durban ii

soll deutschland weiter über durban ii verhandeln?

von Sergey Lagodinsky

Vor zwei Wochen war ich einer der Initiatoren eines rot-rot-grünen Appells an die Bundesregierung für den Rückzug aus den Verhandlungen zur Nachfolgekonferenz von Durban. Nur so, glaubten wir damals, könne man den Missbrauch des Themas zum Zweck der antiwestlichen und antiisraelischen Stimmungsmache verhindern.
Wie schnelllebig das internationale Politikgeschäft sein kann! Es bedurfte lediglich einer klaren Sprache seitens der EU und des deutschen Außenministers, schon lag den Beteiligten ein neuer, verkürzter und versachlichter Entwurf des Abschlussdokuments für die Konferenz in Genf vor. Trotz einiger Bedenken stellt dieses Papier nunmehr eine Grundlage für weitere Verhandlungen dar.
Man darf dabei auch nicht den Charakter des Dokuments übersehen. Weder die ursprüngliche Erklä- rung von Durban noch das derzeit diskutierte Dokument sind verbindlich. Es handelt sich um Ab- sichtserklärungen, denen nicht mal durch die Annahme in der Generalversammlung rechtliche Bedeutung erwüchse.
Entsprechend sollte diskutiert werden: Die Symbolkraft des jetzigen Entwurfs muss an seinen sichtbaren Verbesserungen, nicht an seinen unsichtbaren Mängeln gemessen werden. Und die Änderungen sind sichtbar positiv: Enthielt die Vorversion des Textes noch zahlreiche Verurteilungen Israels, so findet der Nahostkonflikt jetzt kein einziges Mal Erwähnung. Verschwunden sind der siebenma- lige Gebrauch des Begriffs der »Religionsdiffamierung« sowie die Hervorhebung des Islams als besonders verfolgter Religion. Der umstrittene Begriff der Islamophobie taucht nur noch ein einziges Mal auf, und zwar in Verbindung mit anderen Formen der Intoleranz (etwa dem Antisemitismus). Ausdrücklich wird die Erinnerung an den Holocaust hervorgehoben, und es wird auf die Resolutionen der UNO verwiesen, die die Leugnung der Schoa verurteilen.
Dass der Entwurf mit dem Verweis auf die Erklärung von Durban aus dem Jahre 2001 beginnt, wundert einen kaum, liegt es doch schon am Auftrag von Durban II, eine Nachfolgekonferenz von Durban I zu sein. Wer die Erklärung von Durban kennt, weiß auch um die positive Bedeutung verschiedener Abschnitte dort: etwa die Definition des »Rassismusopferbegriffs« oder die Anerkennung des Sklavenhandels als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die zwei für die UNO-Verhältnis- se überraschend ausgewogenen Absätze zum Nahostkonflikt haben in der 60-seitigen Erklärung zum Rassismus 2009 in der Tat nichts verloren. Doch genauso, wie man diesen Fehler von Durban I nicht mehr ungeschehen machen kann, verleiht man auch durch diesen Verweis dem Gesamtdokument keine zusätzliche rechtliche Legitimation. Zudem wäre aus der Sicht der EU, die anders als die USA den Durban-I-Text maßgeblich mitgestaltet hat, eine völlige Distanzierung von der Erklärung von 2001 widersprüchlich.
Auch die Kritik, dass die Begrenzung der Meinungsfreiheit durch das Verbot der Hassrede gegen das anerkannte Verständnis der Meinungsfreiheit verstöße, ist falsch. Vielmehr entspricht ein solches Verständnis den völker- und europarechtlichen Standards, die die Bestrafung der Holocaustleugnung international begründen.
Es kann uns angesichts der Wichtigkeit der Rassismusbekämpfung nicht darum gehen, den Durban-Prozess zu torpedieren, sondern darum, ihn zu entgiften. Die Symbolwirkung der jetzigen Verhandlungsergebnisse lässt hoffen: Keine der beteiligten Parteien wird behaupten können, dass man den Nahostkonflikt als rassistisch diffamieren darf oder dass das Konstrukt der »Religionsdiffamierung« internationale Anerkennung genieße. Man wird immer auf den fehlenden internationalen Konsens verweisen können, der jetzt dokumentiert wurde.
Nun gilt es: Weiterverhandeln, an bisherigen positiven Ergebnissen festhalten und auf weitere Verbesserungen drängen.

