59. Berlinale

Sex, Schoa und Videos

von Jessica Jacoby

Überall in Berlin prangen sie in ihrer Einförmigkeit mit dem schwer zu entziffernden Buchstaben »i«: die Plakate der 59. Berlinale, die an diesem Donnerstag beginnt. Glücklicherweise kein Omen für das zehntägige Programm, das die gewohnte Vielfalt aufweist – auch wenn die Zahl von Produktionen mit spezifisch jüdischer oder israelischer Thematik im Vergleich zu früheren Jahren zurückgegangen ist.
Im Wettbewerb geht kein einziger solcher Film ins Rennen um die Goldenen und Silbernen Bären. Zwar ist mit Oren Moverman und seinem Film The Messenger ein israelischer Regisseur vertreten. Doch spielt die Handlung in den USA, wo Moverman auch lebt. Er erzählt von zwei Männern, denen die unliebsame Aufgabe zukommt, im Auftrag der Armee die Angehörigen gefallener Soldaten von deren Tod zu benachrichtigen – ein universales Thema, solange es Kriege gibt.
»Ich habe es Dir gesagt: Mach einen Holocaustfilm, und es wird Preise regnen«, soll der britische Comedian Ricky Gervais seiner Kollegin Kate Winslet bei der Golden-Globe-Verleihung zugerufen haben. Das Ergebnis seines Rates läuft außer Konkurrenz. The Reader in der Regie von Stephen Daldry basiert auf dem Bestsellerroman Der Vorleser von Bernhard Schlink: In der Bundesrepublik der 50er-Jahre verliebt sich ein Fünfzehnjähriger in eine deutlich ältere Frau, die er einige Jahre später als Jurastudent vor Gericht wieder- sieht. Sie war KZ-Aufseherin. Der Vorleser wird am 26. Januar in Deutschland anlaufen.
Im Programm »Berlinale Special« ist Adam Resurrected von Paul Schrader zu sehen, eine Verfilmung von Yoram Kaniuks 1969 erschienenem Roman Adam ben Kelef (Adam Hundesohn). In einer israelischen psychiatrischen Klinik haust der Schoa-Überlebende Adam, dargestellt von Jeff Goldblum. Im KZ musste er zur Belustigung des Kommandanten einen Hund mimen. Adam findet wieder zurück ins Leben, als ein Junge in die Anstalt eingelie- fert wird, der sich für einen Hund hält und nur bellend und knurrend kommuniziert. Am 19. Februar kommt der Film unter dem Titel Ein Leben für ein Leben in die Kinos.
In »Panorama« und »Forum«, den wichtigsten Nebenreihen der Berlinale, hat sich in den vergangenen Jahren der Anteil der Dokumentarfilme stetig erhöht. Nicht nur weil, wie deren Macher gerne betonen, nichts spannender ist als die Wirklichkeit. Dokumentationen sind auf Video auch sehr viel billiger zu produzieren als klassische Spielfilme mit Schauspielern auf 35 Millimeter. Junge Filme mit Herz, wie Lemon Tree, im vorigen Jahr der Gewinner des Panorama-Publikumspreises, werden deshalb immer seltener. Andererseits verwischen die klaren Trennungen zwischen den Genres: Spielfilme bedienen sich im-
mer häufiger einer dokumentarischen Ästhetik, Dokumentationen kommen nicht mehr ohne Dramaturgie aus.
Gleich mehrere Dokumentarfilme im »Panorama« beschäftigen sich mit Lesben und Schwulen in Israel und Palästina, vorneweg der Kompilationsfilm Fucking Different Tel Aviv, nach FD Berlin und FD New York der dritte seiner Art. Wie bei den Vorgängern wurden lesbische Regisseurinnen gebeten, Kurzfilme über Schwule zu drehen und umgekehrt. Die einfühlsameren Beiträge stammen von Frauen: Der schüchterne Junge, der seinem Schwarm auflauert und schließlich, ohne dass »es« passiert, an seiner Schulter einschläft; der Transvestit Brigitte, der davon träumt, mit seiner Oboe Mitglied der Berliner Philharmoniker zu werden; oder das stumme, sehr bildgewaltige Drama des gerade noch verhinderten Suizids eines schwulen Jeschiwebochers.
