Paul Lendvai (96), Publizist und Holocaust-Überlebender, betrachtet die jüngeren Generationen als »verdorben durch die Selbstverständlichkeit der Freiheit«. Freiheit sei ein Luxusgut, sagte Lendvai im Interview der »Süddeutschen Zeitung«.
Jungen Menschen sei »nicht gut zu vermitteln, wie schwer es frühere Generationen hatten, die in Unfreiheit oder in autoritären Regimen erwachsen wurden. Viele Menschen wissen nicht, wie wenige Länder tatsächlich frei sind und wie relativ die Freiheit ist.«
In seinem Buch »Wer bin ich?«, das zu Jahresbeginn erschienen ist, schreibt Lendvai über sein knappes Überleben des Holocaust, über sein Leben in Ungarn, wo er 1953 von den Kommunisten eingesperrt wurde und ein Berufsverbot erhielt, und - bis heute - in Österreich.
Über die jüngste Welle des Antisemitismus zeigte er sich erschüttert. »Ich gehöre zwar zu den schärfsten Kritikern der israelischen Regierung, aber der 7. Oktober und die Reaktionen der Intellektuellen darauf, dieser Hass gegen Israel, haben mich entsetzt.« Insofern bleibe es sein Antrieb, »gegen das Böse und Dumme zu kämpfen«.
In seinem Alter kämen zudem Erinnerungen wieder hoch. Schon als Kind habe man »unter der Bedrohung gelebt, sich gefragt, wann kommt die Invasion, der Krieg«, so der 1929 geborene Lendvai. »Manchmal, wenn ich in der Nacht aufwache, frage ich mich, wie ich als junger Bursche stehend auf einem Todesmarsch einschlafen konnte.« Vieles habe er »verdrängt und vergessen«, über vieles habe er auch lange nicht sprechen wollen.
»Wenn man jung ist, denkt man daran, dass da ein junges Mädchen war und ich vor ihrem Vater Angst hatte, weil ich sie im Treppenhaus küssen wollte. Oder dass ich einmal in der schlimmsten Zeit ohne gelben Stern ins Kino gegangen bin. Das ist die Jugend.« kna