von Thierry Chervel

Reden ist eine tolle Sache. Solange man redet, schlägt man sich nicht. Man muss aber auch aufpassen, dass einem nicht anderweitig das Maul gestopft wird. Zum Beispiel mit Begriffen, die man selbst entwickelt hat. Begriffe wie »Menschenrechte« oder »Rassismus« sind im Westen als Instrument demokratischer Selbstkritik geprägt worden. Die Lebensqualität einer Gesellschaft bemisst sich entscheidend an der Anwesenheit der Menschenrechte und der Abwesenheit von Rassismus.
Die Begriffe sind Errungenschaften eines säkularen Kampfes gegen die Autoritäten der Religion und des Staates. Dabei hat der Westen auf dem Weg zu den Men-schenrechten keineswegs saubere Finger behalten. Sie wurden auch erkämpft unter entsetzlichen Regressionen, zu denen die Sklaverei, der Kolonialismus, der Holocaust und der Gulag gehören. Nur ein gebranntes Kind hat einen Begriff vom Menschenrecht, und es weiß, dass es auf Teufel komm raus daran festhalten muss.
Also reden, okay! Aber Demokratien, die nach Genf zur Durban Review Conference der UNO gehen, akzeptieren, dass die Begriffe der Menschenrechte und des Rassismus allein gegen sie in Anschlag gebracht werden. Und da muss man das Palaver auch mal zum Schweigen bringen und neu über die Bedingungen des Redens nachdenken. Man darf in der Durban-Konferenz im Jahr 2001, die später durch das Fanal des 11. September in Vergessenheit geriet, nicht nur das antisemitische Spektakel sehen. Man muss auch analysieren, wofür dieser Antisemitismus ein Symptom ist und daraus Konsequenzen ziehen.
Der UNO-Menschenrechtsrat wird bekanntlich dominiert von islamischen Staaten einerseits und afrikanischen Ländern andererseits. Keines dieser Länder ist eine Demokratie. Alle diese Länder eint, dass sie sich ausschließlich als Opfer ihrer ehemaligen Kolonisatoren, also des »Westens« definieren. Das ist für sie das Bequemste.
Am deutlichsten zeigen lässt sich das am Begriff des »transatlantischen Sklavenhandels«, der selbst in dem jetzt vorgelegten Kompromisspapier für Durban II als einziger Aspekt des Themas Sklaverei herausgegriffen wird. Kein Hinweis darauf, dass der transatlantische Sklavenhandel – ein Menschheitsverbrechen, ohne Zweifel – ohne die Infrastruktur des arabischen und innerafrikanischen Sklavenhandels gar nicht hätte funktionieren können. In zugleich hämischer und kindischer Weise kürzen sich die islamischen und afrikanischen Staaten also heraus aus der Geschichte, um als Opfer mit um so reinerer Weste dazustehen. Das Gespenst des Antisemitismus lugt gleich an zwei Stellen aus diesem bewusst mit Begriffen der Demokratie gegen die Demokratie eingesetzten Diskurs hervor: Einerseits natürlich dadurch, dass Israel im Abschlusspapier der Durban-Konferenz von 2001 und in sämtlichen Vorbe- reitungspapieren für Durban II als einziger angeblich rassistischer Staat herausgegriffen wird. Nur im jetzt vorgelegten Kompromisspapier fehlt dieser direkte Bezug auf Israel – und er wird doch hinterrücks durch die ausdrückliche Berufung auf das Abschlussdokument von 2001 wiederhergestellt.
Aber fast noch gefährlicher ist der indirekte, aus Opferneid gespeiste Antisemitismus des Postkolonialismus. Dem Westen wird vorgeworfen, den Holocaust als Vorwand zu benutzen, um von anderen Menschheitsverbrechen wie Sklaverei und Kolonialismus abzulenken. Außerdem hätte man gern Reparationszahlungen.
Dieser Diskurs kann bis zur Holocaustleugnung führen, wie man vor einigen Monaten in Paris sehen konnte. Dort holte der kamerunisch-französische Stand-up-Comedian Dieudonné den Negationisten Robert Faurisson auf die Bühne, um ihn vor 5.000 jubelnden Zuschauern aus der Mitte der Gesellschaft mit einem Preis für »Political Incorrectness« auszuzeichnen. Seltsam, dass dieser Fall von den westlichen Öffentlichkeiten, die wochenlang erregt über den holocaustleugnenden Bischof Williamson diskutierten, so lautlos weggesteckt wurde.
Dass die Holocaustleugnung von rechts als Verbrechen gegeißelt wird, während die Holocaustleugnung im Namen des Postkolonialismus als fehlgeleitetes Denken abgetan und schnell verdrängt wird, hat damit zu tun, dass mit dem Opferkomplex der islamischen und afrikanischen Staaten ein westlicher Schuldkomplex korrespondiert. Ihn hat Pascal Bruckner vor mehr als 20 Jahren in Das Schluchzen des weißen Mannes zuerst analysiert.
Aber der Schuldkomplex ist überheblich, der Opferkomplex kindisch. Der Westen als der automatisch Schuldige, dem die ehemaligen Kolonien als die automatischen Opfer gegenüberstehen: In diese perverse, für beide Seiten ungerechte Konstellation soll die Welt in der Durban Nachfolgekonferenz von Neuem – systematisch und bewusst – gezwängt werden. Aus dieser Konstellation müssen sich beide erst lösen, bevor sie wieder reden können. Der UNO-Menschenrechtsrat in seiner jetzigen Form ist obsolet.

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