Bochum

Symbol der Freude

von Jürgen Boebers-Süßmann

Singend und tanzend führt Kantor Igal Behm, angetan mit Tallit, den Zug der Torarollen durch die winterliche Stadt an. Hunderte Menschen folgen am 16. Dezember dem Kantor, angesteckt von einer fröhlichen, beschwingten Stimmung. Rund 1.200 Juden aus Bochum, Herne und Hattingen bietet die nur zehn Minuten von der City am denkmalgeschützten Stadtpark gelegene neue Synagoge mit dem Gemeindehaus als religiöses und gesellschaftliches Zentrum nun eine Heimstatt. Das jahrelange Provisorium der Unterbringung in einem städtischen Zweckbau im Vorort Laer ist beendet. Und auch die Kirchen nehmen das Ereignis zur Kenntnis und lassen alle Glocken der Stadt läuten. »Dies ist ein großer Freudentag für ganz Bochum«, sagt der Alt-Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber, auf dessen ganz persönliches Betreiben hin der Neubau der Synagoge vor fast fünf Jahren in Angriff genommen wurde.
Dass an diesem Sonntag in Bochum vor Freude getanzt wird, ist schon ein »kleines Wunder«, befindet der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen, Grigory Rabinovich. Für die Gemeindemitglieder kommt es einem großen Wunder gleich, dass nach nur zwei Jahren Bauzeit Einweihung gefeiert werden konnte. Groß waren damals die Hoffnungen, groß waren aber auch die Sorgen, wie das Bauvorhaben zu finanzieren sei. Nun müssen jüdische Männer und Frauen, die zumeist aus Russland oder aus der Ukraine nach Bochum kamen, das Haus mit Leben erfüllen. »Das Judentum ist nicht versteinert im Mittelalter. Nein, es lebt heute!«, rief der ehemalige Landesrabbiner von Westfalen-Lippe, Henry G. Brandt, bei der Festveranstaltung aus.
»Der Versuch, uns zu vernichten, ist fehlgeschlagen. 1.200 Menschen jüdischen Glaubens haben hier eine Heimat gefunden«, betont der Gemeindevorsitzende, Rabinovich. Er bedankte sich für die Unterstützung von Stadt und Land und nicht zuletzt beim Freundeskreis für die Synagoge, deren Mitglieder vor dem Baubeginn tatkräftig das Projekt begleitet hatten. Die Kosten von rund sieben Millionen Euro tragen zu jeweils einem Drittel die Stadt, das Land Nordrhein-Westfalen und die jüdische Gemeinde.
Die Einweihung der Synagoge war geprägt von der großen Festveranstaltung, zu der rund 500 Gäste, darunter viel Prominenz, angereist waren. Grigorij Rabinovich begrüßte die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sowie unter anderen Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz, den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert und den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers.
Knobloch erinnerte an ihren Vorgänger Paul Spiegel und dessen Eintreten für den Bochumer Neubau. Selbstbewusst sagte die Zentralratspräsidentin: »Wir verlassen die dunklen Hinterhöfe. Auch wenn wir das Ziel noch lange nicht erreicht haben.« Das Ziel, dass jüdisches Leben wieder wie selbstverständlich seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft einnimmt. Die Einweihung der Bochumer Synagoge, so hieß es, stehe also erst am Anfang einer Entwicklung, eines Prozesses, der aus der Gegenwart in die Zukunft weist.
»Ein Zeichen der Erinnerung an die Vergangenheit und eine Verpflichtung für die Zukunft« nannte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Neubau von Synagogen. Das Aufleben eines neuen Judentums mit über 100.000 Gläubigen sei ein »Kompliment« an die deutsche Demokratie. Auch Jürgen Rüttgers (CDU) betonte, der Synagogenbau symbolisiere die Freude, dass jüdisches Leben wieder einen festen Platz im Land gefunden habe.
Oberbürgermeisterin Scholz freute sich, ein besonderes Geschenk machen zu können. Ein Unbekannter hatte nach der Pogromnacht am 9. November 1938 aus den Trümmern der alten Synagoge ein Bronzerelief gerettet und es einer jüdischen Familie übergeben. Dieses Relief, das den »Löwen zu Juda« zeigt, führte die Familie auf ihrer Flucht vor den Nazis stets mit sich. Einen Abguss des Löwen übergab die Oberbürgermeisterin der Gemeinde.
Der ehemalige Landesrabbiner Brandt, der den Einzug der Torarollen in die Synagoge leitete, sagte mit Blick auf die Herausforderungen, denen sich die Gemeinde stellen muss: »Was hier entsteht, hängt nicht von diesen vier Wänden ab.« Wie andere jüdische Gemeinden auch, besteht auch die Bochumer zu über 90 Prozent aus jüdischen Zuwanderern aus dem Osten. Darin liege eine große Chance, so Brandt, dass wieder »ein offenes und modernes jüdisches Leben entsteht«.
Das erste Wort bei der Festveranstaltung hatte Alfred Salomon. Der 88-Jährige, Überlebender der Schoa, ist der einzige noch in Bochum lebende Jude der Gemeinde der Vor-Nazizeit. Sichtlich bewegt dankte Alfred Salomon, der mit wenigen Überlebenden nach 1945 die jüdische Gemeinde Bochum neu aufgebaut hatte, dafür, dass die Synagoge möglich wurde. Und er, der den Brandgeruch nach der Pogromnacht von 1938 nie vergessen könne, erinnerte: »Ich werde es nie begreifen, dass dies geschehen konnte.«

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