Im Zentrum des Monats Aw steht der Fastentag Tischa beAw (9. Aw), der uns an die Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels in Jerusalem erinnert. Gleichzeitig besteht in diesem Monat aber auch ein Übergang zur Hoffnung auf eine gute Zukunft.
Maimonides, der Rambam (1138–1204), schreibt in seinen Hilchot Tefilla: »Es ist ein Brauch, am Schabbat nach Tischa beAw die Parascha Waetchanan zu lesen« (12,2). Der Rambam gibt uns dafür aber keine Begründung. In welchem Zusammenhang steht diese Parascha mit Tischa beAw? Wir sind gefragt, dafür eine Erklärung zu finden. Worin besteht die tiefe Bedeutung der Übergangsphase zwischen der Trauer (Tischa beAw) und der Hoffnung (Lesung der Parascha nach Tischa beAw)? Um uns für die Hoffnung zu öffnen, müssen wir erst einmal die Trauer verarbeiten.
Trost Unsere Weisen haben angeordnet, an den sieben Schabbatot nach Tischa beAw jeweils Haftarot mit tröstendem Inhalt zu lesen. Tischa beAw und andere tragische Ereignisse des jüdischen Volkes zeigen uns, dass G’tt sich von uns zurückzog, sich entfernte und uns damit strafen wollte. Seine Liebe zu uns ist zwar unendlich, aber er wartet darauf, dass wir uns annähern.
Alles, was von G’tt gemacht wird, ist geplant, und das Ziel ist, das Verhältnis zwischen G’tt und dem Menschen zu vervollkommnen. Hier haben auch Strafen ihren Sinn und müssen als berechtigt und als Zwischenstationen angesehen werden, auch wenn wir sie in dem Moment der Schwere nicht akzeptieren wollen oder verstehen können. Diese Auffassung hat das Volk Israel bewahrt, auch in all seinen schweren Zeiten, die es erleben musste.
In der Parascha Waetchanan steht ein Teil des Schma Jisrael: »Höre Israel, der Ewige, unserer G’tt, der Ewige ist einzig« (5. Buch Mose 5,4). Diesen Satz sagte Rabbi Akiwa, einer der bedeutendsten Rabbiner, kurz vor seinem Tod, als die Römer ihn hinrichteten. Er hat diesem Satz in dem Moment eine extrem tiefe Bedeutung gegeben.
Alles Schreckliche und Unverständliche und Dinge, die uns sehr wehtun, sind Teil eines globalen g’ttlichen Plans. Es sind nur Stationen, die letztendlich dahin führen, dass wir uns G’tt annähern. Wir können nicht nur einen Teil betrachten und daraus bereits Schlussfolgerungen ziehen, sondern es müssen alle Puzzleteile zu einem Ganzen zusammenfügt werden, um das Gesamtbild zu verstehen.
Tempel Der Talmud (Makkot 24b) erzählt, wie Rabbi Akiwa einmal mit ein paar befreundeten Rabbinern nach Jerusalem ging. Als sie zu dem zerstörten Tempel kamen, sahen sie einen Fuchs, der aus dem heiligsten Bereich kam. Da begannen die Rabbiner zu weinen, Rabbi Akiwa aber lächelte. Sie fragten ihn, warum er lächele. Er fragte sie daraufhin, warum sie so weinten. Sie sagten: »Wenn der heiligste Platz der Welt von einem Fuchs betreten wird, sollen wir dann nicht weinen?« Da sagte er, dass er genau deshalb lächele, denn in Micha 3,12 steht: »Und Jeruschalajim wird ein Trümmerhaufen« und in Secharja 8,4: »So spricht der Ewige der Heerscharen; noch werden Greise und Greisinnen auf den Plätzen Jeruschalajims sitzen, jeder seinen Stab in der Hand vor Fülle an Jahren.«
Genauso, sagte Rabbi Akiwa, wie sich die Prophezeiung des Micha bewahrheitete, bin ich sicher, dass sich auch die des Secharja bewahrheiten wird.
Rabbi Akiwa sah gerade in dieser schweren Zeit nicht nur den jetzigen Moment. Anders als seine Freunde war er sich sicher, dass bessere Zeiten folgen werden.
Die Ereignisse, die im Monat Aw passiert sind, sollten uns also nicht die Hoffnung rauben. Nehmen wir uns ein Beispiel an der positiven Einstellung Rabbi Akiwas, denn wie bei Secharja geschrieben steht, werden bessere Zeiten auf uns zukommen.