Hildesheim

Siebzig Jahre Warten

Vielleicht wächst nun doch wieder zusammen, was zusammen- gehört. Mit der am 10. November eröffneten Synagoge haben die Jüdische Kultusgemeinde Hildesheim mit ihren 97 Mitgliedern und die Jüdische Gemeinde mit 24 Juden die einmalige Gelegenheit, wieder zueinanderzufinden. »Ich hoffe, dass aus der Gemeinde der Juden in Hildesheim eine jüdische Gemeinde wird«, hatte der niedersächsische Landesrabbiner Jonah Sievers bei der Eröffnung gesagt. Seit einiger Zeit be-
wegen sich beide Gemeinden aufeinander zu. Sie wollen die neue Synagoge gemeinsam nutzen, ein Zusammenschluss ist fest geplant.
Grund zur Freude für Michael Fürst, den Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. Das jüdische Leben werde nun wieder einen festen Platz in der Stadt haben, ist sich auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Wolf-Georg von Eickstedt, sicher. Seine Gemeinde und die von Leonid Ratiner geführte pflegen den gleichen liberalen Ritus, was den Zusammenschluss erleichtern könnte.

Freundschaftsdienst Auch die Kirchen rückten zusammen. Durch den Zu-
sammenschluss der Johannesgemeinde, der Gemeinde Guter Hirt und der Lichtmessgemeinde Drispenstedt wurde das Haus frei, das die jüdische Gemeinde pachten konnte. Als »edle Geste« der Kirche bezeichnet dies Oberbürgermeister Kurt Machens. Von Eickstedt weiß, dass er die »außerordentliche großzügige Lösung« dem Hildesheimer Bistum zu verdanken hat. Die Umwidmung in eine Synagoge ist vergleichsweise einfach und war bereits in Bielefeld vorgemacht worden. Feste Bauvorschriften für die Synagoge gibt es nicht, dennoch hat man Schritt für Schritt die Räume an jüdische Bedürfnisse angepasst.
Im Zentrum der neuen Synagoge steht der Toraschrank. Landesrabbiner Jonah Sievers war es vorbehalten, die 90 Jahre alte Tora unter der Chuppa bei der Eröffnung in die Synagoge zu tragen und sie in den Aron Hakodesch einzuheben.
Wie die Hildesheimer Gemeinden selbst, hat auch diese Tora eine wechselvolle Geschichte. Sie wurde höchstwahrscheinlich um 1920 in Polen geschrieben und diente dann einer Gemeinde in Großbritannien. Die Hildesheimer haben sie im Jahr 2000 den Briten abgekauft, als die sich eine kleinere und leichtere Rolle zugelegt haben. Drei Jahre lang hatte sich die Ge-
meinde vorher mit geliehenen Schrift-
rollen begnügen müssen.
Kultusgegenstände aus der 1938 in der Pogromnacht zerstörten Synagoge gab es nicht mehr.1942 waren die letzten in Hildesheim verbleibenden Juden in Konzentrationslager deportiert worden. Damit war die Gemeinde, deren Wurzeln bis ins Mit-
telalter zurückreichen, vernichtet. Bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts sollen zahlreiche Juden in Hildesheim gelebt haben, zeitweise mehr als 1.000 Personen weisen die Lexika aus. Immer wieder wurden sie vertrieben. In den Pestjahren 1348/49 stellte sich zwar der Bischof schützend vor sie, allerdings hatte er auch einen Nutzen von ihnen, sie hatten jährliche Abgaben an die Kirche zu leisten.

Verbriefter schutz In den Jahrhunderten darauf waren die Juden in Hildesheim immer wieder Verfolgungen ausgesetzt. 1662 erhielten sie zwar einen bi-
schöflichen Schutzbrief auf Lebenszeit, doch schon bald wurde dieser wieder auf 20 oder gar 15 Jahre befristet. 1842 erhielten die Juden gleiche Bürgerrechte. Sieben Jahre später konnten sie eine neue Synagoge eröffnen. Während die alte, die – baufällig – 1842 abgerissen worden war »in einem finsteren und versteckten Winkel« gelegen hatte, verkündete Rabbiner Meyer Landsberg 1849, der Neubau erhebe sich »auf freiem Platze als freier Tempel befreiter Brüder«. Die Freiheit währte nicht lange. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden auch in Hildesheim antisemitische Strömungen spürbar. 1933 lebten 550 Juden in der Stadt. Nach Verfolgung und Krieg kehrten nur fünf Hildesheimer Juden in ihre Heimat zurück.

Neugründung Erst 1997 gründete sich die Gemeinde wieder. 71 Jahre nach der Zerstörung der alten Synagoge hat Hildesheim jetzt eine neue. Seit zwölf Jahren hat wieder jüdisches Leben in die Stadt Einzug gehalten. Damit sei die Gemeinde religionsmündig, stellte kürzlich Sara-Ruth Schumann, stellvertretende Landesvorsitzende, fest und erklärte dies folgendermaßen: »Jüdische Mädchen werden mit zwölf Jahren religionsmündig und da die Ge-
meinde weiblich und zwölf Jahre alt ist, ist sie nun auch erwachsen.«
Mündig und gastfreundlich, wolle man sein. Ein Haus der offenen Türen, eine Heimat des interreligiösen Dialogs und der Kultur, offen auch für die derzeitigen Eigentümer, versicherte Gemeindevorsitzender Wolf-Georg von Eickstedt. Und als Bürgermeister Kurt Machens darum bat, »einzuladen und offen zu sein!« entgegnete er diesem ohne Zögern: »Versprochen!« »Dass wir alle im Glauben fester werden«, wünschte sich Pastor Jürgen Plötze bei der Eröffnung der Synagoge vor einem Monat.
Dabei haben die Hildesheimer bereits viel Unterstützung erfahren, unter anderem durch den Freundeskreis, dessen Vorsitzende Lore Auerbach nicht müde wird, an die vielen Vorüberlegungen zu erinnern. Vor allem sei es dem Innenstadt-Pfarrer Wolfgang Osthaus zu verdanken, dass die Juden jetzt vielleicht wieder zusammen ein neues Zuhause haben, denn er habe die Idee gehabt. Über diese Freunde freut sich vor allem von Eickstedt. Für ihn bleibt und ist die Eröffnung der neuen Synagoge schlichtweg ein historisches Ereignis.

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