Herr Semler, Sie gehörten 1968 zum Führungskreis des Berliner SDS um Rudi Dutschke. Neben Vietnam und der Springerpresse war eines Ihrer Hauptanliegen damals der »revolutionäre Kampf des palästinensischen Volkes gegen den Zionismus«. Wieso eigentlich?
semler: Das hing natürlich aufs Engste mit dem Sechstagekrieg 1967 zusammen. Davor gab es im SDS eine Verbundenheit mit linken Strömungen in Israel. Danach, auch unter dem Einfluss der revolutionären Bewegungen in der Dritten Welt, wurde der Staat Israel als abhängig vom »US-Imperialismus« gesehen. Und da man damals auf der Suche nach dem »revolutionären Subjekt« war, wurden die palästinensischen Gruppen dazu auserkoren.
War dieser antiisraelische Schwenk allgemeiner Konsens?
semler: Es gab immer innerhalb der radikalen Linken Teile, die diesen einseitigen Kurs kritisierten. Herbert Marcuse, der ja großen Einfluss hatte, war in dieser Frage keineswegs auf diesem Kurs. Auch Rudi Dutschke nicht. Aber generell muss man sagen, dass es nach 1967 diesen Schwenk gab.
Aus enttäuschter Liebe?
semler: Ganz bestimmt.
Nun sagen Kritiker allerdings, im Antizionismus der 68er habe immer auch eine kräftige Portion Antisemitismus mitgeschwungen.
semler: Ich glaube nicht, dass die damalige Form des Antizionismus, die damalige wohlgemerkt, Spuren des Antisemitismus in sich trug. Das hat sich später geändert.
Wann später?
semler: Ich denke da an Entebbe 1976, als deutsche Terroristen bei einer Flugzeugentführung jüdische Passagiere selektierten.
Im Rückblick: Wie beurteilen Sie Ihre damaligen Positionen heute?
semler: Letzten Endes war unsere Vorstellung, man könne in Nahost einen multiethnischen Staat errichten, in dem alle Völker friedlich miteinander leben, eine Idee, die an den realen Bedingungen völlig vorbeiging. Da waren wir naiv. Die Verteidigung des Existenzrechts Israels hat sich erst nach längeren Irrwegen wieder als Gemeingut der Linken herauskristallisiert.
Mit dem taz-Redakteur sprach
Michael Wuliger.