Antisemitismusforschung

Vorsicht, Vorurteil!

von Ingo Way

Die Zahl klingt alarmierend: 20 Prozent der Deutschen sind laut Umfragen judenfeindlich eingestellt. Was Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin, dazu zu sagen hat, mutet wie Resignation an: Der Antisemitismus in der notorischen »Mitte der Gesellschaft« sei zwar »unappetitlich genug« – doch es bleibe nichts anderes übrig, als damit zu leben und damit umzugehen. Schließlich sei, in den Worten des Historikers Julius Schoeps, der Antisemitismus ein »integraler Bestandteil der deutschen Kultur«.
Nein, Resignation sei das nicht, man müsse weiter aufklären, informieren, argumentieren, damit aus dem latenten kein manifester Antisemitismus werde. Doch der »Radau-Antisemitismus« der Neonazis hat für Benz eine andere Qualität als der »Einstellungs-Antisemitismus« breiter Bevölkerungsteile. Letzterer liege seit der Gründung des ZfA konstant bei eben jenen 20 Prozent. Folglich gebe es, so Benz, immerhin auch keinen Anstieg – jedenfalls keinen, der sich statistisch belegen ließe. Und in anderen europäischen Ländern äußere sich der Antisemitismus weit ungenierter als in Deutschland.
Ohnehin möchte sich das ZfA nicht allein auf Forschungen zum Antisemitismus beschränken lassen. Man versteht die wissenschaftliche Tätigkeit des Hauses als Vorurteilsforschung schlechthin. So gehören auch Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Asylrecht zu den Themen, mit denen sich die derzeit 44 Mitarbeiter beschäftigen. Ende Juni veranstaltet das ZfA zum Beispiel gemeinsam mit Pro Asyl und dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages zum 70. Jahrestag der Konferenz von Evian – bei der über Fluchtmöglichkeiten für deutsche Juden verhandelt wurde – eine Tagung, die sich mit der heutigen europäischen Flüchtlingspolitik beschäftigt.
Weitere Projekte im Jubiläumsjahr sind ein fünfbändiges Handbuch zur Antisemi-tismusforschung, das von Brigitte Mihok ediert wird und dessen erster Band im Herbst erscheinen soll, sowie ein Forschungskolleg unter der Leitung von Ulrich Wyrwa zum Thema »Antisemitismus in Europa 1879–1914«. Die 1999 eingerichtete Arbeitsstelle »Jugendgewalt und Rechtsextremismus« bereitet eine Studie vor, in der Berliner Projekte gegen Rechtsextremismus evaluiert werden. Ferner hat das ZfA zusammen mit dem Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main die deutsche Ausgabe von Unterrichtsmaterialien zum Antisemitismus besorgt, die von der OSZE erarbeitet wurden und die in diesem Jahr veröffentlicht werden. Dazu erscheint im Cornelsen-Verlag eine CD-Rom »Gegen Antisemitismus«, die sich an Schüler richtet. Und Anfang September findet zum dritten Mal die Sommeruniversität des ZfA statt.
Bei der Sommeruniversität 2007 war es zum Eklat gekommen, als sich ein NPD-Mitglied unter das Publikum gemischt hatte. Derartiges werde sich nicht wiederholen, verspricht Benz. Man merkt ihm allerdings auch an, dass er es leid ist, sich für alle möglichen Dinge politisch rechtfertigen zu sollen. Er möchte Wissenschaft betreiben, keine Agitation. Dabei ist sein Ansatz nicht unumstritten. Kritik erfährt er beispielsweise dafür, dass er häufig Antisemitismus und »Islamophobie« in einem Atemzug nennt. Doch das Zentrum ordnet seine Forschungsergebnisse nicht der Political correctness unter. Als es 2003 von der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien beauftragt wurde, eine Studie zum Antisemitismus in der EU zu erstellen, hielt das EUMC die Ergebnisse zunächst zurück – die Studie hatte unter anderem ergeben, dass der Judenhass unter muslimischen Migranten stark verbreitet ist und dass sich Antisemitismus heute oft als »Israelkritik« tarnt. Die Studie wurde später im Internet doch noch veröffentlicht.
Das Zentrum für Antisemitismusforschung existiert seit einem Vierteljahrhundert und wird wohl auch weiterhin Bestand haben. Was sich allerdings ändert, ist das wissenschaftliche Umfeld. Die Technische Universität wickelt derzeit ihre Geisteswissenschaften ab – wie sich dies auf die interdisziplinäre Ausrichtung des ZfA auswirken wird, ist unklar. Zunächst einmal werden die Lehramtstudenten wegbleiben, somit wird es schwieriger, dem pädagogischen Auftrag nachzukommen, in die Gesellschaft hineinzuwirken.
Aber es wird nicht alles nur schlechter. Die 40.000 Bände umfassende Bibliothek des ZfS wird aufgestockt durch den Buchbestand des Archivs der Dreyfus-Gesellschaft für Menschenrechte. 1992 von dem Engländer George Whyte in Bonn gegründet, hat die Dreyfus-Gesellschaft ihren Hauptsitz bislang in London. Whyte, der mehrere Bücher, Theaterstücke sowie eine Oper über den französisch-jüdischen Offizier Alfred Dreyfus geschrieben hat (vgl. Jüdische Allgemeine vom 8. Februar 2007), hat sich bewusst für Berlin als Standort des Archivs entschieden. Dreyfus-Gesellschaft und ZfA planen einen internationalen Kongress zur »Zukunft des Antisemitismus«. Womöglich wird sich die Arbeit des Zentrums hin zur reinen Forschung verlagern. Im Gespräch bleibt es allemal.

Krieg

Zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgeschossen

Am Sonntagmorgen wurde Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Eine Bekenner-Erklärung gibt es auch

 07.09.2025

Berlin

Uni-Präsidentin rechnet mit neuen »propalästinensischen« Aktionen

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, rechnet zum Wintersemester erneut mit »propalästinensischen« Aktionen. Dabei seien unter den Beteiligten kaum Studierende

 07.09.2025

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025