm der Hauptstraße und lässt den letzten Fahrgast an Bord.

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