Kuba

Paradies im Elend

von Knut Henkel

Ganz Kuba wartet händeringend auf den Wandel. Auch in den drei Synagogen Havannas hofft man auf die von Staatschef Raúl Castro angekündigten wirtschaftlichen Reformen. Wichtiger für die jüdische Gemeinde Kubas war allerdings die politische Öffnung gegenüber den Religionen Anfang der 90er-Jahre. Die bescherte der Gemeinde bis heute einen beachtlichen Aufschwung.
Das einzige Restaurant Havannas, in dem man koscher essen kann, befindet sich nur ein paar Ecken von der Synagoge entfernt und heißt »Jardín del Edén«, Garten Eden. Es gehört zum Hotel »Raquel«, das sich konsequent der jüdischen Kultur verschrieben hat. Koscheres Essen gehört zum Standard, über den Zimmertüren stehen biblische Namen. »Verantwortlich für die Einrichtung des Hotels ist Eusebio Leal, Havannas Stadthistoriker. Vor ein paar Jahren hat er der 1925 von Aschkenasen gegründeten Gemeinde Adath Israel bei der Sanierung und Renovierung ihrer Gebäude geholfen.
Ihre Synagoge und das Gemeindezentrum stehen im Herzen der Altstadt, der Calle Acosta. »Hier schlägt das Herz der jüdischen Gemeinde Havannas, denn hier hat alles begonnen«, erklärt Juan Luis Rousso, der Verwalter der Adath Israel, Kubas einziger orthodoxer Gemeinde, mit voller Stimme.
Roussos Vater ist – wie viele andere auch – 1920 aus der Türkei eingewandert. Als Anlaufpunkt diente damals die Synagoge Chevet Ahim, die 1906 von amerikanischen Reformjuden gegründet wurde. Dort trafen bald Tausende jüdische Einwanderer ein, die meisten von ihnen kamen aus Osteuropa. Zwangsrekrutierungen von Jugendlichen für die Armee und vor allem die steigende Zahl von Pogromen gegen die jüdische Minderheit waren die Ursache. »In Kuba hatten die Flüchtlinge nichts zu befürchten«, sagt Rousso.
Binnen weniger Jahre entstand ein jüdisches Viertel mit 7.000 Bewohnern in Havannas Altstadt. Heute sind es wenige hundert Juden, die noch in den gleichermaßen von Verfall und Sanierung geprägten Quartieren zwischen Hafen und Prado, der einst überaus schmucken Promeniermeile Havannas, leben. Weil nach der Revolution 1959 Geschäfte und Betriebe verstaatlicht wurden und viele Menschen keine Perspektive mehr sahen, wanderten sie aus. Die Gemeinde, die vor 50 Jahren noch rund 15.000 Mitglieder zählte, hat seitdem 90 Prozent ihrer Mitglieder verloren.
Für rund 300 von ihnen, etwa 125 Familien, ist die Adath Israel ein zentraler Anlaufpunkt. Aber nicht nur aus religiösen Gründen, sondern manchmal werden in der 1925 von Aschkenasen gegründeten Gemeinde auch Medikamente und Lebensmittel verteilt. Ähnlich verhält es sich in der sefardischen Gemeinde. »Gegenseitige Hilfe, soziale Arbeit und die Unterstützung der Armen ist seit jeher Bestandteil der jüdischen Gemeindearbeit«, sagt Rousso.
Die gegenseitige Hilfe ist derzeit besonders gefragt, denn der kubanischen Wirtschaft geht es schlecht, und auf den Bauernmärkten Havannas sind Lebensmittel knapp. Ein Grund dafür sind die Folgen von drei schweren Hurrikans, die im vergangenen Jahr große Teile der Insel verwüsteten. Ein weiterer Grund ist, dass es auch ohne Wirbelstürme schlecht bestellt ist um Kubas Landwirtschaft. Von Jahr zu Jahr müssen mehr Lebensmittel importiert werden, weil die Produktivität der nationalen Agrarwirtschaft kontinuierlich sinkt. Lethargie, beinahe schon Agonie prägen erhebliche Teile der Wirtschaft, die zwar Vollbeschäftigung ausweist, aber chronische Unterbeschäftigung generiert. Ein delikates Thema, über das in Kuba gern geschwiegen wird.
In den vergangenen zwei Jahren hat der jüngere der beiden Castro-Brüder, Staatschef Raúl, mehrfach öffentlich den Finger in diese Wunde gelegt und strukturelle Reformen angekündigt und mehr Selbstkritik gefordert. Ein Hoffnungsschimmer auch für viele der rund 1.500 kubanischen Juden, von denen die Mehrheit in Havanna lebt.
Die zweite Öffnung, die wirtschaftliche, wäre das. Denn die erste Öffnung, die politische, hat noch der große Bruder Fidel Castro, der Comandante en Jefe 1991 verantwortet. Da wurde auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei beschlossen, religiöse Menschen künftig in den Reihen der Parteielite willkommen zu heißen. »Der Atheismus sollte fortan nicht mehr Staatsreligion sein«, so Joseph Levy, Vorsitzender der sefardischen Gemeinde in Vedado.
Für alle Religionen begann damit ein bemerkenswerter Aufschwung. Christen und Juden kehrten in die Kirchen und Synagogen zurück, und sie tun es bis heute. »Immer wieder tauchen Leute mit jüdischen Vorfahren bei uns auf, die ihr Erbe wiederentdecken wollen«, sagt Levy. Auch im Patronato, der Einrichtung, die die jüdische Gemeinde nach außen vertritt, wird das bestätigt. Und nach Kräften gefördert, denn die Gemeinde ist seit Jahren überaus aktiv, um das jüdische Leben in Kuba zu erhalten. Hebräischkurse, Tanzunterricht, Veranstaltungen aller Art gehören genauso dazu wie die Sonntagsschule im Patronato.
Dort werden derzeit knapp 70 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren in jüdischer Kultur und Tradition unterrichtet. Ein Hoffnungsschimmer für den Erhalt des jüdischen Lebens in Kuba, denn noch vor zehn Jahren war die Gemeinde von Überalterung geprägt, so Adela Dworin, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. Sie hat ihr Büro im Patronato, das gleich neben der großen Synagoge Beth Shalom liegt. Dort befindet sich auch die rund 13.000 Bände zählende Bibliothek der Gemeinde und die kleine Apotheke, in der Medikamente für die Gemeindemitglieder ausgegeben werden.
Internationale Hilfe ermöglicht das. Ohne den finanziellen Rückhalt aus Kanada, den USA und Panama wäre auch die Renovierung der drei Synagogen, die in neuem Glanz erstrahlen, kaum möglich gewesen. Einen ähnlichen Aufschwung wünschen sich viele Gemeindemitglieder auch für ihr Land. Dazu müsste Kubas Staatschef seinen Worten allerdings auch Taten folgen lassen. Darauf wartet nicht nur die jüdische Gemeinde.

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