von Carsten Hueck
Während es in Deutschland im März schneite, sorgte in Israel der Chamsin für die erste Hitzewelle mit Temperaturen um 30 Grad. Vielleicht erklärt das die Reiselust israelischer Autoren in kühlere Gefilde wie Berlin. Dort fanden vom 11. bis 13. April zum zweiten Mal deutsch-israelische Literaturtage statt, organisiert von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Goethe-Institut. Motto der dreitägigen Veranstaltung: »Der Traum von Normalität«.
Normal ist, über das Wetter zu sprechen: Robert Menasse aus Wien beschrieb seine Mentalität als »eher mediterran«, physisch jedoch sei er Schotte. Er käme nie auf die Idee, in Israel zu leben, es sei ihm dort einfach zu heiß. Dabei hat Menasse es doch sechs Jahre im brasilianischen São Paulo ausgehalten, das für eher unschottisches Klima bekannt ist. Normalität ist die Freiheit, sich etwas einzubilden.
Das zeigte auch das Plakat, mit dem die Literaturtage beworben wurden: Ein Zahal-Soldat an einem Checkpoint kehrt dem Betrachter den Rücken zu, scheint nicht das geringste Interesse für seine Umgebung aufzubringen. Man könnte sagen, er ist lässig. Oder ist er ignorant? Auf den zweiten Blick erkennt man: Der Soldat liest. Es überraschte nicht, dass die »Normalität eines Landes im Kriegszustand« in allen Gesprächen auftauchte – obwohl es um sie gar nicht gehen sollte.
In seiner Eröffnungsrede machte der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, eine andere Normalität aus. Er sprach vom »Magnetismus« Tel Avivs, berichtete, dass die Flugstrecke zwischen Berlin und Tel Aviv in den letzten Jahren »hoch frequentiert« sei. Ist das bereits Normalität, dass Tel Aviv inzwischen als angesagter Party-Hotspot gilt? Jedenfalls waren auch die deutsch-israelischen Literaturtage »hoch frequentiert«. Sämtliche Veranstaltungen ausverkauft, das Publikum saß dicht gedrängt und klaglos sogar auf dem Fußboden. Israelis und Deutsche aller Generationen traten sich zärtlich auf die Füße, um Lesungen und Gesprächen mit Yiftach Ashkenazy, Assaf Gavron, Michal Zamir, Ulrich Peltzer, Katja Lange-Müller, Raul Zelik und anderen zu lauschen.
»Hier wie dort – eine besondere Beziehung« lautete das Motto einer der Veranstaltungen. Eshkol Nevo, 1971 in Tel Aviv geboren, saß auf dem Podium neben Katharina Hacker, der Trägerin des deutschen Buchpreises von 2006. Hacker, die fließend Hebräisch spricht, half aus, wenn die Simultanübersetzung oder das Saalmikrofon ausfielen. Sie dolmetschte für den fast gleichaltrigen Kollegen aus Israel, dessen Mutter sich in den 70er-Jahren noch geweigert hatte, nach Deutschland zu reisen. Damals völlig normal. Heute hat sich das geändert. Nevo: »Als ich erzählte, ich fliege nach Berlin, wollten alle mitkommen.« Hacker: »Wärst du nach Freiburg geflogen, hätte wohl kaum jemand mitkommen wollen.« Normalität, so Hacker, heiße für sie, sich erst einmal über ästhetische Fragen mit den israelischen Kollegen auszutauschen, statt immer gleich das Spannungsfeld von Politik und Privatem zu reflektieren. Genau das sei aber in der Literatur so wichtig, insistierte Nevo, es wirke oberflächlichen und standardisierten Darstellungen Israels in den Medien entgegen: »Darum schreiben wir.«
Und darum wird Literatur aus Israel in Deutschland wohl auch so gerne gelesen. Sie ist Antidot zu den ewigen Verlautbarungen über den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Last der Schoa. Formal ist sie wenig experimentell, doch geht sie spielerisch um mit zionistischen Idealen, wird immer internationaler. Eine junge Autorengeneration ist nachgewachsen. Sie fliegt, anders als die »Drei Tenöre« der israelischen Literatur, Amos Oz, A.B. Jehoschua und David Grossmann, noch Economy, doch werden ihre Bücher – das zeigten die Literaturtage nachdrücklich – von deutschen Lesern neugierig aufgenommen. Normalität entlastet. Und ermöglicht Selbstkritik. Ron Leshem, dessen Roman über israelische Soldaten im Libanonkrieg die Vorlage zum Oscar-nominierten Film »Beaufort« war, entzauberte am Ende in angeregter Clubatmosphäre sogar den Mythos Tel Aviv: »Die Stadt ist ein Zufluchtsort. Eine Blase, desinteressiert an allem, was draußen vor sich geht. Depressiv und erbarmungslos ignorant.« Also ganz normal.
Mit einer Elefantenrunde über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft deutsch-jüdisch-israelischer Geschichte endeten die Literaturtage. Der neue israelische Botschafter Yoram Ben-Zeev diskutierte unter souveräner Leitung der HR-Redakteurin Esther Schapira mit Ralf Fücks, Natan Sznaider und Micha Brumlik. Der Botschafter sprach von seinem Besuch in Buchenwald, dann wurde positiv vermerkt, dass Lothar Matthäus’ Wechsel zu Makkabi Netanya keine Diskussion über ethnische Zugehörigkeit ausgelöst habe. Eine NATO- oder EU-Mitgliedschaft Israels wurde debattiert, natürlich auch die Rede der Bundeskanzlerin in der Knesset. Esther Schapira hatte zu Beginn des Gesprächs eine aktuelle Umfrage der BBC zitiert. Demnach ist das Image Israels in der Welt so schlecht wie nie. Auch in Deutschland: 64 Prozent der Bundesbürger, so Schapira, sähen Israel negativ, nur 11 Prozent positiv. Nach dem Verlauf der Literaturtage mag man das gar nicht recht glauben.