von Helmut Kuhn
Viele glauben immer noch, Israel exportiere vor allem Orangen. Israel sei ein Agrarstaat, getragen von Kibbuzniks. »Israel ist ein Hightech-Land. Wir haben relativ gesehen die höchste Zahl an Hochschulabschlüssen in der Welt, die meisten Museen und die zweithöchste Zahl der Buchveröffentlichungen«, sagt Joel Lion. Es ist ein Montagabend im Gemeindehaus an der Fasanenstraße, und es sind rund drei Dutzend Gemeindemitglieder gekommen, den Mann zu hören, der seit fast vier Jahren sein Land in Berlin vertritt. Und er tut das mit Verve und innigem Engagement.
Joel Lion ist Botschaftsrat und Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der israelischen Botschaft. Er projiziert wirtschaftliche Eckdaten an die Wand, er spricht vom langen Weg zum Frieden, von neuen Bedrohungen und neuen Hoffnungen. Der Mann mit den flinken Augen ist gerade mal 41 Jahre alt und Vater von acht Kindern. Er ist in Frankreich geboren und emigrierte nach seiner Rabbinerausbildung nach Israel. Daß er vor allem ein Mann Gottes ist, merkt man ihm dort vorne jetzt nicht an.
Dort spricht der Staatswissenschaftler der Jerusalemer Universität, der als erster Botschaftssekretär in Riga nebenher noch einen Magister in Geschichte machte. Er präsentiert Zahlen, Daten, Fakten. Allgemeines über politische Parteien und doch wieder detaillierte Hintergründe. Eine Vortragsreihe. Aber warum nun diese Vortragsreihe? Weil die Bedrohung des Landes jetzt zunimmt? Weil er das Verhältnis der Berliner Juden zu Israel in Gefahr sieht? »Die Juden in Berlin und Deutschland sind noch immer auf der Suche nach einer Identität«, glaubt Lion. »Bin ich deutscher Jude oder jüdischer Deutscher? Und wo ist Israel dabei? In Frankreich ist die Haltung klarer. Dort sehen wir uns als jüdische Franzosen und stehen zu Israel.«
Mythen möchte er zerschlagen, wie jene, Israels Wirtschaft sei völlig auf die USA fixiert. »Wir sind der Brückenkopf Europas in der arabischen Welt. 39 Prozent unseres Exports gehen in die Europäische Union. Und dort ist Deutschland unser größter und wichtigster Partner – wie auch in Israel jedes Taxis ein Mercedes ist.« In seinen Ausführungen schwingt stets ein Augenzwinkern mit. Bis er zu Krieg und Frieden kommt: Wer weiß eigentlich, daß sich Israel immer noch mit zwei Staaten im offenen Krieg befindet? Libanon und Irak? Niemand? »Es gibt noch nicht einmal ein Waffenstillstandsabkommen wie mit Syrien«, sagt Lion und guckt in die betroffene Runde. Ein Mausklick an seinem Laptop und es erscheinen Daten und Bilder der Friedensverhandlungen Israels, von den ersten Gesprächen mit Ägypten auf Rhodos 1949 (»wußte das hier jemand?«) über Oslo 1993 bis zu Camp David im Juli 2000, als der Frieden zum Greifen nah schien. Und wo sind wir heute? Hunderte Tote auf beiden Seiten später? Lion gibt sofort die Antwort: »Jassir Arafat hat versucht, die israelische Gesellschaft zu zersplittern. Es ist ihm nicht gelungen. Er hat sie vielmehr zusammengeschweißt.«
Dennoch malt er ein immer düsteres Szenario. Von iranischen Shahab-3-Raketen, Katjuscha-Raketen aus dem Libanon und palästinensischen Kassam-Raketen, die jeden Tag zu Dutzenden auf Israel niedergehen. »Jeder kann eine Kassam-Rakete bauen. Sie können das, ich kann das. Ein Rohr, Drähte, Batterie, Sprengstoff. Was machen wir, wenn sie eine Kassam-Rakete auf den Ben-Gurion-Flughafen schießen?« Wir sehen Fotos von Selbstmord-Attentätern und bis an die Zähne bewaffneten Hamas-Milizionären. »Wenn du schwach bist, hast du verloren«, sagt Lion. »Es gibt keine Logik im Nahen Osten«.
Schließlich steht die Charta der gerade bei der Palästinenser-Wahl als Sieger hervorgegangenen Hamas an der Wand. Artikel 7: »Das jüngste Gericht wird nicht kommen, solange Moslems nicht Juden bekämpfen und sie töten.« Lion gestikuliert heftig. »Die haben 73 Sitze, doppelt soviel wie die Fatah. Und sagt nicht, daß wir paranoid sind!« Kann die Hamas ihre Charta beiseite legen? Lion zuckt mit den Schultern. »Ich habe nur Fragen, keine Antworten. Aber ich habe manchen ein Stück voraus: Ich glaube an Gott. Und wer in Israel nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.« So schließt er seinen Vortrag, und erst jetzt wird verständlicher, daß er in Israel sowohl für das Außen- als auch für das Religionsministerium gearbeitet hat.
Sofort stürzen neue Fragen auf ihn ein. Wird Ehud Olmert die nächste Regierung stellen? Wer ist dieser Mann? Lion hat noch ein paar Antworten parat. »Zehn Jahre war Olmert Bürgermeister von Jerusalem. Er ist ein Verwalter, ein reiner Politiker. Das ist eine neue Generation. Das sind nicht mehr die Generäle, die Israel verteidigt und aufgebaut haben.«
Das Publikum scheint bereichert, zufrieden. In der nächsten Woche wird er über die deutsch-israelischen Beziehungen in ihrem 41. Jahr sprechen, zum Abschluß über »Zionismus, Antizionismus und das problematische Israelbild in den Medien«. Also doch eine Art Nachhilfe-Unterricht in Sachen Israel?
»Eine gute Frage«, sagt Lion. »Die sollten Sie vielleicht der Gemeinde stellen.« Schließlich sei man dort auf ihn zugekommen. »Ich habe im letzten Monat vor 1.000 Schülern in vielen Städten gesprochen. Da fragte man mich: Warum nicht auch bei uns?« Wieder lächelt er schulterzuckend, um die Antwort doch gleich selbst zu geben: »Vielleicht, weil diese Gemeinde inzwischen zu 80 Prozent aus Einwanderern besteht, die sich selbst noch suchen. Aber eines ist klar: Die Führung der Gemeinde hat sich immer sehr für Israel eingesetzt.«
Nein, ein Mitglied der Gemeinde sei und werde er nicht. »Ich bin Diplomat und lebe in einer anderen Welt, nicht im Alltag der Gemeinde.«
Fühlen sich seine Kinder denn in diesem Land wohl? So genau könne er das gar nicht sagen. »Sie wissen, daß unser Zuhause in Israel ist. Deutschland ist für sie nur eine Station.« Und dann lächelt der ausgebildete Rabbiner. »Ich kann auch zionistisch sein und sagen: Ich glaube, daß der Platz eines jeden Juden in Israel ist.« Eine deutliche Botschaft.
Weitere Termine der Vortragsreihe mit Botschaftsrat Joel Lion: Montag, 27. Februar und Montag, 20. März, jeweils 19.30 Uhr, Jüdisches Gemeindehaus, Fasanenstraße 79