tierschutz

Traurige Felle

Charlie harrte stundenlang angebunden an einer Bushaltestelle in Aschdod aus. Eddie wartete als Welpe mit seinen Geschwistern in einem Pappkarton an der Tel Aviver Schenkinstraße darauf, dass ihn ein Passant mitnehmen würde. Und Pessach trägt diesen Namen, weil sie am ersten Tag des Pessach-Festes wimmernd und verlassen unter dem Fenster ihrer heutigen Besitzerin in der Jerusalemer Solomonstraße saß. Rund 100.000 Hunde enden jedes Jahr in Israel auf der Straße oder in Tierheimen – ausgesetzt und abgeschoben von ihren Besitzern.
Charlie, Eddie und Pessach haben ein neues Zuhause gefunden. Ein Glück, das nur einem von zehn ausgesetzten Tieren widerfährt. 90 Prozent der Hunde, so das israelische Ministerium für Landwirtschaft, sterben auf der Straße oder werden eingeschläfert. »Das ist fürchterlich, vor allem wenn man bedenkt, wie einfach sich die Situation ändern ließe, indem jeder sein Haustier kastrieren lässt«, sagt Chaya Beili von der Jerusalemer Gesellschaft für die Verhinderung von Tierquälerei (JSPCA). Der gemeinnützige Verein betreibt ein Tierheim und eine Tierklinik im Ost-Jerusalemer Industriegebiet Atarot.

katzenjammer Rund 300 Tiere, davon 200 Hunde und mindestens 100 Katzen, warten hier auf neue Besitzer. Vielleicht sind es auch 400. Oder noch mehr. So ganz genau weiß das keiner im Heim. Zu viele Tiere kommen – nicht nur aus Jerusalem, sondern aus fast ganz Israel und dem Westjordanland –, viele sterben an dem, was sie zuvor erlitten haben, zu wenige werden adoptiert. Wer mit dem Auto auf den Hof der Anlage fährt, muss aufpassen, dass ihm keine Katze unter die Reifen gerät. Überall sitzen sie herum, getigert, gefleckt, schwarz, weiß und streichen neugierig um die Beine der Besucher. »Die Großen dürfen frei draußen rumlaufen, sobald sie kastriert oder sterilisiert sind«, erklärt die 50-jährige Beili. »Aber sie kommen immer wieder zurück, denn sie wissen: Hier bekommen sie Futter und Wasser.«
Bei den Hunden im Tierheim der JSPCA scheint die Situation auf den ersten Blick etwas weniger trostlos zu sein: Die meisten der Vierbeiner, die in den Freiluftgehegen lautstark um Aufmerksamkeit bellen, sehen kräftig und gesund aus und sind nicht von der Straße gezeichnet wie viele der Katzen. »Aber was die durchgemacht haben, ist oft viel schlimmer. Hier, dieser zum Beispiel«, sagt Chaya Beili und zeigt auf einen kniehohen gescheckten Mischling mit zotteligem Fell, »der kam gestern zurück zu uns, nachdem er sieben Monate bei einem Mann war, der ihn von uns adoptiert hatte. Aber nun will der ins Ausland gehen und kann mit dem Hund nichts mehr anfangen.« Dass vermittelte Hunde aus dem Heim wieder dort enden, komme häufiger vor. »Eine Familie hat ihren erwachsenen Hund letztens nach fünf Jahren bei uns abgegeben, weil die Kinder nun aus dem Haus seien und sie nichts mehr mit dem Tier anfangen könnten.«

hundeblick »Unadoptierbar« nennt Chaya Beili diese Tiere. Eine Katze ist beispielsweise unadoptierbar, wenn sie schwarz ist oder nur ein Auge hat. Ein Hund kann aus diversen Gründen von potenziellen Frauchen und Herrchen als unattraktiv wahrgenommen werden. Etwa dann, wenn er kein Welpe mehr ist, wenn er seit vielen Jahren im Heim lebt, wenn er optisch nicht ansprechend ist, wenn er vielleicht nie gelernt hat, an der Leine zu gehen und nicht in die Wohnung zu machen, weil er niemals in einer ebensolchen gelebt hat. Manche sehen es bereits als Makel an, wenn der Hund bellt.
Seit sieben Jahren zieht Beili die Strippen der JSPCA, davor war sie viele Jahre am Wochenende als freiwillige Helferin im Tierheim tätig. Heute ist sie täglich hier. Auf der Kofferraumklappe ihres alten, roten Mazdas kleben Pro-Vegetarismus-Sticker: »Proud to be Meat Free«. Auf der Rückbank stehen zwei Käfige mit Straßen- katzen, die sie am Sacher-Park in Jerusalem aufgelesen hat. »Wir fangen die ein und lassen sie hier von unserem Tierarzt kastrieren, dann setzen wir sie wieder da aus, wo wir sie gefunden haben«, erklärt Chaya Beili. Es scheint, als bestimme der Kampf für die Tiere ihr Leben. Sie selbst hat zu Hause einen kleinen Zoo: drei Pitbulls, die sie als Welpen gefunden hat und die keiner haben wollte, einen alten Retriever-Mischling, einen einäugigen Pekinesen, einen gebrechlichen, altersschwachen Pinscher, 20 Katzen, dazu Meerschweinchen, Hamster und andere Kleintiere. Was sagt ihre Familie dazu? »Mein Mann und die beiden Jungs machen das mit«, sagt Beili.

bewusstsein Chaya Beilis Ziel ist es, dass die Menschen in Israel endlich Verantwortung übernehmen, wie sie sagt. Dass sie aufhören zu denken, sich einen Hund zuzulegen sei so »wie sich ein Paar Schuhe zu kaufen«. Dass sie ihre Tiere nicht mehr aus dem Grund nicht kastrieren lassen, weil Welpen und Katzenbabys doch so süß seien. Dass sie begreifen, dass man keine gezüchteten Rassen braucht, sondern im Heim genug Tiere warten, die keine Mängelexemplare oder zweite Wahl sind. Und dass auch die, die helfen wollen, verstehen, dass sie die Situation der Straßentiere im Endeffekt nur verschlimmern, wenn sie sie füttern und so stark für die weitere Fortpflanzung machen. »Das Bewusstsein muss sich ändern«, sagt Chaya Beili.
»Hier sagt der Veterinär zu dir: ›Oh nein, tu das deinem Tier nicht an!‹ Das ist doch völlig absurd.« Zudem würden die Muslime und die gläubigen Juden ihre Tiere aus religiösen Gründen nicht sterilisieren lassen wollen. »Dabei haben wir sogar einen Brief von einem Rabbiner, in dem bestätigt wird, dass die Kastration in Ordnung ist.«

dunkelziffer Doch solange das Land die hoffnungslose Überpopulation an Tieren nicht in den Griff bekommt, bleibt oft nur der Tod. 20.000 bis 30.000 Hunde werden nach offiziellen Meldungen der Tierärzte in Israel jährlich eingeschläfert. Doch sei die Dunkelziffer wohl doppelt so hoch, heißt es in einem Bericht des Ministeriums für Landwirtschaft. Chaya Beili geht von 100.000 bis 200.000 Tötungen im Jahr aus. Manchmal ist dies auch in ihrem Heim die einzige Lösung. Die »Unadoptierbaren« müssen dann als Erstes dran glauben. »Was sollen wir machen? Um andere retten zu können, müssen wir manchmal zu diesem Mittel greifen. Wir brauchen einfach den Platz«, sagt Chaya Beili. Zu groß ist die Zahl der vernachlässigten, abgeschobenen, ausgesetzten und vergessenen Hunde und Katzen.

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