Tel Aviv hat eine vielfältige lesbische und schwule Subkultur. Jerusalem ist ein ungleich härteres Pflaster. Der Dokumentarfilm City of Borders beschreibt die einzige schwul-lesbische Bar der Stadt und beobachtet den Wirt sowie vier seiner Stamm- gäste in ihrem Alltag. Yun Suh, die Regisseurin dieses optimistischen Films, ist eine in den USA lebende Koreanerin, die sich mit viel Sympathie einer anderen Kultur nähert. Das tut von der anderen Seite her auch die Israelin Nati Baratz mit der Doku Unmistaken Child, die unaufdringlich und sensibel die Suche eines buddhistischen Mönches nach seinem wiedergeborenen Meister in Gestalt eines kleinen Jungen begleitet. Udi Aloni, der 2003 und 2006 mit sehr israelbezogenen Produktionen auf der Berlinale vertreten war, meldet sich mit Kashmir – Journey to Freedom zurück. Er interviewt ehemalige Militante im indischen Teil Kaschmirs, die beschlossen haben, ihren Kampf für Unabhängigkeit gewaltfrei fortzusetzen. Man kann verstehen, was den israelischen Regisseur an dieser Entwicklung fasziniert.
Das Forum ist traditionell die Sektion der langen Dokumentationen, für die man Geduld braucht, die sich aber meist lohnen. So auch die vom Kultursender Arte mitproduzierte, 210 Minuten lange History of Israeli Cinema 1933-2007 von Raphael Nadjari. Die Entwicklung des israelischen Kinos, von den frühen heroisieren- den Produktionen über die meist von Menachem Golan produzierten Unterhaltungsfilme bis zu der international beachteten thematischen Vielfalt von heute, wird anhand vieler Filmausschnitte und Interviews nachgezeichnet.
Simone Bitton folgt in Rachel den Spuren der jungen Amerikanerin Rachel Corrie, die 2003 im Gasastreifen von einem israelischen Bulldozer getötet wurde, als sie versuchte, die Demolierung von paläs-tinensischen Häusern zu verhindern. Bitton interviewt Freunde und Eltern, spricht mit Ärzten, Militärs und dem zuständigen Untersuchungsrichter. Die emotionalisierende Inszenierung (Rachels E-Mails werden von Freunden und Eltern verlesen) und die identifikatorische Haltung der Regisseurin verklären die Getötete allerdings zur Märtyrerin und rücken den Film in die Nähe von Propaganda.
Anders Defamation von Yoav Shamir, ein aufklärerischer Film, der auf den Punkt kommt, aber auch seine Grenzen benennt. Der Regisseur begleitet israelische Schüler in das ehemalige Vernichtungslager Maidanek. Er erlebt, wie bei den Jugendlichen Emotionen produziert werden. Eine zweite Gruppe, die Shamir befragt, sind Funktionäre der Anti Defamation League, die in dem Film jede Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichsetzen und für die ihre Lobbyarbeit, in Ermangelung anderer Inhalte, zur jüdischen Ersatzidentität geworden ist.
Im Jugendprogramm »Generation 14+« ist Israel mit zwei Kurzfilmen vertreten. Yalda Gdola/ Grown up von Dana Neuberg zeigt zwei Mädchen, die ihre aufblühenden weiblichen Reize an einem Arbeitskollegen der Mutter austesten und ihn damit ziemlich in Verlegenheit bringen. In Eynayim Sheli/Point of View von Avishag Leibovich verbringt das Mädchen Noa das Wochenende bei seiner sehbehinderten Oma, der sie ständig die Untertitel von deren Lieblingstelenovela vorlesen muss. Das nervt. Aber Noa liebt ihre Oma trotzdem.
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