Stammzellforschung

Von Mäusen und Menschen

von Ingo Way

Letzte Worte haben stets ein besonderes Gewicht. So auch beim Nationalen Ethikrat, der in diesem Jahr durch den neu gebildeten Deutschen Ethikrat ersetzt wird. Mitte Juli legte der alte Ethikrat in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissen- schaften seine Stellungnahme Zur Frage einer Änderung des Stammzellgesetzes vor. Eine Mehrheit der 24 Mitglieder des Gremiums sprach sich für eine Lockerung des im Juni 2002 verabschiedeten Gesetzes aus.
Die Änderungsvorschläge betreffen vor allem die sogenannte Stichtagsregelung. Nach dem Stammzellgesetz dürfen nur solche embryonalen Stammzelllinien zu Forschungszwecken aus dem Ausland importiert werden, die vor dem Stichtag 1. Januar 2002 hergestellt wurden. Die Erzeugung menschlicher Embryonen im Rea- genzglas zu anderen Zwecken als dem der Herbeiführung einer Schwangerschaft ist komplett untersagt. Die Ethikrats-Mehrheit möchte zudem die Strafbarkeit der Stammzellenforschung hierzulande abmildern. Die Herstellung embryonaler Stammzelllinien in Deutschland soll aber weiterhin verboten bleiben.
Schon diese Kompromissvorschläge des Ethikrats brachten Politiker wie den CDU-Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe auf den Plan, die das »christlich-jüdische Menschenbild« in Gefahr sehen. In diesem Falle beschwören sie die gemeinsame jüdisch-christliche Tradition allerdings zu Unrecht. So erläuterte zum Beispiel der Philosoph Micha Brumlik in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen (14. Juni, Nr 24): »Grundsätzlich ist die rabbinische Bioethik, was Fragen des ungeborenen Lebens angeht – auch in der Orthodoxie –, deutlich liberaler als die katholisch- kantianische Position.« Ähnlich äußert sich Rabbiner Joel Berger: »Der Begriff ›ungeborenes Leben‹ ist in der jüdischen Ethik ein Widerspruch in sich. Das Leben beginnt mit der Geburt. G’tt entscheidet bei der Geburt über das Leben des Kindes.« Brumliks Forderung, auch Rabbiner in den Deutschen Ethikrat zu berufen, würde, sofern sie denn verwirklicht wird, ein Gegengewicht zum ethischen Alleinvertretungsanspruch der Kirchenvertreter bilden.
Nun scheint sich jedoch eine Entwicklung abzuzeichnen, die diese Kontroverse gegenstandslos machen könnte. Forschern ist es gelungen, embryonale Stammzellen zu erzeugen, ohne Embryonen dafür künstlich herstellen oder vernichten zu müssen. Die Zellbiologen Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto, Rudolf Jänisch vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston und Konrad Hoch- edlinger vom Harvard Stem Cell Institute, ebenfalls Boston, haben – unabhängig voneinander – Zellen aus dem Bindegewebe von Mäusen in embryonale Stammzellen zurückverwandelt. Dazu haben sie bereits spezialisierte Hautzellen von Mäusen so umprogrammiert, dass sie von embryonalen Stammzellen nicht mehr zu unterscheiden sind. Ihre Berichte veröffentlichten die Wissenschaftler in den Fachzeitschriften »Nature« und »Cell – Stem Cells«.
Yamanaka hatte im vergangenen Jahr entdeckt, dass Hautzellen viele Eigenschaften embryonaler Stammzellen annehmen, wenn man mit Hilfe eines Virus vier bestimmte Gene in die Zelle einschleust. Die so gewonnenen Zellen sind in der Lage, jede Art von Körpergewebe zu bilden. So könnten sich zum Beispiel transplantierbare Organe züchten lassen. Der Name dieses Verfahrens: Reprogrammierung.
Wenn sich die Reprogrammierung eines Tages auch auf Menschen anwenden ließe, würde ein kleines Hautstück genügen, um individuell maßgeschneiderte Stammzellen herzustellen, mit denen sich zahlreiche Krankheiten, wie Parkinson oder Querschnittslähmung, behandeln ließen. Wenn. Die Forscher warnen nämlich vor verfrühter Euphorie. Die Reprogrammierung löste bei 20 Prozent der Versuchsmäuse Tumore aus. Wie dieses Problem behoben werden soll, ist den Wissenschaftlern bis dato noch völlig unklar.
Gleichwohl äußerten sich Gegner der »verbrauchenden Embryonenforschung« erfreut über diese neuen Erkenntnisse. Für den Sprecher der amerikanischen Bischofskonferenz wirft dieses Verfahren »keine ernsthaften moralischen Probleme auf, da kein menschliches Leben vernichtet wird«. Auch CDU-Politiker Hubert Hüppe zeigte sich in einer Pressemeldung erleichtert und begrüßte die Ankündigung von Forschungsministerin Annette Schavan (CDU), für ähnliche Forschungsarbeiten in Deutschland fünf Millionen Euro bereitzustellen. Gleichzeitig betrachtet er eine Lockerung des Stammzellengesetzes im Hinblick auf die Forschungen von Rudolf Jänisch und Kollegen als hinfällig.
Gegen solche Schlüsse aus seinen Forschungsergebnissen wehrt sich Jänisch. In einem Interview mit der FAZ (6. Juni) warnt er davor, dass die Ergebnisse »politisch missbraucht« werden könnten, um die bisherige Stammzellforschung »zu diskreditieren«. »Wir brauchen diese (embryonalen Stamm-)Zellen als goldener Standard, nur von ihnen können wir lernen, was natürlicherweise passiert«, so Jänisch.
Auch für den Mikrobiologen Alexander Kekulé von der Universität Halle-Wittenberg ist die Arbeit mit embryonalen Zellen als Grundlagenforschung unumgänglich. »Wie eine Stammzelle aussieht, wissen wir nur, weil es die embryonale Stammzellforschung gibt«, sagt Kekulé. »Andernfalls würde die Suche nach Stammzellen der nach der Nadel im Heuhaufen gleichen – ohne zu wissen, wie die Nadel aussieht.« Kekulé sieht die bisherige Stammzellforschung im Einklang mit der jüdischen Ethik, die es erlaube, ja gebiete, den Menschen zu verbessern. Auch die Frage des Lebensschutzes stelle sich anders als im Christentum, so Kekulé. Daher sei therapeutisches Klonen – die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken – aus jüdischer Sicht unproblematisch.
Da sich die Stammzellenforschung somit auf absehbare Zeit doch nicht ohne den »Verbrauch« menschlicher Embryonen denken lässt, wird die ethische Debatte um die Frage, ab welchem Zeitpunkt menschliches Leben beginnt und ab wann es schutzwürdig ist, weitergehen. Nicht nur, aber unter anderem auch im Deutschen Ethikrat, dessen künftige Zusammensetzung die Bundesregierung nach der parlamentarischen Sommerpause – Mitte bis Ende September – bekannt geben will. Bleibt abzuwarten, ob man Brumliks Forderung nach einer jüdischen Stimme aufgreift und mit der vielbeschworenen abendländischen Tradition ernst macht.

Capri

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